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Hirni. Ferris MC von Band Deichkind beim Lollapalooza-Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafen Tempelhof.

© Britta Pedersen/dpa

Lollapalooza-Festival in Berlin: Leider ungeil

Schlangestehen mit Musikbegleitung beim ersten Tag des Berliner Lollapalooza-Festivals. Mit Konzerten von Hot Chip, Deichkind, Macklemore & Ryan Lewis und den Libertines.

Was für ein Debakel: Menschenschlangen, überall Menschenschlangen. 50 Meter, 100 Meter, 200 Meter - alles dabei beim ersten Lollapalooza-Festival auf europäischem Boden. Sowohl am Haupteinlass als auch an den Schaltern für VIP- und Pressekarten gibt es am Auftakt-Tag lange Wartezeiten. Am schlimmsten ist jedoch die Toiletten-Situation: Für rund 40.000 Besucherinnen und Besucher des bereits vorab ausverkauften Festivals steht nur ein kleines WC-Areal zu Verfügung, vor dem man bis zu einer Stunde anstehen muss. Viele Männer erleichtern sich deshalb am Zaun neben der Anlage, die überdies von einem Kanalisationsproblem heimgesucht wurde.
Auch etwas zu essen zu erwerben, dauert mindestens eine halbe Stunde. Dass die Veranstalter im Netz mit einem englischen Spruch für ihr bargeldloses Bezahlsystem werben, der „Keine Schlangen“ verspricht, grenzt an Publikumsverhöhnung. Denn es gibt nur einen Ort für den das wirklich gilt: die zahlreichen Getränkestände. Hier geht es fix. Allerdings hemmt der Gedanke an die Toilettensituation den Durst immens.

FFS sind live mitreißender als auf Platte

Immerhin: Das Wetter ist gut, und es spielen sogar einige spannende Bands. Von der Alternative Stage weht das melancholische Falsett von Alexis Taylor herüber. Die cleveren Dance-Hits seiner Band Hot Chip passen eigentlich besser in die Nacht und in geschlossene Räume. Doch als gegen Ende ihres Sets, die Sonne hinter einer Wolke hervorkommt und direkt in die Gesichter der Fans scheint, ist das ein schöner Festival-Moment. Abgerundet noch durch den letzten Song, einen schnellen Club-Remix von Bruce Springsteens „Dancing In The Dark“.

Bis zum Tanzen im Dunkeln dauert es noch ein bisschen, die Menge vor der zweiten Hauptbühne schaukelt aber schon ordentlich mit, als FFS auftreten - das Projekt des schottischen Quartetts Franz Ferdinand mit dem amerikanischen Brüder-Duo Sparks. Sie spielen Songs von ihrer gemeinsamen Platte, die live um einiges mitreißender sind als auf der Stereoanlage. Gegen Ende streuen sie ältere Stücke wie Franz Ferdinands Hit „Take Me Out“ oder den Sparks-Song „This Town Ain‘t Big Enough For Both Of Us“ ein. Die Herren haben sichtlich Spaß an der generationsübergreifenden Pop-Sause. Sie spielen mal zu viert vierhändig ein Keyboard oder hauen auf Zusatz-Trommeln herum, während der 70-jährige Sparks-Pianist Ron Mael mit breitem Grinsen eine Art Aerobic-Tänzchen aufführt.

Deichkind tragen Jogginganzüge mit "Refugees welcome"-Aufschrift

Nach Frauen sucht man an diesem Abend vergeblich auf den Lollapalooza-Bühnen. Einzige Ausnahme: Lauren Mayberry von der Glasgower Elektropop-Gruppe Churches. Sie wirkt ein bisschen verloren zwischen ihren beiden Kollegen an den Gerätepulten. Und ihre dünne, meist verhallte Stimme hat es oft schwer, durch den Wummer-Sound zu dringen. Bei leiseren Stellen mischen sich überdies die von der Hauptbühne herüberschallenden Klänge dazu.

Rauchende Volts. Festivalbesucher beim Lollapalooza-Festival in Tempelhof.
Rauchende Volts. Festivalbesucher beim Lollapalooza-Festival in Tempelhof.

© Britta Pedersen/dpa

Solche Probleme haben Deichkind nicht, die bei ihrem letzten Konzert des Jahres noch einmal eine knallbunte, superlaute Partyshow feiern. Leuchthelme, Konfettikanonen, Wasserpistolen - es muss flackern, es muss knallen. Dazu bollern die Beats, und die drei MCs feuern ihre Slogans raus: „Like mich am Arsch“, „Bück dich hoch“, „Leider geil“ - alles dabei. Auch die weißen Jogginganzüge mit der „Refugees Welcome“-Aufschrift, mit denen sie im April bei den Echos aufgetreten waren, kommen wieder zum Einsatz. Dass Deichkind dabei in einem riesigen Holzfass durch die Menge fahren und die Sauf-Hymne „Roll das Fass rein“ grölen, passt in ihr Party-Politik-Crossover-Konzept.

Die amerikanische Variante dieser Mischung demonstriert anschließend der Auftritt von Macklemore & Ryan Lewis auf der Hauptbühne, zu dem es vor allem die jüngeren Leute zieht. Der 32-jährige Rapper macht immer wieder sehr lange Ansagen, in denen es um seine Tochter, Schnitzel, aber auch um die deutsche Flüchtlingspolitik geht, die er lobt. Dann zelebriert er zusammen mit Ryan Lewis und der fünfköpfigen Band die Hits von ihrem selbstverlegten Album „The Heist“, das vor zwei Jahren Streaming- und Downloadrekorde aufstellte. Es steckt voller toller Hooklines, die meist von Gastsängern übernommen werden. In Berlin werden sie alle vom Band eingespielt, nur bei „Thrift Shop“ ist Wanz, der Mann für die vier Mitsing-Zeilen, auch auf der Bühne. Macht aber nichts. Die homofreundliche Hymne „Same Love“ erzeugt auch so Gänsehaut und beim abschließenden „Can‘t Hold Us“ singen die Fans einfach selbst „So we put our hands up like the ceiling can‘t hold us / Like the ceiling can‘t hold us“. Arme hoch - und plötzlich ist sogar das ganze Schlangen-Generve vergessen. Nadine Lange

Die Libertines sind in Form

Eins muss man den Libertines lassen: Für erhöhte Spannungsmomente sind sie immer gut, weil nie klar ist, ob sie ihre angekündigten Auftritte absolvieren oder nicht. Zwei Konzerte in England hatte die Band kurz vorher ausfallen lassen, wegen „unvorhergesehener Umstände“ und „eines medizinisches Ausfalls“, wie es hieß. Und so gab es auf dem Gelände des Tempelhofer Flugfeldes zumindest im Publikum Sorge bezüglich der Libertines-Show. Dass sie kommen würden, lässt sich an diesem Abend jedoch schon sehen, als ihr rotes Banner als Bühnenbild aufgezogen wird. Und dann sind sie da, alle in Schwarz, Doherty und Barât mit Hüten, und legen kräftig dissonant und krachig mit „Horrorshow“ los, was aber wohl vor allem zum Warmwerden und dem letztem Soundcheck dient..

Gut mit Hut. Pete Doherty, Frontmann der Libertines, hat sich zu einem Auftritt bequemt.
Gut mit Hut. Pete Doherty, Frontmann der Libertines, hat sich zu einem Auftritt bequemt.

© Gregor Fischer/dpa

Ja, sie scheinen in Form zu sein, grüßen mit „Guten Morgen!“ – und doch wirkt ihr Auftritt seltsam zerrissen, zerhackt, wollen oder können die vier Musiker, insbesondere die zwei Masterminds, ihre eigentlich kompakten Hits nicht auf den Punkt bringen. Ständig spielen sie bekannte Riffs kurz an, daddeln herum, nehmen sich gegenseitig die Zigarette aus dem Mund, um dann bekannte Refrains und Liedzeilen zu singen, was das Publikum aber nur kurz zum Hüpfen bringt. „Can’t Stand Me Now“ funktioniert am besten, das Stück geht gut rein. Aber Hits vom neuen Album wie „Gunga Din“ und „Fame and Fortune“ klingen verhalten-milchig – so, als gäbe es hier die Band, dort die Musik, und es will und will nicht zusammenpassen. Man fragt sich, ob dieser inkonsistente Melody-Rumpelkram noch Punk oder schon professioneller Rock ist? Ein Zwiespalt, der sich bis zu den Libertines-Zugaben nicht auflöst. Aber so gehört sich das bei Lollapalooza: Indifferenz ist Trumpf. „Be different“ und „Be Alternative“ steht rechts und links groß auf der Alternative Stage. Gegenüber jedoch dürfen und müssen alle modernen Individualisten an Merchandising-Buden ihre Bändchen mit Karten oder Bargeld nachladen.

Wie vorbei die achtziger Jahre doch sind

Wie eine Parodie auf das Anderssein wirken die „Be different“- und „Be Alternative“-Aufrufe. Denn die Gründung der Lollapalooza-Festivalreihe in den USA in den neunziger Jahren sorgte ja schon für die Mainstreamisierung und Kommerzialisierung von Alternativkultur und Alternative Rock. Nirvanas Kurt Cobain dürfte sich in seinem frisch zugeschaufelten Grab verzweifelt hin- und hergewälzt haben: Er hat das alles kommen sehen, miterleben müssen, nie gewollt!

Lollapalooza mag ein ausgewiesenes Rockfestival sein. Die Berliner Bandauswahl aber erinnert mehr an den Vorgänger auf dem Flughafen Tempelhof, das Berlin-Festival. „Welcome to the eighties, nineties“, um es mit Mark E. Smith zu sagen. Von Hot Chip, die als Zugabe Springsteens „Dancing In The Dark“ spielen, über FFS bis zu Fatboy Slim. Und ein bisschen Techno und Hochgeschwindigkeitsdubstep gibt es auch:<TH>Digitalism zum einen, wobei die Visuals mehr hermachen als ihr Poptechno. Und vor allem Dog Blood, ein Seitenprojekt des US-Electro- und Dubstepproduzenten Skrillex. Hier zuckt das Publikum ohne Unterlass schön hypernervös, wirft den Kopf unruhig-ausgelassen hin und her, erfreut sich an Nebelkanonaden und Flammenbildern – ist aber komplett irritiert, als ein langes, gut zwei Minuten dauerndes DAF-„Mussolini“Sample das Beatgeschleuder unterbricht. Wie lahm das klingt, wie vorbei die achtziger Jahre doch sind!

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