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Vater und Filmsohn. Lustig mit Ruben Niborski in Joshua Weinsteins „Menashe“.

© Federica Valabrega

„Menashe" bei der Berlinale: Alleinerziehender, orthodoxer Jude kämpft mit Vorurteilen

Menashe Lustig spielt in Joshua Weinsteins Spielfilmdebüt "Menashe" einen alleinerziehenden Vater und orthodoxen Juden. Ein Treffen mit dem chassidischen Hauptdarsteller.

Als Menashe Lustig zum ersten Mal in seinem Leben einen Film im Kino sieht, ist er 38 Jahre alt. Der Film heißt „Menashe“, wie er selbst. Er selbst ist der Hauptdarsteller. Das war beim Sundance Festival vor vier Wochen.

Jetzt sitzt Menashe Lustig, dessen orthodoxe Gemeinde mit der säkularen Welt eigentlich nichts zu tun haben will, mit seinem Regisseur Joshua Weinstein im Filmhaus am Potsdamer Platz und sagt, man müsse es mit seinen Problemen, seinen inneren Knoten, machen wie mit, na, wie heißen diese Steine noch? Ja, wie mit Gallensteinen. Man müsse sie herausholen, sie in einen Rahmen packen, sie von sich fernhalten, dann könne man sie ansehen. Dann könne man Diamanten daraus machen.

Möglicherweise ist der Film „Menashe“, der momentan im Programm des Forums läuft, vor allem wegen dieser Haltung ein so funkelnder Hybrid, in dem sich Fiktion und Realität die Hand reichen. Es ist ein Film über die Gesetzmäßigkeiten in der verschlossenen, jüdisch-orthodoxen Gemeinde im Borough Park in New York, der in etwa der Spur von Lustigs Leben folgt: Menashe führt ein Leben, das ihm quasi dauerhaft die Schweißperlen auf die Stirn treibt.

Die bartumkränzten Münder murmeln

Vielleicht ist es der New Yorker Sommer, aber wahrscheinlicher ist es sein stetes Ungenügen, weshalb er von allen getadelt wird: Dieser Witwer, der nicht einmal pünktlich zur Arbeit in seinem Supermarkt erscheinen kann und bei einer Lieferfahrt mit offenen Türen gefillten Fisch für tausend Dollar verliert – so einer kann seinen Sohn nicht selber erziehen!

Schon gar nicht, so lange Menashe sich weiter weigert, neu zu heiraten. Das sagt der Rabbi, sagt die Verwandtschaft. Das Jiddisch klingt weicher als die Urteile, die aus den bartumkränzten Mündern kommen: Nein, der Sohn Rieven komme zu Verwandten.

Menashe unternimmt rührende Versuche, etwas richtig zu machen, aber dann brennt das traditionelle Kugel-Gebäck an, und eines Tages liegt das Küken, das er dem Sohn schenkte, tot im Pappkarton. Warum er nicht die Schläfenlocken trage wie alle anderen, fragt ihn der Sohn im Film.

Weinstein fand erst keine passenden Laiendarsteller

Nach Jahren als Dokumentarfilmer ist dies Joshua Weinsteins erster Spielfilm. Er hatte tatsächlich ein Skript. Und doch vertraut er noch seinen bewährten Methoden. „Es geht um Authentizität“, sagt er. Weinstein will echte Orte, echte Emotionen, echte Straßenszenen. Er liebt es, wenn während des Drehs zufällige Begebenheiten inhaltliche Aufgaben bekommen. Das gilt auch für seine Schauspieler. „Falsche Bärte funktionieren nicht.“

Weinstein hatte folglich große Probleme, aus der Gruppe derer, die er porträtiert, Laienschauspieler zu rekrutieren. Denn orthodoxe Juden, die keine Filme schauen, drehen schon einmal gar keine. Er bekam halbgare Zusagen und viele Absagen. Er wollte an den echten Orten in Brooklyn filmen, aber die Betreiber des Supermarktes sahen keine Vorteile: Oh, erst waren sie alle höflich, sagt Weinstein, aber natürlich hatten sie keine Ahnung davon, was es heißt, einen Film zu drehen. Das Licht stand im Weg, alles dauerte zu lange, Kunden mussten warten. Ach nein, hieß es, ihr stört. Dann mussten sie sich wieder einen anderen Ort suchen. Das ist nur einer der Gründe, weshalb die Dreharbeiten über zwei Jahre gedauert haben.

Menashe Lustig hat seinen Rabbi nicht gefragt, ob er bei diesem Film mitmachen dürfe. Er wollte es zu sehr. „Lieber jetzt ein kleiner Gegenwind als später ein großes Bedauern.“

Der echte Menashe ist ein selbsternannter Schauspieler und chassidischer Entertainer

Der echte Menashe Lustig ist ja ein völlig unwahrscheinliches Vorkommnis, ein selbsternannter Schauspieler und Comedian, der seine jiddischen Clips bei Youtube einstellt, obwohl seine Gemeinde kein Internet erlaubt. Hat man je von einem chassidischen Entertainer gehört? Gibt es so etwas wie koscheres Entertainment? Lustig war überrascht davon, wie viele Leute sich für seine Videos interessieren, einige haben 80.000 Clicks. 80.000! In jiddischer Sprache, wobei der genuinen Zielgruppe eigentlich untersagt ist, Filme zu sehen!

Menashes echter Sohn ist heute 13 Jahre alt. Den Film hat er natürlich nicht gesehen, aber er dürfe, wenn er irgendwann wolle. Zu dessen Bar Mizwa hat Lustig, der ihn tatsächlich nicht alleine erziehen darf, eine Rede gehalten: Nicht er, der Vater, gebe vor, wo es lang gehe im Leben. Auch er wolle von seinem Sohn lernen. Das ist für einen chassidischen Juden ein revolutionärer Ausspruch. Was immer diesen in Zukunft bewege, es könne besprochen werden. Anderer Meinung sein ist möglich.

Sein Sohn hat ihn dann irgendwann gefragt, ob sie nicht bei ihm zu Hause den großen Fernseher abschaffen könnten? Niemand von seinen Klassenkameraden sehe Filme, er wolle nicht immer vor die Wahl gestellt sein.

Klar, sagte der echte Menashe. Und brachte das Ding ins Büro.

15.2., 20 Uhr (Colosseum 1), 19.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 4)

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