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Mendelssohn-Bartholdy

© dpa

Bartholdy-Jubiläum: Der komponierende Kosmopolit

Berliner Wunderkind: 2009 feiert die Welt Felix Mendelssohn Bartholdys 200. Geburtstag.

Er wurde nicht in Berlin geboren und ist hier auch nicht gestorben. Und doch blieb die Stadt stets ein Fixpunkt in seinem Leben. Dass Felix Mendelssohn am 3. Februar 1809 das Licht der Welt in Hamburg erblickte, lag am Beruf des Vaters. Abraham, der jüngste Spross des Berliner Philosophen Moses Mendelssohn, und sein Bruder Joseph sahen in der Hansestadt einen idealen Standort für ihr Bankhaus. Bereits 1811 allerdings zwingt Napoleon die Geschäftsmänner zur Flucht zurück nach Berlin, als er Hamburg annektiert. Nach den Befreiungskriegen erlebt Preußen eine wirtschaftliche Blüte, Abraham verdient gutes Geld und kann 1825 ein herrschaftliches Anwesen erwerben: Die Leipziger Straße 3 liegt außerhalb der Innenstadt, dort, wo heute der Bundesrat residiert. Man betritt das Palais, dann folgen der Hof, Nebengebäude und ein Gartenhaus, aus dessen Fenstern man sogar eine Mühle sieht.

Das Haus wird zum Zentrum des intellektuellen Lebens: Wer in der preußischen Hauptstadt Geist und Bildung hat, verkehrt hier. Es wird parliert, diskutiert, rezitiert – und musiziert. Felix und seine vier Jahre ältere Schwester Fanny zeigen sich als Wunderkinder, versetzen die Gäste mit ihrem Klavierspiel in Erstaunen. Mit 15 hat Felix schon ein Dutzend Streichersinfonien, mehrere Solo kon zerte, Kammermusikstücke sowie ein Singspiel komponiert. Bereits 1821 darf er für Goethe in Weimar „ein wenig Lärm machen“ – was seine Eltern mit besonderem Stolz erfüllt.

Die Atmosphäre, in der Felix aufwächst, als biedermeierlich zu beschreiben, greift zu kurz. Sicher, die politische Restauration nach dem Wiener Kongress treibt die freien Geister aus dem von der Zensur gegängelten öffentlichen Leben in private Zirkel. Doch hinter verschlossenen Türen erblüht ein bildungsbürgerliches Kulturleben, für das der Begriff „Berliner Klassik“ geprägt wurde. Assimilierte Juden wie die Mendelssohns, die ihre vier Kinder christlich taufen lassen, dann selber zum Protestantismus konvertieren und den Namenszusatz Bartholdy annehmen, gehören zu den treibenden Kräften dieses gesellschaftlichen Lebens.

Ein anderer Treffpunkt ist die 1791 gegründete Sing-Akademie. Für Vater Abraham ist das kollektive Musizieren eine Offenbarung, bald singt die ganze Familie in dem Chor. Weil er zu den Wenigen gehört, denen Bachs Kompositionen nicht als unmelodisch erscheinen, versteht er sich bestens mit Sing-Akademie-Leiter Carl Friedrich Zelter. Der gelernte Maurer, der sich in seiner Freizeit zum Kunsthandwerker ausbilden ließ, schätzt die traditionellen Tonsatztechniken über alles. Der Bankier bittet ihn, Felix und Fanny zu unterrichten – und die Kinder pauken die Grammatik der barocken Klangsprache.

Zelters Verdienste um das Berliner Musikleben sind nicht genug zu würdigen, auch wenn er ästhetisch ein Konservativer bleibt, der mit den Gedankenwelten der Romantik nichts anzufangen weiß und Webers 1821 am Gendarmenmarkt uraufgeführten „Freischütz“ ablehnt. Zelter denkt pragmatisch, von der Aufführbarkeit der Bach’schen „Matthäus-Passion“ muss ihn Felix mühsam überzeugen. Das von Mendelssohn geleitete Sing-Akademie-Konzert am 11. März 1829 wird dann aber zur Initialzündung der Bach-Renaissance – und markiert den Beginn von Mendelssohns internationaler Karriere.

Bis zu seinem frühen Tod 1847 in Leipzig wird er nun in ganz Europa gefeiert, vor allem in London, der modernsten Metropole der Epoche. Seine erste Festanstellung findet er in Düsseldorf; in Leipzig, der weltoffenen Messestadt, kann er ab 1835 seine Visionen realisieren, macht das Gewandhausorchester zum Spitzenorchester und reformiert das lokale Musikleben. Nur in Berlin wird er nicht glücklich: Die Bewerbung um die Leitung der Sing-Akademie scheitert, weil Zelters langjähriger Assistent auf älteren Rechten beharrt. Seine einzige Oper fällt Unter den Linden durch, zwei Mal beruft ihn der König in repräsentative Ämter, beide Male gibt Mendelssohn die Posten nach kurzer Zeit entnervt wieder zurück. Die Stadt ist einfach zu eng für seinen weiten Horizont. Allein wegen seiner Familie bleibt er dem Ort seiner glücklichen Kindheit verbunden.

Kein Komponist seiner Zeit ist so umfassend gebildet wie Felix Mendelssohn, keiner ist so vielseitig begabt, keiner darf dank des Reichtums seiner Eltern in jungen Jahren so viele Kulturen kennenlernen, von Italien über Frankreich bis nach Schottland reisen. Den besten Kompositionen des Frühreifen hört man das an: Hier kommen Klänge aus ganz Europa zusammen, hier zeigt einer ein grenzübergreifendes Denken wie vor ihm nur Händel. Mendelssohns Meisterwerke – das Violinkonzert, die italienische Sinfonie, sein „Sommernachtstraum“ samt Hochzeitsmarsch – gehören schon zu Lebzeiten zum Weltkulturerbe. Das macht ihn zum Feindbild aller Deutschnationalen. Richard Wagner holt als Erster gegen Mendelssohn aus; in der antisemitischen Schmähschrift „Judentum in der Musik“von 1850 brandmarkt er dessen Kompositionen als süßlich und verweichlicht.

Die Nazis werden schließlich das ihre tun, um den Namen Mendelssohn aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen, gerade in der Reichshauptstadt. Dass die Berliner Philharmoniker bei ihrem Nachkriegskonzert am 26. Mai 1945 ausgerechnet Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Bühnenmusik spielten, zeugt davon, wie wenig das gelungen ist. Seit 1998 wird die gesamte Familie Mendelssohn Bartholdy mit einem U-Bahnhof am Potsdamer Platz geehrt. Wer gut zu Fuß ist, läuft von dort zur Leipziger Straße 3.

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