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Ein Gesicht, überall und stets präsent. Katharina Sieverding.

© picture alliance/dpa

Katharina Sieverding wird 80: Der forschende Blick, dem man nicht entkommt

Ihre Kunst ist omnipräsent und kreist seit Jahrzehnten um existentielle Fragen. Heute wird Katharina Sieverding 80 Jahre alt. Eine Gratulation.

Ihre Kunst kreist um den „Gesellschaftskörper“, sagt Katharina Sieverding und meint damit den sozialen Organismus, der sich aus dem Staat und allen Handlungen in seinem Innern zusammensetzt. Genauso schnell denkt man bei dem Wort aber auch an die Künstlerin selbst: Sieverding, die an diesem Dienstag 80 Jahre alt wird, hat sich zum Zentrum ihrer Arbeit gemacht und ist damit ebenfalls ein „Gesellschaftskörper“ geworden. Eine Art Medium, über das sie seit Jahrzehnten existenzielle Frage etwa nach den Geschlechteridentitäten verhandelt.

So verschmolz Sieverding das eigene Gesicht in der Serie „Transformer“ um 1973 mit dem ihres Partners. Heraus kamen hochästhetische, androgyne Gesichter mit seltsam diffuser Mimik, die früh auf das Uneindeutige des Individuums verwiesen. Auf die Faszination der Künstlerin für das „Gendern“, als es den Begriff im Diskurs noch nicht gab. Und den Wunsch, sich selbst zu inszenieren, statt dies wie in den Siebzigern üblich, männlichen Protagonisten zu überlassen.

Solche Porträts sorgen für Sieverdings Omnipräsenz. Jede Soloschau – und davon gab es in den vergangenen Jahren mehrere von Havanna und Palermo 2018 während der Manifesta bis aktuell Baden-Baden – konfrontiert einen mit dem Gesicht der Künstlerin. Offensiv und im Großformat. Ihrem forschenden Blick entkommt man nicht. Das gilt für die plakativ konzipierten Collagen mit Textfragmenten über die Zeit des Nationalsozialismus, der Studentenunruhen und ihrer Anbetung von Mao Zedong, dessen mörderische Praktiken man nicht sehen wollte.

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Vielleicht ist gerade das ein Grund, weshalb selbst die frühen fotografischen Werke, die Montagen und Überblendungen von mehreren (oft gefundenen) Motiven, so unglaublich frisch daherkommen. Sieverding provoziert. Ihr eigenes, feministisch geprägtes Selbstbewusstsein drängt an die Oberfläche, und dazu visualisieren sich jene politischen Ereignisse, die im Untergrund bis heute gären.

Sie lockt, saugt, spukt aus

1977 etwa entstand „The Great white Way goes black“ als Zufallsfoto in New York während eines nächtlichen Stromausfalls. Auch dies ein monumentales Selbstporträt, auf dem die Künstlerin mit Drink und Schirmkappe eben jenen Typus des great white verkörpert, den sie im selben Satz an sein Limit kommen lässt. Ein Bild von zeitloser Gültigkeit – als nehme Sieverding die Diskussionen um das Ende des weißen, überheblichen Blicks vorweg.

In Prag geboren, ging die Künstlerin 1963 an das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, lernte Kostümausstattung und wechselte ein Jahr später zum Studium für Bühnenbild an die Kunstakademie in Düsseldorf, wo sie noch heute lebt. Das Theatralische ist ihr vertraut, seine Wirkung ein Mittel ihrer meist intensiven Körperarbeit. Mit Joseph Beuys, dessen Klasse sie ebenso besuchte wie die Filmklasse der Akademie, kamen weitere Aspekte in ihr Werk. Wenn sie von der „Kernkraft der Kunst“ spricht, die sie freizulegen trachte, dann dient diese Entfesselung vor allem der unbedingten Aufmerksamkeit. Sieverding lockt, saugt ein, spuckt aus und lässt einen bei Nacht in die glühende Sonne schauen, wie es ein Werkkomplex im Museum Frieder Burda bis in den Januar tut. Die Strategien liegen offen, auch die fotografischen Mittel sind für alle einsehbar. Was noch in den Bildern passiert, ist trotzdem ein Stück Alchemismus.

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