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Der Feldherrenhügel in Rumänien. Hier installierte Christian Hasucha einen Aussichtspunkt.

© Christian Hasucha

Künstler Christian Hasucha im Saalbau Neukölln: Der Wirklichkeitsverschieber

Christian Hasucha inszeniert irritierende Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Nun sind seine Arbeiten in der Galerie des Saalbau Neukölln zu sehen. Ein Atelierbesuch.

Die Dinger funktionieren. Der Rücken wird gerader, der Atem bewusster, die Artikulation deutlicher. Unwillkürlich nimmt der Körper die Haltung einer Rednerin an – mit raumgreifenden Gesten und anschwellender Stimme. Aber Obacht, nicht zu laut tönen, das wäre unhöflich. Nur eine Unterarmlänge vom eigenen Gesicht entfernt, steht ja noch einer, spricht und schaut forschend, wie sein Experiment beim Gegenüber ankommt. Das ist der Bildhauer Christian Hasucha.

Die Dinger hat er gebaut. Er nennt sie „Gesprächsverstärker“. Zehn Paare, also zwanzig Stück, stehen auf dem Boden in Reih und Glied. In seiner Werkstatt, die in einer zu Atelier und Büro ausgebauten Hinterhof-Remise in Neukölln liegt. Es sind stabile Metalluntersetzer für die Füße, manche höher, manche niedriger – das ausgewählte, hohe Paar liegt schwer in der Hand. Hasucha selbst nimmt für sich ein flacheres.

Es ist ein wunderliches Gefühl dem eben noch einen guten Kopf größeren Mann plötzlich auf Augenhöhe gegenüberzustehen. Eine physisch spürbare Verschiebung der Wirklichkeit, wie sie kaum kommunikationsfördernder sein kann. Witzig außerdem. Typisch Hasucha also. Noch dazu, weil er die Gesprächsverstärker gerne auf Vernissagen anwendet. Zweifellos das Ereignis, dass bei Wein, Häppchen und Geplapper den von Hasucha schon öfter kritisierten Disneyland-Charakter der Kunst am besten illustriert. Mit diesen, ein wenig den erhöhten Bühnenschuhen antiker Tragöden ähnelnden Plattformen an den Füßen fällt das Diskutieren der Kunstwerke gleich viel inhaltsschwerer aus.

„Interventionen“ nennt er seine künstlerischen Eingriffe

Unter dem Titel „Unterwegs zuhause“ widmet die Galerie im Saalbau Neukölln Christian Hasucha gerade eine Ausstellung. Ihn auszustellen ist komplizierter, als es klingt, denn der notorische Irritierer ist seit den achtziger Jahren mehr im Stadtraum oder der Landschaft als in Ausstellungsräumen zu Hause. „Interventionen“ nennt er seine künstlerischen Eingriffe in vorgefundene Umgebungen. Hasucha, der „Parasit“, implantiert in sein „Wirtsgebiet“ Gegenstände oder stanzt vorhandene Dinge aus und dokumentiert den vorab mit Entwurfzeichnungen skizzierten Prozess per Foto oder Video. Die sind dann in der Ausstellung zu sehen.

So wie das zugunsten eines dreidimensionalen Effekts in viele Plexiglasscheiben zerteilte Foto einer Intervention an einem rumänischen Feldweg. Da hat Hasucha Schotter und Fertigbeton aufgeschüttet und eine Balustrade aus dem Baumarkt draufgepflanzt. Fertig ist der offiziell „Am Weg“ geheißene Feldherrenhügel. Dass davon im Gegensatz zu seinen urbanen Aktionen in der menschenleeren, ländlichen Gegend kaum ein Passant überrascht worden ist, kümmert Hasucha nicht. „Wer braucht schon Publikum? Ein, zwei Forstarbeiter reichen mir.“ Und über den Umweg der Dokumentation käme es dann ja zeitverzögert doch zur ersehnten Kommunikation. An der ist ihm ebenso gelegen, wie an der Kenntlichmachung von Strukturen. Mit der kommerziellen Verwertbarkeit seiner naturgemäß meist temporären Arbeiten hat er es dafür nicht so. „Der Kunstmarkt interessiert mich nicht.“ Galeristen will er keinen, lieber pflegt er einen Verteiler von 500 Getreuen, die seine Ideen und Pläne unterstützen.

Stuhltanz. Blick in die Neuköllner Werkstatt des Künstlers.
Stuhltanz. Blick in die Neuköllner Werkstatt des Künstlers.

© Christian Hasucha

Wobei die Installation „Eigenheim“, die der 61 Jahre alte gebürtige Neuköllner aus im Saalbaukeller vorgefundenem Baugerümpel in den zentralen Galerieraum gebaut hat, sich womöglich gar verkaufen ließe. Sie ist mit einer per Bewegungsmelder anspringenden Projektion verbunden. Das auf die Baumaterialen projizierte Foto zeigt ein verputztes Einfamilienhauses. Wie von Zauberhand sehen Rigipsplatten aus wie Eingangstufen aus rosa Granit, ein oller Farbeimer mutiert zum hübschen Blumenkübel. Ein verblüffender mehrdimensionaler Effekt, der – untermalt von einem sägenden Ton – die Wahrnehmung und das Wirklichkeitsbild hinterfragt.

Wenn schon Galerieräume, dann kontextuell mit ihnen arbeiten. Auch das ist eine Spezialität von Hasucha. Den Moabiter Kunstraum „Kurt Kurt“ hat er vor ein paar Jahren mal eben um 28 Quadratmeter Außenraum erweitert. Einfach die Fensterfront rausgenommen, eine Betontreppe gegossen und davorgestellt und den Fußboden gepflastert wie Straßenraum. Nachts kamen Leute und suchten Obdach, andere beklebten die Wände. Ohne es zu wissen, waren sie Hasuchas Antwort auf seine ständige Frage „Was ist möglich in der Stadt?“ Auch bei „Kurt Kurt“ hat Hasucha hinterher wieder den Ursprungszustand hergestellt. Doch der ist durch ihn ein anderer geworden.

Gerade hat Hasucha einen Wettbewerb gewonnen

Um diesen Effekt zu erzielen, scheut der nach Jahren in London und Köln seit 1996 wieder in heimische Neukölln zurückgekehrte Künstler keine Ausgaben. Den fiesen Ton, der bei der Installation „Eigenheim“ erklingt, hat er bei einem Musiker bestellt. „Dann kam der an mit 20 Tönen und ich habe mir einen namens Glass Marimba ausgesucht.“ Und was kostet so ein Ton? „50 Euro.“ Er holt einen Ordner mit dem Überlassungsvertrag aus dem Regal. Dieses Papier, der Komponist, das sei alles Teil der Arbeit, sagt Hasucha. „Nicht nur das, was in der Galerie zu sehen ist.“ Zumal er, wenn er Buchstaben in Landschaften oder erhöhte Raseninseln in Stadträume stellt, oft auch technisch aufwendige Bauten konstruiert. In seiner Werkstatt stehen die Einzelteile aus Metall, Holz, Kunststoff.

Eine Möglichkeit für einen Marktverweigerer, Geld zu verdienen, ist Kunst am Bau. Gerade hat Hasucha einen Wettbewerb gewonnen und in einer Grundschule in Lichtenberg sein „FELD II“ auf den Schulhof implantiert. Das ist eine leicht erhöhte, den Schülern gewissermaßen als Bühne angebotene rot-weiß geklinkerte, grafische Fläche. Idee und Betitelung hat er von den ebenfalls an der Gestaltung beteiligten Landschaftsarchitekten übernommen. Hasucha lacht. „Die haben nicht damit gerechnet, dass ich ihre Pläne eins zu eins auf den Platz pflastere.“ Ja, wer rechnet damit schon? Das Unerwartete, das ist Hasucha.

Einst ließ er einen Rentner aus dem Fenster schauen

Was er gerade in Planung hat? Er zeigt die Vorbereitungen für sogenannte „Zwecklos-Tafeln“, die er – vollkommen leer – in Frankfurt/Oder in die Stadt pflanzen wird. Und die Simulation eines überdimensionierten, das Wort MITTLERWEILE bildenden Buchstabenparcours für einen Wald auf der Schwäbischen Alp. Beide Aktionen sind eher leise als laut. Mit den Jahren – inzwischen ist er bei der fortlaufenden Nummerierung seiner Interventionen bei 69 angekommen – werden seine Arbeiten stiller, sagt der Bildhauer, der ein studierter Maler ist. Nicht nur, weil er keine Massen, sondern ein Publikum mit einem Sensorium für leise Kommunikation ansprechen möchte – mit Gespür für Ästhetik und Intimität. Sondern auch, weil sich der öffentliche Raum verändert hat, weil dort einfach viel zu viel passiert. „Da lässt sich eigentlich nichts mehr toppen.“ Und wenn er an spektakuläre Aktionen von Ai Weiwei oder vom Zentrum für Politische Schönheit denkt, sagt er: „Da mache ich nicht mit.“

Wobei das bei Christian Hasucha auch schon mal anders war. „Günters Fenster“ heißt seine 35. Intervention, mit der er im Jahr 2000 in Mülheim an der Ruhr einigen Tumult ausgelöst hat. Günter, das war ein Nachbar. Der Frührentner aus dem Seitenflügel – Hasucha zeigt aus dem Remisen-Fenster – der den lieben lang Tag auf der Fensterbank seiner Einzimmerwohnung im ersten Stock hing und auf den Hof hinausschaute. Dieses Fenster, mitsamt dem Raum dahinter hat Hasucha auf ein Gerüst in der Innenstadt gebaut. Zwei Wochen lang schaute der samt Mobiliar verpflanzte Günter in Mülheim aus dem Fenster. Passanten wollten hoch zu ihm. Fernsehteams belagerten ihn. „Das wäre mir heute zu laut“, sagt Hasucha. Wie es dem Frührentner heute geht, weiß er nicht. Der ist ausgezogen. Günters Fenster aber ist noch da. Und doch ist es ein anderes geworden.

Galerie im Saalbau Neukölln, Karl- Marx-Str. 141, bis 18. 9., Di–Do 10–20 Uhr, Künstlergespräch So 11. 9., 17 Uhr, Künstlerführung Sa 17. 9., 20–22 Uhr

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