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Tilda Swinton als Anführerin eines Hexenkults in Berlin.

© Alessio Bolzoni/Amazon Studios

LIDO Lichtspiele (3): Der Blitz und das Blutballett

Am Lido fällt das Licht aus, und ein Berliner Hexenquartett macht die Stadt unsicher: Tag 4 der Filmfestspiele von Venedig.

Von Andreas Busche

Venedig ist in ihrem 75. Lebensjahr eine großzügige alte Dame, manchmal allerdings kann sie sich auch als launische Diva aufführen. Am Freitag müssen das die Premierengäste von „A Star is Born“ mit Bradley Cooper und Lady Gaga erfahren, als ein Gewittersturm die Technik im Palazzo del Casinò zum Erliegen bringt. Ein Blitzeinschlag soll eine Projektorlampe durchgebrannt haben, die Vorführung muss unterbrochen werden. Tags darauf sind die Spuren des Naturschauspiels noch immer auf dem Lido zu sehen, es hat sich eingeregnet. Aber das Festival hat schon Schlimmeres überstanden: Im vergangenen Jahr verwandelte sich der Lido nach heftigen Regenfällen in eine Mini-Lagune.

Die alte Dame hat aber auch einiges vorzuweisen, und sie zeigt es gerne. Die Augen von Mostra-Nostalgikern bringt in diesem Jahr die Nachricht zum Leuchten, dass das Festival erstmals seit der Schließung 2010 wieder das Grand Hotel des Bains, das neben dem Hotel Excelsior zum historischen Lido-Ensemble gehört, bespielt. Visconti drehte hier „Tod in Venedig“, dessen restaurierte Fassung dieses Jahr auf dem Festival läuft. In den finsteren Berlusconi-Jahren fiel das Hotel in die Hände russischer Investoren, seitdem steht der Prachtbau leer.

Die transalpine Achse war in den Nazi-Jahren stark

Die Ausstellung „Die erste Mostra der Welt“ zeigt Schnappschüsse aus der 75- jährigen Festivalgeschichte, dafür wurde das Erdgeschoss des „Bains“ eröffnet. Die bröcklige Patina der Wände und Säulen verbreitet morbiden Venedig-Charme, die Bilder sind eine Zeitreise in eine Kino-Ära, als „Glamour“ noch mit jeder Faser gelebt wurde: Barbara Stanwyck und Robert Taylor in einer Gondel vor Postkartenkulisse, aber auch Festivalgründer Giuseppe Volpi neben Goebbels. Die transalpine Achse war in jenen Jahren stark, in Venedig debütierten alle „Größen“ des NS-Kinos: Leni Riefenstahl mit „Triumph des Willens“, Veit Harlan mit „Jud Süß“. Das Casino, ein modernistischer Bau von zeitloser Schönheit, entstand 1937 auf Mussolinis Wunsch. Ob Lady Gaga das weiß?

Ein italienischer Meisterregisseur, der in der Ausstellung fehlt, ist Dario Argento, psychedelischer Blutfürst des „Giallo“-Genres. Das „Suspiria“-Remake von Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“) gehört dieses Jahr zu den meistantizipierten Filmen. Argento gilt im italienischen Kino noch immer als Außenseiter, Guadagnino verschafft ihm nun Gerechtigkeit.

Radikales Matriarchat der Hexen

Sein Remake changiert brillant zwischen Arthouse und Camp, zwischen dem Ancien Régime eines Hexenkults (angeführt von Tilda Swinton) und der autoritären Bundesrepublik im „Deutschen Herbst“. Er hat die Geschichte nach Berlin verlegt und in elegisches Kalter-Krieg-Grau getaucht. Dakota Johnson spielt eine Ballettschülerin, die in die geteilte Stadt kommt und erkennen muss, dass die Schule (direkt an der Mauer) von Hexen geleitet wird, unter ihnen Ingrid Caven, Angela Winkler und das afrikanische Model Alek Wek. Argento-Fan Guadagnino dimmt die exzessive Farbdramaturgie des Originals, fährt dessen unterschwellige Misogynie runter: Bei ihm formieren die Hexen ein radikales Matriarchat. Quentin Tarantino soll nach einer Privatvorführung geweint haben. Und er hat recht: Dieses Blutballett ist zum Sterben schön.

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