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Hitzig. Walter Gropius spricht bei der Ausstellungseröffnung 1968 zu Studierenden, die für die Erhaltung der Ulmer Hochschule für Gestaltung demonstrieren.

©  Kurt Eppler/ WKV Archiv

Kunstverein Stuttgart feiert Bauhaus: Das Echo der Meister

Der Württembergische Kunstverein Stuttgart beleuchtet seine legendäre Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ aus dem Jahr 1968. Und lässt den Besucher ratlos zurück.

„Hochansehnliche Festversammlung!“, sprach Josef Hirn die Eröffnungsgäste der Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ im Württembergischen Kunstverein an, dessen Vorsitzender er war. Als letzter der illustren Eröffnungsredner sprach an diesem 4. Mai 1968 Bauhaus-Gründer Walter Gropius; das Protokoll vermerkt danach „starken nicht endenwollenden Beifall“. Es ist ein halbes Jahrhundert her. Am Wandel der Umgangsformen ist abzulesen, wie sehr die Zeit vergangen ist.

Man kann die Reden nachlesen, sie wurden damals in einer Broschüre sorgfältig gedruckt. So wichtig nahm man die Veranstaltung. Sie war auch wichtig, denn die Stuttgarter Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ markiert ein kulturpolitisches Ereignis. Erstmals wurde „das“ Bauhaus in Gänze vorgeführt, mit seiner Lehre, seinen Meistern und Schülern, mit den dort geschaffenen Arbeiten und den Weiterungen und Wirkungen nach dem brachialen Ende der Lehranstalt 1933. Anschließend an die Stuttgarter Präsentation ging die Ausstellung auf Tournee in acht Städte in sieben Ländern auf drei Kontinenten; das unterstreicht die Bedeutung, die ihr vom finanzierenden Auswärtigen Amt beigemessen wurde. Dass insgesamt 680 000 Besucher die Ausstellung sahen, erscheint von heute aus wenig; selbst in Stuttgart wurden nur 97 000 verzeichnet. Es waren in jeder Hinsicht andere Zeiten.

Remake der damaligen Veranstaltung

Die damalige Veranstaltung wäre unwiederholbar. Sie verzeichnet rund 1500 Katalogbeiträge mit an die 2000 Einzelstücken, die in den Räumen des Württembergischen Kunstvereins gezeigt wurden. Warum Stuttgart? Dorther kommt Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer; er wurde in der Ausstellung denn auch als eine Zentralfigur gefeiert. Erst recht das Ausstellungsdesign war einmalig – entworfen von Herbert Bayer, einem Bauhaus-Eigengewächs, vom Studenten zum Meister und anschließend ein Weltstar. Er lebte damals noch, wie so manche Bauhäusler, ein halbes Jahrhundert nach Gründung der Schule in Weimar.

Die Hundertjahrfeier im kommenden Jahr naht. Der Württembergische Kunstverein unternimmt jetzt unter dem Titel „50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968“ ein Remake seiner damaligen Veranstaltung in den historischen Räumen am Schlossplatz. Sie sind nicht leer, aber doch karg besetzt. Vor allem entbehren sie der Sinnlichkeit dessen, was das Bauhaus einmal war. Sie sind nicht einmal von der faszinierenden Kühle, die das Bauhaus in seinen reifen Jahren besaß und von der die kristalline Gestaltung der deutschen Ausstellung in Paris 1930 zeugt, zwar ausgerichtet vom Werkbund, aber geleitet von Bauhaus-Gründer Gropius und gestaltet von den Bauhäuslern Marcel Breuer, László Moholy-Nagy und Herbert Bayer.

An einer Wand des großen, messehallenartigen Kunstvereinssaals ist jetzt eine Zeitschiene zur Gestaltung anzuschauen, eine sehr informative Arbeit zur Entwicklung der modernen Gestaltung in Ausstellungen, Messen, Publikationen, Reklame. Dafür steht Bayer. Das Deutschland der Weimarer Republik sah die herausragenden Ausstellungen dieser Epoche. Dann kam die Nazizeit, aber die Gestaltung setzt sich fort, sie passt sich den Inhalten an, nicht der Form. Dafür steht wiederum Bayer, der munter weitermacht, etwa mit der Werbegrafik für die Regime-Ausstellung „Deutsches Volk, Deutsche Arbeit“ von 1934. Daneben die Titelblätter für die scheinbar unpolitische Frauenzeitschrift „Die neue Linie“. Erst 1938 ging er nach Amerika, um dort bruchlos weiterzuarbeiten.

Der Katalog war ein regelrechtes Kompendium des Bauhauses

So sorgsam das alles von den jetzigen Kuratoren Iris Dressler und Hans D. Christ erarbeitet ist – was genau hat es mit der Ausstellung von 1968 zu tun? Das ist das Kardinalproblem der Veranstaltung. Sie versucht weder eine Wiederbelebung von damals – unmöglich, siehe oben – noch deren Rezeptionsgeschichte. Die 68er-Ausstellung lebte fort, im Grunde bis heute, in Gestalt des legendären Katalogs mit seinen 380 Seiten und 1000 Abbildungen. Das war ein regelrechtes Kompendium des Bauhauses, jahrelang ein gesuchtes Referenzwerk – der Kunstverein hat noch einen Stapel im Keller entdeckt und bietet das Stück für 60 Euro an. Einen eigenen Katalog der heutigen Macher indessen – neben der ausliegenden, schmalen Broschüre – sucht man vergeblich – er soll, immer wieder verschoben, nunmehr Anfang kommenden Jahres erscheinen.

Im Kunstverein geht es mit einem Mal weiter mit der „Situationistischen Internationale“, einer Künstlergruppierung der aufmüpfigen 68er-Zeit. Sie hat ihre Wurzeln in einer anderen Gruppe, „Cobra“ aus der Nachkriegszeit, deren dänisches Haupt Asger Jorn mit dem Franzosen Guy Debord zusammenarbeitete, dem Verfasser des hellsichtigen Buches „Die Gesellschaft des Spektakels“ von 1967. Ein Jahr später hatten die Situationisten ihren großen Auftritt im Pariser Mai. Davon ist in der Stuttgarter Ausstellung mehr zu lesen als zu sehen.

Interessante Gedanken werden nur ungenügend ausgeführt

Offenbar sollen Gegenpositionen zur als „bürgerlich“ aufgefassten Bauhaus-Aneignung von 1968 aufgeboten werden. Die radikale Kritik am Städtebau wird in einschlägigen Büchern vorgeführt, „Bauen als Umweltzerstörung“ oder „Profitopolis. Der Mensch braucht eine andere Stadt“. Da könnte man eine Engführung auf den Funktionalismus „der“ Moderne erwarten, zumal ein Film von Moholy-Nagy über die berühmte Schiffsfahrt der modernen Architekten nach Athen 1933 gezeigt wird. Ihr verdankt sich die berüchtigte „Charta von Athen“, die die Trennung der Lebensbereiche in der Stadt propagierte und die „autogerechte Stadt“ nach 1945 vorbereitete.

Da werden viele interessante Gedanken angerissen, doch sie werden nur ungenügend ausgeführt; mehr Materialsammlung als stringentes Konzept. Immer wiedeung taucht Ernst Neufert auf, ein Bauhäusler der allerersten Stunde, der später mit seiner „Bauentwurfslehre“ von 1936 der einflussreichste Lehrer funktionalen (Industrie-) Bauens wurde. Im Umkreis von Albert Speer machte er sich den Nazis dienstbar; später setzte er seine Karriere im Nachkriegsdeutschland fort. Neufert als Schwarzes Schaf des 1968 als strahlend gefeierten Bauhauses?

Der Besucher verlässt die Ausstellung etwas ratlos

Im Gespräch heben die Kuratoren den zweiten Bauhaus-Direktor Hannes Meyer hervor. Den mochte Gropius, der ihn doch geholt hatte, später nicht und überging ihn, um sich selbst als einzigen Bauhaus-Direktor ins Licht zu rücken; aber auch Mies van der Rohe, der dritte und letzte Direktor, wurde von Gropius übergangen. Meyer war erklärter Kommunist, aber zugleich der radikalste Funktionalist, den man sich denken kann. Dass er 1968 ausgeschlossen gewesen sei, trifft mitnichten zu; er ist, dem damaligen Katalog zufolge, gleichrangig aufgeführt. Es war die bundesdeutsche Rezeption, die ihn unterschlug; zumal die DDR, die sich erst in den siebziger Jahren zum bis dahin als „bürgerlich“ verfemten Bauhaus bequemte, nunmehr in Meyer eine Bezugsperson erwählte.

Im Kunstverein schließt sich ein Kapitel zum „Militärisch-industriellen Komplex“ an, da kann dann wieder Bayer als Problemkind herhalten; und schließlich folgt das vierte Kapitel der „Multiplen Modernen“. Es gibt etwas zur Moderne in Indien, es gibt das spätkoloniale Irrsinnsprojekt eines Hermann Sörgel mit Namen „Atlantropa“, der den Wasserspiegel des Mittelmeeres senken und Afrika eng an Europa anbinden wollte, und ganz am Ende gibt es einen Nachbau des Gärtleins, das Albert Speer im Spandauer Gefängnis anlegen durfte und wo er während der 20-jährigen Haft sagenhafte 30 000 Kilometer Fußmarsch absolvierte. Aber „multiple Modernen“? Da müsste man denn doch tiefer schürfen.

Der Besucher verlässt den Kunstverein ratlos. 1968, als die opulente Bauhaus- Feier stattfand, demonstrierten Studenten der Ulmer Hochschule für Gestaltung, die kurz vor der Schließung statt. Drinnen die Honoratioren, draußen die Studenten, das war die exemplarische Konfrontation der 68er. Von der damaligen, gewittrigen Energie ist im Kunstverein kaum mehr etwas zu spüren.

Am Nachmittag gab’s in Stuttgart tatsächlich ein Gewitter. Aber nur draußen.

Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, Schlossplatz 2, bis 23. September.

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