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Man muss es nur geschehen lassen. Der Berliner Schriftsteller Michael Kumpfmüller, 54.

© picture alliance / Erwin Elsner

Michael Kumpfmüller und sein neuer Roman: Gelebt werden

Allein unter Frauen und Kindern: Michael Kumpfmüller erzählt in seinem Roman „Die Erziehung des Mannes“ von einem ernüchternden Männerliebesleben.

Klingt zunächst nicht sehr poetisch, dieser Titel des neuen Romans des Berliner Schriftstellers Michael Kumpfmüller, mehr nach einem Sachbuch: „Die Erziehung des Mannes“. Als rote Figur inmitten eines schwarzweißen Labyrinths leuchtet der Mann vom Cover, und wie er da reingekommen ist und nicht weiß, wie er wieder rauskommen soll, das erläutert auf dem Buchrücken eine Liste mit Fragen: „Wie wird man ein Mann? Ein Liebender?  Ein Ehemann? Ein Vater? Ein Geliebter? Ein Ex-Mann?“

Doch der Titel spielt bewusst auch auf Flauberts „Éducation sentimentale“ an, im Deutschen wahlweise mal als „Erziehung des Herzens“, „Erziehung der Gefühle“ oder „Lehrjahre des Gefühls“ übersetzt, einem der Bildungsromane des 19. Jahrhunderts schlechthin, ein Klassiker über das Zusammenspiel von Liebe, Leidenschaft und moralischer Indifferenz, mit einem am Ende scheiternden Helden. Im Fall von Kumpfmüllers Helden Georg jedoch ist die Entwicklung eine durchaus produktive, von diversen Scheitereien durchsetzte. Eine Art Scheitern gibt es hier schon, bevor dieses Männerleben so richtig Fahrt aufgenommen hat, dieses Männerliebesleben, wenn man so will. Georg konstatiert auf den ersten Seiten, da ist er Mitte zwanzig und mit Katrin zusammen: „So richtig begriffen habe ich es bis heute nicht, aber Tatsache war, dass ich mit einer Frau lebte, die in sieben Jahren kein einziges Mal mit mir geschlafen hatte.“ Und auf Katrin folgt Julika, kurz Jule, und ehe Georg sich versieht, ist er verheiratet, wird Vater einer Tochter namens Greta und vier Jahre später noch von den Zwillingen Lotte und Felix. Und er glaubt wirklich, etwas gelernt zu haben: „Man musste sich nur in Bewegung setzen, um am Ende irgendwo anzukommen, nach einer gewissen Zeit, dachte ich, man musste es nur geschehen lassen.“

Die Erziehung dieses Mannes, das wird schnell offensichtlich, wird primär von Frauen geleistet

Die Erziehung dieses Mannes, das wird schnell offensichtlich, übernehmen primär die Frauen, lediglich flankiert von einer höchst problematischen Beziehung Georgs zu seinem Vater und später dann von der zu seinen Kindern. Die Arbeit aber, Georg ist von Beruf Komponist, und was mit ihr alles zusammenhängt, die Einflüsse von Freundeskreisen, womöglich gar gesellschaftliche, gesellschaftspolitische Entwicklungen, all das, was sonst ein Leben noch ausmachen könnte, spielt in „Die Erziehung des Mannes“ nur eine untergeordnete Rolle.

Das mag damit zusammenhängen, dass Kumpfmüller für seinen Helden die einengende Ich-Perspektive gewählt hat, was interessiert da einen schon die ganze Welt da draußen? Georg erzählt sein Leben in einem relativ nüchternen, sachlichen, manchmal fast protokollarisch anmutenden Ton mit zum Teil resignativen, zum Teil kampfeslustigen Zwischentönen. Dieser Ton wird umso durchdringender, suggestiver, desto ernüchternder, letztendlich unglücklicher das Liebesleben von Georg ist, bis hin zu dem Tag, da er Julika und die drei Kinder verlässt, mit all den tragisch-nervigen Konsequenzen, vor allem einen sich ewig hinziehenden, praktisch bis zu seinem Lebensabend dauernden Rosenkrieg.

Georg ist ein Mann ohne Eigenschaften, ein Mann ohne Differenzen

Vorher aber muss Georg noch wie in einer therapeutischen Sitzung klären, wie er wurde, was er ist – im Mittelteil des Romans blendet er zurück in seine Vergangenheit. Kindheit und Jugend verbringt er in einem saturierten, bürgerlichen Haushalt; bei Eltern, deren Beziehung eigentlich nur wegen ihm und seiner Schwester noch existiert. Erste zarte Bande zu Mädchen knüpft er ebenfalls. Als enorm problematisch aber stellt sich das Verhältnis zu seinem subtil bis offen autoritären Vater dar, das nicht besser wird oder sich einfach erledigt, als er aus dem Haus ist und in Freiburg und Berlin studiert. Das Hündische in seinem Charakter, es begleitet ihn bis ins hohe Alter, wie er treffend analysiert.

Erstaunlich ist, wie Kumpfmüller seinen Roman schön kompakt durcherzählt. Wie er die Tonlage hält, wie er mit seinen kurzen, knappen, meist Ernüchterndes zu Tage fördernden Sätzen fortfährt, selbst als Licht und Hoffnung in die Geschichte dringen. Georg lernt mit Sonja eine weitere Frau kennen, eine Berufskollegin. Vor allem aber lernt er zu kämpfen und reift in seinen mittleren Jahren tatsächlich zu einer Persönlichkeit heran, als es darum geht, sich für die Kinder einzusetzen, das Sorgerecht wahrzunehmen, sie auf den Weg zu bringen. Plötzlich bewährt Georg sich, der so lange ein Mann ohne Eigenschaften, ein Mann ohne große Differenzen war. Er ist nun ein zwar schuldbewusster, aber engagierter Vater, der zwischen Karriere und Familienleben pendelt, der eine kaputte Ehe hinter sich hat und den Ansprüchen einer neuen Partnerschaft genügen will: „Es waren meine Kinder, womit auch immer sie mir zur Last fielen, ich war bereit, die Last zu tragen.“

Dass Patchwork-Familien nicht zum Glücklichsein taugen oder mehr Freiheit versprechen, versteht sich. Doch Kumpfmüllers Roman und Georgs Erziehung bekommen ihre Rundung, ihren letzten Schliff, auch ihre Eindringlichkeit. Natürlich ist dieser Roman ein Generationsroman, einer der Generation X, wie sie von dem kanadischen Schriftsteller Douglas Coupland einmal getauft wurde. Georg lebt, oder besser: Er wird gelebt. Er weiß slackermäßig nicht allzu viel mit sich anzufangen, was aber nicht schlimm ist, weil es nie existentiell wird oder ökonomisch problematisch – und auf einmal sind moderne Mannesschwäche und Unsicherheiten, ewige Selbstfindungsprozesse nurmehr von zweitrangiger Bedeutung. Der wimpistische Held hat im Alter von 40, 45 Jahren als neuer Vater eine verantwortungsvolle Rolle und will alles anders machen, gerade als der eigene Vater.

Das Licht, das in diesen Roman fällt, resultiert aus dieser Entwicklung. Dass wir Georg auch noch im Alter erleben, er von seinem siebten Lebensjahrzehnt erzählt und es sich beim Ganzen schlussendlich um eine bilanzierende Lebensbetrachtung handelt, ist fast des Guten zu viel. Man, und nicht nur „Mann“, hat es auch so verstanden: Früher war „Birth, School, Work and Death“, um es mit einem Song der Godfathers zu sagen, heute ist es „Birth, Women, Children, Death“. Erbaulich ist das nicht – könnte es, bitte schön nicht ein bisschen mehr im Leben geben? -, aber erbaulich muss ein guter Roman auch nicht sein.

Michael Kumpfmüller: Die Erziehung des Mannes. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 320 Seiten, 19, 99 €.

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