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Geige und Klavier. Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien.

© Askonasholt

Französische Musik im Pierre Boulez Saal: Schönheit muss nicht lieblich sein

Die Geigerin Alina Ibragimova und der Pianist Cédric Tiberghien spielen im Pierre Boulez Saal französische Werke aus dem 19. Jhdt. Ganz ohne falsche Sentimentalität.

Französischen Komponisten des späten 19. Jahrhunderts wird ja gerne nachgesagt, dass sie ein wenig zu sehr darauf bedacht waren, elegante, geistreich unterhaltende Musik zu schaffen, die das Publikum bezaubert. Und dass sie darüber manchmal die Substanz aus dem Blick verloren. Die drei Werke von Eugène Ysaye, Louis Vierne und César Franck allerdings, die am Dreikönigstag im ausverkauften Pierre Boulez Saal erklingen, sind denkbar weit vom Verdacht des oberflächlichen Divertissements entfernt. Schon als schiere Notentexte, aber auch in den ungemein ernsten, kompromisslos konsequenten Interpretationen von Alina Ibragimova und Cédric Tiberghien.

Die russische Geigerin und der französische Pianist, die an diesem Abend auch den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik für ihre Gesamteinspielung von Mozarts Violinsonaten erhalten, widmen sich parallel zu ihren Solokarrieren hingebungsvoll der Kammermusik. Und es gelingt ihnen am Samstag, durch ihre eigene Konzentrationsfähigkeit auch das Publikum zum atemlos-gebannten Zuhören zu verleiten. Und das auf dem Höhepunkt der Hustensaison!, wie Boulez-Saal-Intendant Ole Baekhoej lobend anmerkt.

Wahre Freude ist eine ernste Sache

Als Live-Künstler waren Ysaye, Vierne und Franck zu Lebzeiten Stars, ersterer an der Geige, die beiden anderen an der Orgel. In ihren Werken aber blieben sie ästhetische Außenseiter, Avantgardisten, setzten sich ab von dem, was die breite Masse der Kunstgenießer in Salon und Oper goutierte. Kompakt, erdig gestalten Ibragimova und Tiberghien also den Klang in Ysayes „Poème élégiaque“ aus dem Jahr 1893. Düstere Romantik scheint in diesem elegischen Tongedicht auf, fast durchweg dominiert der Ausdruck des Schmerzes. Alles Virtuose, das die Partitur durchaus bietet, drängt Alina Ibragimova in dieser Deutung zurück, zugunsten emotionaler Wahrhaftigkeit.

Noch radikaler wirkt anschließend Viernes 1905 entstandene G-Moll-Sonate, herb bis an die Grenze der Aggressivität. Selbst dem wiegenden Rhythmus des Andante sostenuto verweigert der Pianist jeden Anflug von Lieblichkeit. In den weit ausschwingenden Melodien von Francks meisterlicher Sonate von 1886 kann Alina Ibragimova zwar die makellose Reinheit ihres Geigentons zeigen – doch auch hier behalten beide Interpreten stets die volle Kontrolle über ihre Gefühle, gestatten sich keinerlei sentimentale Emphase und wahren weitestmöglichen Abstand zur Kitschgrenze. Streng nach der lateinischen Tugendregel „Res severa verum gaudium“: Die wahre Freude ist eine ernste Sache.

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