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Mutter mit Kind.

© dpa

#regrettingmotherhood und die Folgen: Freiheit für die Mütter

Vier Bücher diskutieren, was es heißt, heute Mutter zu sein. Eine Rezension.

Vor knapp einem Jahr hat die Studie der israelischen Soziologin Orna Donath „Regretting Motherhood – A Sociopolitical Analysis“, erschienen in dem Fachmagazin „Signs: Journal of Women in Culture and Society“, zu einer breiten Diskussion geführt. Besonders in sozialen Netzwerken wie Twitter wurde sie unter dem Hashtag „#regrettingmotherhood“ kontrovers diskutiert. Die kleine Studie, der 23 Interviews mit Müttern im Alter von Anfang 20 bis 70 Jahren über ihre kritisch-ambivalente bis ablehnende Haltung zu ihrer eigenen Mutterschaft zugrunde lagen, schaffte es sogar bis ins „heute journal“.

Donaths „bereuende Mütter“ lösten in Deutschland mehr Aufruhr als in Israel aus

Zwar war schon im Jahr 2008 mit „No kid. 40 Gründe, keine Kinder zu haben“ ein Buch der französischen Psychoanalytikerin und zweifachen Mutter Corinne Maier zur gleichen Thematik auf Deutsch erschienen, aber dieser Titel wurde längst nicht so breit rezipiert wie Donaths Studie. Im vergangenen Jahr schlugen nun die Wellen hoch. Den „bereuenden“ Müttern wurde in sozialen Netzwerken, aber auch in großen Zeitungen von konservativen Medienrepräsentanten Egoismus und Kälte oder doch gleich „Selbstmitleid in Perfektion“ (Birgit Kelle) vorgeworfen, oft in Verbindung damit, die eigenen Qualitäten als Mutter anzupreisen. Andere verteidigten die Frauen wieder, priesen ihren Mut für das öffentliche Eingeständnis, in der Mutterschaft nicht das Glück ihres Lebens gefunden zu haben, sondern, im Gegenteil, oft unter dieser Aufgabe gelitten zu haben. Sie plädierten für weniger normierte Vorstellungen davon, welche Rolle die Mutterschaft im eigenen Leben spielen sollte und sahen in Deutschland immer noch einen überhöhten „Mütter-Mythos“ am Werk. Donaths „bereuende Mütter“ lösten in Deutschland mehr Aufruhr als in Israel aus. Hier schien ein empfindlicher Nerv getroffen worden zu sein, zumal sich die Bundesregierung seit Jahren mit bisher wenig sichtbarem Erfolg bemüht, die Geburtenrate anzuheben. Die Unversöhnlichkeit, die in der hart geführten Debatte zum Ausdruck kam, steht sinnbildlich für die konträre Haltung, die derzeit in Deutschland zum Thema Mutterschaft eingenommen wird: vom neuen neobiedermeierlichen Familienkult bis hin zur wachsenden Zahl von Frauen und Männern, die sich grundsätzlich gegen Kinder entscheiden. Der minimale Anstieg der Geburtenrate ist lediglich darauf zurückzuführen, dass sich mehr Eltern für ein zweites oder drittes Kind entschieden haben; die Zahl der Kinderlosen ist leicht gestiegen. Nun, knapp ein Jahr später, erscheinen gleich vier lesenswerte Bücher, die sich mit dem Phänomen Mutterschaft heute auseinandersetzen. Die Autorinnen sind allesamt zwischen Anfang 30 und Anfang 40. Eines dieser Bücher ist von Orna Donath. Wenn man es nun liest, bedauert man, dass die eifrigen Kommentatoren aus dem vergangenen Jahr keine vertiefte Kenntnis von ihrer Studie gehabt hatten. Dann hätten sich viele der hasserfüllten Allgemeinplätze über „kalte Mütter“ nämlich von selbst erledigt. Die 39-jährige Soziologin der Ben-Gurion Universität des Negev in Beer Sheva hatte sich gefragt, warum sich bisher das wissenschaftliche Interesse stets auf Frauen gerichtet hat, die keine Kinder bekommen konnten oder wollten. Könnte es nicht auch Mütter geben, denen die Mutterschaft nicht in dem erwarteten und gesellschaftlich suggerierten Maße Glück und Sinnstiftung gegeben hatte? Um nichts anderes geht es in „#regretting motherhood“. Die Aufregung ist im Nachhinein kaum nachvollziehbar. Keine der Mütter sagt, dass sie ihre Kinder nicht lieben würde, manche nehmen jedoch eine innere Distanz zu ihren Kindern wahr, die bei ihnen starke Schuldgefühle hervorruft. Es tut sich bei den befragten Frauen meist eine Kluft auf zwischen ihrer Liebe zu den Kindern und dem Gefühl, an der Mutterschaft gescheitert zu sein, versagt zu haben, überfordert gewesen zu sein, keine Zeit für sich gehabt zu haben. Einige von ihnen hat es hart getroffen: alleinerziehend mit mehreren kleinen Kindern, mit schwierigen, verhaltensauffälligen Kindern, liiert mit gewalttätigen Partnern. Dennoch, darauf legt Donath wert, lässt sich nicht einfach ableiten, dass „bereuende“ Mütter einer bestimmten sozialen Schicht, Bildungsstufe oder dem Familienstand „alleinerziehend“ zuzuordnen seien. Vereinsamte und überforderte Mütter finden sich in allen Segmenten der Gesellschaft. Gemeinsam ist ihnen das Gefühl, überfordert und zu kurz gekommen zu sein.

„Ich fand, ich gab einfach zu viel auf“

Wenn man einige der Fallbeispiele liest, fragt man sich, wie die Mütter es überhaupt geschafft haben, am Leben zu bleiben. Ihr Einsatz für ihre Kinder fällt meist weit überdurchschnittlich aus. Da berichtet eine Mutter, wie sie aus Geldmangel mehrere Jobs gleichzeitig ausüben musste, drei Kinder und keinen Partner hatte, und mit den Kindern bis 23 Uhr Hausaufgaben erledigen musste, weil die Schulschwierigkeiten hatten. Hilfe von außen gab es nicht. Einige der bereuenden Mütter sind schlicht aufgrund einer nicht behandelten Depression um ihre Gefühle gebracht worden. Manche machte es unglücklich, ihr eigenes Leben aufgeben zu müssen, um Kinder großziehen zu können – eine Verzichtleistung, die Väter äußerst selten bringen: „Es ging einfach nur darum, mein Leben komplett aufgeben zu müssen. Ich fand, ich gab einfach zu viel auf“, beschreibt etwa die 26-jährige Odelya, Mutter von drei kleinen Kindern, ihre Situation. Donath möchte Frauen Mut machen, auch offen über negative Gefühle zu sprechen, die mit der Mutterschaft verbunden sein können. „Eine Mutter spricht nicht über ihre Erschöpfung. Das ist gesellschaftlich nicht erwünscht“, erklärt auch die Soziologin Christina Mundlos. Die meisten Gesprächspartnerinnen von Donath haben negative Erfahrungen mit ihrer Herkunftsfamilie gemacht, verfügen über kein positives inneres Leitbild von „Familie“. Eine Befragte wechselt stets die Straßenseite, wenn sie ihre Mutter sieht. Donaths Buch ist ein sehr trauriges Buch.
Wenn „#regretting motherhood“ etwas deutlich macht, dann, dass Mütter nicht nur eine postnatale Depression haben können, sondern auch in späteren Phasen der Mutterschaft zum Teil dringend Hilfe und Unterstützung benötigen. Und nicht jede Frau muss unbedingt in der Mutterschaft den Sinn ihres Lebens finden können. „Es ist die Gesellschaft, die entscheidet, dass Frauen Kinder wollen, wollen sollen – oder irgendwann, früher oder später in ihrem Leben, wollen werden“, sagt die Soziologin Mundlos.
Die Journalistin Esther Göbel hatte Orna Donaths Studie im vergangenen Jahr mit einem Artikel („Ich will mein Leben zurück“) in Deutschland bekannt gemacht. In „Die falsche Wahl. Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen“ plädiert sie für ein vertieftes Verständnis von Donaths Ansatz. Ambivalenzen zwischen Liebe zum Kind und dem Gefühl, als Mutter „ungeeignet“ zu sein, seien an sich nicht ungewöhnlich. Ambivalenzen gehören zum Leben dazu, erklärt auch die von Göbel zitierte Hamburger Psychologin Brigitte Ramsauer vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: „Es geht um die Fähigkeit, diese gegensätzlichen Gefühle anzuerkennen, zu tolerieren, in sich und in den eigenen Alltag zu integrieren. Darin besteht der Reifeprozess.“ Göbel erinnert auch daran, dass die Vorstellung von Müttern, die sich in die eigenen vier Wände zurückziehen, um sich ausschließlich dem Nachwuchs zu widmen, eine historisch junge Erfindung sei. Dieses Familienmodell setzte erst ein, nachdem im Zuge der Industrialisierung die gemeinsame Arbeit auf dem Feld zunehmend aufgegeben wurde. Göbel setzt sich auf differenzierte Weise mit überhöhten Ansprüchen an moderne Mütter in Deutschland auseinander, von Karriere über wohlgeratene Kinder bis hin zum schönen Haus und zur abwechslungsreichen Freizeitgestaltung für die ganze Familie. Sie bemängelt auch die mit den gesellschaftlichen Erwartungen an perfekte Mütter einhergehende Konkurrenz und mangelnde Solidarität zwischen Frauen – ein Aspekt, der bei Donaths Gesprächspartnerinnen ebenfalls eine Rolle spielte.
Anlass für ihr Buch war unter anderem die eigene Lebenssituation. Mit Anfang 30, „im besten gebärfähigen Alter“, wunderte sie sich über die Entschlossenheit, mit der Frauen in ihrer Umgebung ihr eine Mutterschaft nahelegten, als wäre diese Entscheidung alternativlos. Bisher unabhängig erschienene Freundinnen sagten ihr plötzlich, es sei die „Pflicht jeder Frau, ein Kind zu gebären“. Göbel hat gern als Babysitterin und Au-pair gearbeitet, mit Kindern in einer WG zusammengelebt. Aber sie möchte das Gefühl haben, eine freie Entscheidung treffen zu können und nicht einem gesellschaftlichen Druck nachgeben zu müssen.

Unter dem Deckmäntelchen der Emanzipation würden auf Kosten der Kinder ökonomische Interessen vertreten

Die Reisejournalistin und Moderatorin Sarah Fischer beschreibt in „Die Mutterglück-Lüge. Warum ich lieber Vater geworden wäre“ anschaulich, wie stark sich ihr Leben nach der Geburt ihrer Tochter verändert hat und wie wenig das ihres Mannes. Und das, obwohl sie doch gemeint hatte, einen „unkonventionellen“ Mann geheiratet zu haben, mit dem sie sich die Erziehungsarbeit gleichberechtigt teilen wollte. Die Freiberuflerin erhält immer weniger Aufträge, oft wird sie erst gar nicht angefragt, weil man ja gehört hätte, dass sie Mutter geworden wäre. Als ein Traumjob in Asien eine mehrwöchige Abwesenheit bedeuten würde, wird Fischer von allen Seiten bearbeitet, abzusagen, weil es nicht vorstellbar sei, ein kleines Kind „allein“ zu lassen. Dass der Vater und die Tagesmutter für das Kind da sein würden, wird übersehen. Kein Mensch käme auf die Idee, einem Vater solch eine Absage unter Heraufbeschwörung moralischen Versagens nahezulegen, wenn ihm ein höchst lukrativer Auftrag vermittelt worden sei. Fazit: Auch im 21. Jahrhundert sind Mütter noch lange nicht da angekommen, wo sie sein wollten. Von Gleichberechtigung kann spätestens ab der Geburt eines Kindes nicht mehr die Rede sein.
Alina Bronsky, Schriftstellerin und Publizistin, unter anderem durch ihren Jugendbuch-Bestseller „Scherbenpark“ und den Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“ bekannt geworden, hat mit „Die Abschaffung der Mutter“ ein Buch veröffentlicht, das viele der Gründe nennt, die auch den „bereuenden Müttern“ das Leben schwer gemacht haben: Sie plädiert für mehr Selbstbewusstsein der Mütter und für einen zurückhaltenden Staat, der Schwangere nicht gleich zu Patienten erklärt und Familien nicht vorschreibt, ob und wann sie ihr Kind in eine Kita geben. Hier spricht zwar keine „bereuende“ Mutter, aber doch eine, die, gemeinsam mit ihrer Ko-Autorin, der Geburtsbegleiterin Denise Wilk, den Finger auf Missstände der Familienpolitik in Deutschland legt.
Während Göbel und Fischer sich wünschen, dass Mütter stärker, auch durch staatliche Maßnahmen, entlastet werden, möchte Bronsky den Spielraum für Mütter nicht weiter verkleinern. Sie sieht eine Einmischungs- und Bevormundungskultur am Werk, deren Ziel es ist, Mütter möglichst zeiteffizient in den neoliberal geprägten Arbeitsmarkt einzuspeisen. Unter dem Deckmäntelchen der Emanzipation würden auf Kosten der Kinder hauptsächlich ökonomische Interessen vertreten. Es sei nicht im Interesse der Kinder, möglichst früh und möglichst lange von zu Hause wegorganisiert zu werden, nur damit die Mutter sich nach der denkbar kürzesten Pause in irgendeinem Büro „selbst verwirklichen“ kann. Mütter seien auf dem Arbeitsmarkt noch lange nicht da angekommen, wo Väter sind, nun würde der Bereich, auf dem sie eine gewisse Autonomie besäßen, auch noch beschnitten werden. Sie sieht Mütter in diesem Prozess der staatlich unterstützten Befreiung vom Kind nicht in erster Linie als Gewinnerinnen, sondern als Verliererinnen. Wie Göbel und Fischer plädiert sie vor allem für die Selbstbestimmung der Frauen. Ob eine Frau Kinder bekommen möchte oder nicht, ob sie ihr Kind früher oder später oder gar nicht in die Kita schicken möchte, sollte ihr überlassen und nicht Diskursgegenstand sein.
Man kann nur froh über das Erscheinen dieser Bücher sein: Sie kritisieren auf unterschiedliche Weise die Situation von Müttern heute. Und da ist noch viel Luft nach oben.

Tanja Dückers ist Schriftstellerin.

Alina Bronsky, Denise Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert und abkassiert – warum es so nicht weitergehen darf. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016. 240 Seiten, 17,99 Euro.

Orna Donath: #regretting motherhood. Wenn Mütter bereuen. Knaus, München 2016, 272 Seiten, 16,99 Euro.

Sarah Fischer: Die Mutterglück-Lüge. Regretting Motherhood. Warum ich lieber Vater geworden wäre. Ludwig, München 2016. 238 Seiten, 16,99 Euro.

Esther Göbel: Die falsche Wahl. Wenn Frauen ihre Entscheidung für Kinder bereuen. Droemer, München 2016. 221 Seiten, 19,99 Euro.

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