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Primat des Geistes. Der Soziologe Max Weber zusammen mit dem Dramatiker Ernst Toller (Hintergrund Mitte) auf Burg Lauenstein 1917.

© BPK

Geistesgrößen im Ersten Weltkrieg: Netzwerken auf Burg Lauenstein

Die Historikern Meike W. Werner studiert die fotografischen Dokumente, auf denen Max Weber, Ernst Toller oder Ida Dehmel zu sehen sind

Das Bild ist zur Ikone geworden. Es zeigt seitlich einen dozierenden Max Weber, umringt von andächtigen Zuhörern, zentral der junge Dichter Ernst Toller. Aufgenommen wurde es auf der fränkischen Burg Lauenstein, anlässlich der zweiten Lauensteiner Tagung im Herbst 1917, einer jener drei berühmten Zusammenkünfte, mit denen der Verleger Eugen Diederichs den „Primat des Geistes“ noch einmal auferstehen lassen und die „Ideen von 1914“ beleben wollte.

Während ihm eine Art „Volksstaat“ vorschwebte, arbeitete Max Weber, der Star der beiden ersten Veranstaltungen, bereits an seinem rationalistischen Staatskonzept. Sein berühmter Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ hatte 1917 dort seine Uraufführung. Für Webers Gegenspieler, den Theologen Max Maurenbrecher, wird Lauenstein der Ausgangspunkt für sein späteres deutschnationales Engagement.

Über die exklusiven Burgevents mitten im Ersten Weltkrieg, an denen Politiker und Gelehrte, Künstler und Journalisten, Jugendbewegte und durchaus auch von Ehemännern unabhängige Frauen wie die Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer oder die spätere Kommunistin Berta Lask teilnahmen, ist manches geschrieben worden, weil sie die politischen Polarisierungen nach Kriegsende vorwegnahmen.

Geselligkeit in Jena

Doch niemand hat sich bislang so dezidiert mit den beiden überlieferten fotografischen Konvoluten der Tagung befasst wie die in Nashville lehrende Meike G. Werner, die 2003 bereits eine Studie über die intellektuelle Geselligkeit im Jena Eugen Diederichs vorgelegt hat.

Theoretisch unaufdringlich anknüpfend an Martha Langfords „Suspended Conversations(Ausgesetzte Gespräche) und Victor Turners Konzept des sozialen Theaters blättert sie durch die Alben und fahndet nach dem, was „die Bilder enthüllen und verbergen“. In den personellen Zweier-, Dreier- und Vierer-Konstellationen, die der Jenaer Fotograf Alfred Bischoff einfing, werden offen ausagierte und heimliche Bündnisse deutlich und Gegensätze, die Werner durch informierte historische Kontextualisierung zum Sprechen bringt.

Es gibt die Redner und stillen Zuhörer wie etwa den Soziologen Ferdinand Tönnies oder den Nationalökonomen Werner Sombart, die Künstler, bei denen die Gelehrten meist nur wenig Interesse finden, die Generationen, die sich spätestens seit der dritten Pfingsttagung 1918 – dem „linken Jugendtag“, auf dem „Frauenfragen“ verhandelt werden – bereits entfremdet haben. Und natürlich die Frauen, die an den Lippen der Männer hängen oder selbstbewusst das Wort ergreifen und deren Kleidercode schon auf die neue Ära verweist.

Zuletzt erscheint selbst die Dichtergattin Ida Dehmel, „ritterlich-höfischer Mittepunkt“ auf Lauenstein, nicht mehr in Trauerschwarz. Die Frauen verkünden in ihren weißen Kleidern die neue Zeit. Und dann gibt es noch die Raucher, die sich wie der an Volksbildung interessierte Eduard Reitsch und Richard Wirth oder Ernst Toller und der Maler Carl Emil Uphoff im Gespräch zusammenfinden. Geraucht wurde viel auf Lauenstein, konstatiert Werner, ein Hinweis auf die Ernährungslage im Kriegsalltag. Mancher wird auch wegen der guten Verpflegung gekommen sein.

Denker ohne Kriegserfahrung

Nach Berufsgruppen, Generationen und Geschlecht geordnet, geht die Autorin die Bildsequenzen durch, an denen sie die damaligen Debatten über die Zukunft Deutschlands aufrollt. Verblüffend die Bilder eines „Jungspunds“ namens Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten. Und erstaunlich, dass nur einer in Uniform auftaucht: Otto Neurath, der österreichisch-jüdische Ökonom aus dem Wiener Kreis. Die wenigsten der männlichen Teilnehmer, die jüngeren, bringen Kriegserfahrung mit. Am Ende des Tagungsreigens übernehmen sie das Ruder.

Dass das Experiment scheiterte, wurde nicht nur von einem Salonsozialisten wie Werner Sombart kolportiert, oder von Max Weber, dem von den „überstiegenen“ Ansichten der „Literaten“ so schlecht wurde, dass er die dritte Tagung quittierte. Die Lauensteiner Tagung würde umso simpler, je ferner sie liege, schreibt ein teilnehmender Beobachter nachträglich. „Die Professorenschlachten schrumpfen zu eitlem Kathedergeschwätz, die Jungen waren unmännliche Schönlinge und Narren.“

Nicht gescheitert ist Werners Bild-Experiment. Sie vermittelt, wenn sich manchmal notwendig auch wiederholend, in ungemein verdichteter Form die intellektuellen Lagen am Ausgang des Ersten Weltkriegs. Immerhin scheint das damals schon einsetzende „Networking“ auch später noch funktioniert zu haben. Sich vorzustellen, ukrainische Intellektuelle würden sich auf einer Burg zusammenfinden, um über das künftige Schicksal ihres Landes zu beraten, hat etwas Faszinierendes. Selbst wenn auch in diesem Fall das Experiment wohl scheitern würde.

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