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Das Original des Pferdekopfs im British Museum in London.

© Rolf Brockschmidt / Rolf Brockschmidt

Die Parthenon Marbles in London: Wie sich mit Kopien leben lässt

Roger Michel, Direktor des Instituts für Digitale Archäologie in Oxford, setzt mit seiner Technik das Werk des antiken Bildhauer Phidias fort. Roboter übernehmen die Arbeit.

Langsam bewegt sich der Roboterarm mit dem rotierenden Meißel über den Pferdekopf aus weißem Marmor. Wasser und Marmorfragmente spritzen in den Raum. Der Kopf bekommt sein finales Aussehen. Zwei Welten treffen aufeinander, die eigentlich 2500 Jahre auseinanderliegen: Der Hightech-Roboter meißelt millimetergenau, nachdem er mit den 3D-Daten auf der Basis von Fotos des Pferdekopfes programmiert wurde.

Der Originalkopf, der zum Parthenon-Tempel auf der Akropolis in Athen gehört, befindet sich seit über 200 Jahren im British Museum in London. Fast genauso lange wird über die Rückgabe der Marmorfiguren und Reliefs gestritten, die unter dem kolonialen Namen „Elgin Marbles“ berühmt wurden. Lord Elgin hatte als britischer Botschafter im Osmanischen Reich, zu dem damals Griechenland gehörte, die Lizenz erhalten, auf dem Boden liegende Trümmer des Parthenons in Athen auszuführen.

Allerdings beschränkte er sich nicht auf die Trümmer, sondern ließ 75 Meter des 160 Meter langen Parthenon-Frieses absägen.  Den Fries und weitere Skulpturen verkaufte er 1816 dem British Museum. Über die Legitimität des Erwerbs streiten Briten und Griechen seit langer Zeit. Aber nun scheint sich eine Lösung abzuzeichnen.

Entstehung der Pferdekopie mit Hilfe eines Roboters.

© Instituts für Digitale Archäologie (IDA) an der Universität Oxford

Im Januar 2022 hatte Roger Michel, Direktor des Instituts für Digitale Archäologie (IDA) an der Universität Oxford vorgeschlagen, die Parthenon-Marbles zu scannen, digitalisieren und dann von einem Roboter herstellen zu lassen. Als das British Museum seine Anfrage zum Scannen ablehnte, fotografierten Michel und seine Technische Direktorin Alexy Karenowska mit ihren Smartphones und iPads die Objekte im British Museum.

Die Wächter hinderten sie nicht daran. Moderne iPhones und iPads sind mit der Lidar-Technologie versehen, die es möglich macht, 3D-Bilder am Computer herzustellen. Die Guerilla-Aktion war ein medialer Erfolg. Die Diskussion über eine mögliche Rückgabe der „Parthenon Marbles“ nahm Fahrt auf.

Das Team arbeitete mit Originalmarmor

Bereits 2016 Robert Michel und sein Team mit der verkleinerten Replik des zerstörten Triumphbogens von Palmyra Aufmerksamkeit erregt. Diese Replik war bereits mit einem Bildhauerroboter angefertigt. Die technische Entwicklung ist inzwischen weiter fortgeschritten. „Unser Roboter arbeitet heute viel präziser, millimetergenau“, erzählt Michel dem Tagesspiegel per Videocall. Zwei Objekte wurden jetzt produziert, erst mit Carrara-Marmor und dann mit Pentelischem Marmor aus Griechenland.

„Es ist der gleiche Marmor, den Phidias und seine Helfer vor 2500 Jahren genutzt haben. Er darf normalerweise das Land nicht verlassen, aber die griechische Regierung hat unser Projekt von Anfang an unterstützt und uns ein Stück dieses historischen Marmors überlassen, um eine möglichst exakte Replik herzustellen“, sagt Michel.

Es ist nicht einzusehen, warum das British Museum diese für Griechenland so wichtigen Skulpturen nicht zurückgibt.

Roger Michel, Direktor des Instituts für Digitale Archäologie in Oxford

Diese Roboter werden auch von Künstlern wie Jeff Koons und Damien Hirst genutzt. 95 Prozent der Arbeit erledigt der Roboter, den Rest erfahrene Bildhauer. Phidias Arbeit hätten vor 2500 Jahren zu 85 Prozent seine Mitarbeiter ausgeführt, so Michel, den Rest habe er selbst geschaffen.

Nachdem der so entstandene Pferdekopf im Freud Museum in London der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, kündigte George Osborne, der ehemalige Schatzkanzler und Vorsitzender des Stiftungsrates des British Museums, an, dass man mit den Griechen in Verhandlungen sei.

Die abgeschrubbten weißen Originale geben nicht wieder, was Phidias vor 2500 Jahren wollte. 

Roger Michel, Direktor des Instituts für Digitale Archäologie in Oxford

Michel gibt sich kämpferisch: „Es ist nicht einzusehen, warum das British Museum diese für Griechenland so wichtigen Skulpturen nicht zurückgibt,“ sagte er. „Das Argument, dass man nur an Originalen die Geschichte studieren könne, überzeugt nicht. Allein die Galerien im Museum links und rechts der ,Parthenon Marbles‘ sind voll mit Repliken.“

Dass die Briten ausgerechnet an den Elgin-Marbles hängen, liegt an ihrem nationalen Selbstverständnis, an ihrem speziellen Verhältnis zu Griechenland und zur griechischen Kultur. „Die Briten sehen sich als Erben des alten Griechenlands, als die neuen Griechen“, glaubt Michel.

Und dennoch wurden nach Ansicht von Michel die Skulpturen schlecht präsentiert, ohne weitere Erklärung. Zudem in den 1930er Jahren unsachgemäß gereinigt und dabei auch beschädigt worden. „Diese abgeschrubbten weißen Originale geben nicht wieder, was Phidias vor 2500 Jahren wollte. Wir wissen inzwischen, dass diese Figuren ziemlich bunt bemalt waren“, wettert er.

Warum also nicht endlich den Griechen die Originale zurückgeben, wo sie im neuen Akropolis-Museum zusammenhängend gezeigt werden können – der Platz ist reserviert – und die exakten Repliken farbig im British Museum zeigen, unterstützt von Virtual Reality und Augmented Reality. Und dabei würde man noch einige Überraschungen erleben, sagt Michel. „Wir werden viel dunkle Haut sehen, denn zu jener Zeit wurden mächtige Figuren oft mit dunkler Hautfarbe dargestellt - einschließlich Odysseus.“

Im nächsten Schritt sollen die beiden Objekte aus Carrara-Marmor farbig gestaltet werden, so wie Phidias sie vor 2500 Jahren geschaffen hat. Das Pferd soll dann im Metropolitan Museum in New York gezeigt werden.

Die Rückgabe der Parthenon-Marbles könnte näher rücken, zumal im Frühjahr in Griechenland Parlamentswahlen stattfinden. Als nächstes wollen sich die Unterstützer an die Charity Commission (CC) wenden, denn ihrer Meinung nach verstößt das British Museum bei der Aufbewahrung der Marmorstücke sowohl gegen die öffentliche Ordnung als auch gegen die Bestimmungen des British Museum Act von 1963, in dem die gemeinnützigen Ziele des British Museum festgelegt sind.

Sollte die CC den Antrag ablehnen, ziehen Michel und seine Mannschaft vor Gericht. „Das hat in den letzten 200 Jahren niemand getan“, sagt er kampfentschlossen.

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