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Blixa Bargeld, Frontmann der Einstürzenden Neubauten

© imago/Star-Media

Einstürzende Neubauten: Stille als radikale Zumutung

Die Einstürzenden Neubauten blicken in der Berliner Columbiahalle zurück auf 37 Jahre Bandgeschichte. Bei leisen Tönen pfeift das schmerzerprobte Publikum.

Es zeigt sich an diesem Abend in Sichtweite des Tempelhofer Flughafens mal wieder, wie verschiedene Popwelten gleichermaßen parallel verlaufen und doch eng miteinander verbunden sind. Im Columbia Theater spielen The Darkness ihren griffigen Rock im Retro-Look und kopieren dabei die Opulenz und den Glam der siebziger Jahre. Und hundert Meter weiter in der Columbiahalle geht es gleichfalls zurück in die Vergangenheit, bei  einer Werkschau der Einstürzenden Neubauten. Nur wird hier nichts kopiert, höchstens interpretiert.

Zu sperrig für Nummer-eins-Hits

Vor einem Jahr erschien eine „Greatest Hits"-Sammlung der Berliner Band, die natürlich nicht mit Nummer-eins-Hits gespickt ist, dafür ist die Musik der Neubauten in den 37 Jahren ihres Bestehens stets zu sperrig gewesen.

In kaltes blaues Licht getaucht, barfuß und im dreiteiligen schwarzen Glitzer-Anzug betritt Sänger Blixa Bargeld die Bühne. Mit melancholischem Blick steht er wie ein Dompteur in der Mitte seines Krachzirkus. Der Slide-Bass von „The Garden“ setzt ein, das eindringliche Eröffnungsstück ihres Albums „Ende Neu" von 1996. Nach einem bedächtigen Beginn mündet der Song in jenem markanten, infernalischen Kreischen, das Bargeld wie kein anderer beherrscht. Markerschütternd und doch von einer Sanftmut umspielt, die kaum noch an das ungestüme Toben der frühen Schaffensphase erinnert. Eine folgerichtige Evolution, kam Bargeld laut eigener Aussage schließlich über das Schreien zum Singen.

Ruhige Stücke gehören jetzt zum Repertoire

Wie ein erstes Aufbäumen gegen die eigene Mäßigung stimmt Bassist Alexander Hacke dann das schroffe Riff von „Haus der Lüge“ an. Die Energie von 1989. Doch es wird das einzige Lied aus der Schaffensphase der Vorwendezeit bleiben. Die ruhigen Stücke gehören schon längst zum festen Live-Repertoire der Neubauten. Sachte bewegt Bargeld seinen Oberkörper hin und her, nur dann und wann hebt er die Arme, als würde er sich selbst dirigieren. Immer wieder ist das Tapsen der Füße im Takt von der Bühne zu vernehmen, so behutsam ist die Darbietung zeitweilig. Die zurückgenommene Instrumentalisierung lässt viel Raum für die Poesie Bargelds, die in den schaurig-nichtssagenden Gefilden des Deutschpops ihresgleichen sucht.

Sie sind Teil des Berlin-Mythos

Noch immer ist die Band eng mit dem Musik-Mythos des West-Berlins der Vorwende verbunden. Alle kamen in den siebziger und achtziger Jahren in die Mauerstadt: David Bowie, Iggy Pop, Nick Cave, Anita Lane, Rowland S. Howard. Doch die Einstürzenden Neubauten, die sich 1980 gründeten, waren immer da. Das grau melierte Meer von Köpfen in der Columbiahalle lässt erahnen, dass viele Fans der ersten Stunden gekommen sind.

Bargelds Mundhöhle als Perkussionsinstrument

Wie eng verwoben die Bandhistorie der Einstürzenden Neubauten mit der Geschichte der Stadt ist, machen die kurzen Ansprachen Bargelds deutlich. Ein Schwenk aus dem Studio in Wedding, eine Abhandlung über die rote Infobox am Potsdamer Platz Ende der neunziger Jahre. Dabei sind Bargeld und Co. schon lange auch ein Pop-Exportartikel, den das Goethe-Institut um die Welt schickt.

Eine erbarmungslos radikale Geräuschästhetik bleibt dem Publikum also erspart, trotz einiger fein versteckter und krachiger Zumutungen. Mal ist es Bargelds Mundhöhle, die als Perkussionsinstrument zweckentfremdet wird. Dann wieder prügeln die Musiker auf Tonnen ein, funktionieren PVC-Röhren zum Xylophon um oder entlocken einer Walze liebliche Töne. Irgendwann fallen mit lautem Scheppern Metallstifte aus großer Höhe auf die Bühne.

Bei leisen Tönen wird gepfiffen

Viele der Sounds kennt man inzwischen aus der modernen elektronischen Musik; hier aber kann man ihre Entstehungsgeschichte noch live erleben. Handgemacht aus Baumarktmaterial. Nicht mehr der allerletzte Schrei, aber Blixa Bargeld besteht zumindest auf dem Copyright: „Die Blue Man Group hat das von uns abgekupfert. Nicht umgekehrt.“ Das Schönste folgt zum Schluss. Zu „Silence is sexy“ gönnen sich die Musiker minutenlange Pausen, in denen Blixa Bargeld nicht mehr Töne als das Knistern seiner Zigaretten erzeugt.

Doch Stille scheint in der heutigen Zeit nicht sexy zu sein, sondern eine radikale Zumutung. Einige Zuschauer können es offensichtlich kaum ertragen. Immer wieder rufen sie laut, pfeifen, johlen. Lakonisch verweist Bargeld darauf, dass man am Ende des Konzertes einen USB-Stick kaufen könne, darauf sei ein Live-Mitschnitt zu finden: „Das Beste daran: Ihr könnt die Aufnahme einfach wieder löschen.“

Und dann bekommt das schmerzerprobte Publikum doch noch, was es erwartet. Ein ohrenbetäubender Pfeifton breitet sich in der Halle aus wie ein kollektiver Tinnitus. Bis zum Schlussstück „Redukt“ und den letzten Worten von Bargeld: „Endlich, unendlich, in Ruhe gelassen, aber beweglich, frei zu lärmen, ohne Schuld!“.

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