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Frankie (Frederic Phung, mi.) und Lars (Jens Mondalski) reißen aus, um die Tante in Madagaskar zu besuchen. Oder war es doch Magdeburg?

© David Baltzer/Grips

„Magdeburg hieß früher Madagaskar“ am Grips Theater: Es lebe die Anna Schi!

Jugendautor Zoran Drvenkar inszeniert am Grips Theater das Ausreißerstück „Magdeburg hieß früher Madagaskar“.

Mit einem blauen Auge davongekommen – der Spruch trifft’s im Falle von Lars wirklich nicht. Der Sechsjährige hat in der Schule gefehlt. Und als sein bester Kumpel Frankie nach ihm sehen möchte, wird er von Lars’ Mutter unter ziemlich fadenscheinigen Vorwänden abgewimmelt. Fieber, Bettruhe, so was eben. Der Freund lässt trotzdem nicht locker, und die Wahrheit kommt bald ans Licht, in Form eines blühenden Veilchens im Gesicht des Spielkameraden. Der Mutter ist „die Hand ausgerutscht“, wie die schließlich selbst zugibt. Verständlich? Kommt drauf an. In jedem Falle unverzeihlich.

Im Stück „Magdeburg hieß früher Madagaskar“ am Grips-Theater geht es unter anderem um ein Thema, das Erziehungsberechtigte seit je beschäftigt hat. Darf man seine Kinder schlagen? Noch vor ein paar Jahrzehnten wäre die Antwort recht eindeutig ausgefallen. Aber glücklicherweise ändern sich manche Dinge tatsächlich auch zum Besseren. Seit November 2000, also reichlich spät, ist körperliche und seelische Gewalt in der Erziehung mit einem eigenen Paragraphen im BGB verboten. Was freilich nicht bedeutet, dass Backpfeifen oder ein „Klaps“ auf den Po nun kaum mehr vorkämen. Geschlagen wird weiter – nur mit schlechterem Gewissen als früher, wie Studien belegen.

Zuhause herrscht dicke Luft

Auch bei „Madagaskar“-Autor Zoran Drvenkar weiß die Mutter von Lars im Grunde, dass sie Mist gebaut hat. Versucht sich aber mit Floskeln à la „Es war ein Unfall“ oder „So was passiert eben“ rauszureden. Und irgendwie kann man sie ja auch verstehen. Zuhause herrscht unentwegt dicke Luft, der Vater hat seit einem halben Jahr keine Arbeit mehr, der Druck ist groß. Hier herrschen keine asozialen Verhältnisse. Bloß die Nöte, denen so ziemlich jeder sehr schnell ausgesetzt sein kann. Also – alles verzeihlich?

Frankie tritt dem mit einer ziemlich frühreifen Entschiedenheit entgegen: „Nee, Frau Bachmann, so was darf nicht passieren.“ Als Nothelfer und Kämpfer für die Gerechtigkeit zieht er kurzerhand mit gepackter Tasche bei Lars ein, entschlossen zu bleiben, bis es dem Freund besser geht. Der trägt sich angesichts der Situation zuhause schon mit Auswanderungsgedanken. Nach Madagaskar soll es gehen, wo die Tante wohnt. Ist gar nicht weit weg. Oder hieß es Magdeburg?

Unter der Regie von Frank Panhans spielt Jens Mondalski Lars, den Jungen zwischen den Fronten der Eltern, der seiner Mutter sagt: „Ich habe Angst vor dir.“ Frederic Phung gibt Frankie, den treuen Kumpan, der bereit ist, bis zum Äußersten mitzugehen. Eben: nach Madagaskar. Die Szenen, in denen die beiden per Anhalter aufbrechen wollen, zählen zu den vergnüglichsten in diesem Stück. Sie begegnen einem Punk (René Schubert in einer von mehreren kleinen Rollen), der ihnen die ganz leicht verständliche Lebensweisheit mitgibt: „Es lebe die Anarchie!“ („Und wer ist Anna Schi“?). Einem alten Paar, das („Das müssen Ausländer sein. Fahr schnell weiter, bevor sie nach Geld fragen“). Oder einem Polizisten, der mit Haft bei Grütze und Spülwasser droht. Da ist die Grips-Welt noch in Ordnung.

Weglaufen ist keine Lösung

Panhans inszeniert diese Aufbruchsversuche im schlanken Bühnenbild von Jan A. Schroeder, das aus klappbaren Holzwänden mit Tür- und Fensteröffnung besteht. Die können je nach Bedarf zum Haus zusammengeschoben, oder zur Front aufgefächert werden, über die per Projektion gezeichnete Autos brausen. Sehr schön. Mit der Madagaskar-Reise wird es freilich trotzdem nichts, Weglaufen ist keine Lösung. So lautet eine der unaufdringlich transportierten Lehren bei Zoran Drvenkar, der fürs Grips vor über zehn Jahren seinen mitreißenden, harten Jugendroman „Cengiz und Locke“ dramatisiert hat.

„Magdeburg hieß früher Madagaskar“, als Hörspielfassung mit dem Deutschen Kinderhörspiel-Preis 2015 ausgezeichnet, ist auch für ein jüngeres Publikum geeignet. Die werden vor allem über die klasse gespielte Freundschaftsgeschichte erreicht. „Immer, wenn sich einer fürchtet, muss der andere stark sein“, fasst Frankie die Botschaft des Stücks zusammen.

Die nächste Vorstellung ist am 24. März, weitere folgen im April und Juni

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