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Heiß umstritten und umkämpft: Die Volksbühne.

© Paul Zinken/dpa

Der Fall Dercon: Was für ein Theater

Chris Dercon und die Berliner - keine Lokalposse um ein Stadttheater, sondern ein Symbol für die Bedeutung Berlins als internationale Kulturmetropole.

Er hatte keine Chance – und hat sie nicht genutzt. Chris Dercon ist gescheitert an der Blockade durch Akteure des Berliner Kulturbetriebs, aber auch an sich selbst. Denn nach der großen Erwartung kam – nichts. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hat zu Dercons Demontage beigetragen. Das Drama nun aber zu beenden, war richtig, weil der Volksbühne ein Totalschaden drohte.

Was für ein Theater. Und am Ende gibt es nur Opfer. Die Volksbühne – eine entseelte Kulturbastion, nur noch ein Schatten glorreicher Zeiten, als sie Taktgeber eines rebellischen Berlins war. Ein Imageschaden für Berlin, dessen kulturelle Ausstrahlung stumpfe Flecken hat. Und ein Debakel für die Landesregierung.

Es ist eben keine Lokalposse um ein Stadttheater, es geht um den Anspruch, auf Augenhöhe mit Kulturmetropolen der Welt zu sein. Kultur ist im industriearmen Berlin neben der Kreativbranche und dem Tourismus auch Wirtschaftsfaktor und Attraktivitätsmotor. Nach 25 Jahren der Ära Frank Castorf die Bühne für die Zukunft zu öffnen, war richtig. Als der Regierende Bürgermeister Michael Müller und sein Staatssekretär Tim Renner 2015 Dercon holten, beflügelt von einer Hybris der Internationalität, unterschätzten sie freilich total, welch Symbol die Volksbühne für das unangepasste, und widerständige Berlin ist.

Kultur ist Veränderung - und nicht, die Zeit zurückzudrehen

Was für ein Coup, den renommierten Museumsmann von London nach Berlin zu locken. Pech, dass der nicht Heilsbringer war, sondern ein guter Mann am falschen Platz.

Kultur lebt von Veränderung. Aber gilt das noch in einer Stadt, wo den Berlinern schwindlig wird von der rasenden Beschleunigung? Berlins Kulturszene hat immer gespiegelt, dass Berlin seit dem Mauerfall gesellschaftliches Labor einer sich wandelnden Republik ist, und hat mit ihrer Kreativität enorm dazu beigetragen, Berlin weltweit attraktiv zu machen. Sie hat damit zugleich die Gentrifizierung mit vorangetrieben, an der sich auch die Volksbühne abgearbeitet hat. Wie viel Experiment, wie viel Weltläufigkeit Berlin verträgt, ist die Frage für einen Neustart. Wer aber traut sich nun noch hierher nach so viel verbrannter Erde?

Die Zeit zurückdrehen in verklärte Castorf-Zeiten geht nicht. Wohin es aber gehen soll und was der Senat will, vor allem Michael Müller, ist gänzlich unklar. Seit dem Start der rot-rot-grünen Koalition schweigt er zum Thema Kultur. Er nahm Lederers Dercon-Ablehnung hin, obwohl die Kritik auch auf ihn zielte.

Gut, dass Monika Grütters im Kanzleramt wichtige Personalien entscheidet

Inhaltlich sind sie sich fern. Müller hat mit Dercon ein Zeichen für die weitere Globalisierung der Kultur gesetzt – Lederer ist dagegen ein basisorientierter Wertkonservativer. Nur gut, dass die Nachfolge des Berlinale-Chefs und die Besetzung der Intendanz des Humboldt-Forums nicht vom Senat entschieden werden, sondern von Monika Grütters (CDU), der heimlichen Kultursenatorin im Kanzleramt.

Kultur, als Teil einer Stadtentwicklungsstrategie, muss ein Querschnittsressort sein. Das gilt auch mit Blick auf das bald fertige Humboldt-Forum, das bauliche Stadtvollendung ist und weltweit strahlender Leuchtturm werden kann. „Kultur ist für die öffentliche Selbstverständigung der Stadtgesellschaft lebenswichtig und unentbehrlich“, ist im Berliner Koalitionsvertrag hervorgehoben. Der Regierende Bürgermeister steht in der Pflicht, die Krise zu lösen. Nicht nur, weil er Dercon geholt hat. Sondern als Regierungschef einer Stadt, die von Kultur lebt. Konfliktfrei wird das nicht gehen.

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