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Deutsche Filmgeschichte. Ein Besucher geht 2017 in Berlin im Museum für Film und Fernsehen an einem Großfoto vorbei, das Dreharbeiten aus dem Jahr 1929 aus dem Film "Asphalt" zeigt.

© dpa / picture alliance / Maurizio Gamb

Hans Traubs „Wörterbuch des Films“: Militärs zahlen nur die Hälfte

Von „Abbau“ bis „Zulassungskarte“: Hans Traubs „Wörterbuch des Films“ ist ein so aufschlussreiches wie zwiespältiges Fragment aus der NS-Zeit.

Wer weiß schon, dass es in den amerikanischen Studios früher eine „Ateliermutter“ gab, eine Anstandsdame, deren Aufgabe es war, „unerfreuliche Beziehungen zwischen Statistinnen und Regisseuren, Aufnahmeleitern etc. zu unterbinden“. Eine Stelle, die im Licht der jüngsten MeToo-Enthüllungen vielleicht zu früh eingespart wurde.

Hans Traub wollte den Begriff nicht auslassen, als er Ende der dreißiger Jahre bis zu seinem frühen Tod 1943 infolge einer Blutvergiftung an einem „Wörterbuch des Films“ arbeitete. Wäre es seinerzeit erschienen, hätte man es das erste allumfassende Kompendium des damals noch immer um Anerkennung ringenden Films nennen müssen. Ein ausgesprochen zeitbedingtes freilich, denn Ufa-Geist und NS-Diktatur haben es zumindest mitgeprägt.

Traubs Wörterbuch war ein ehrgeiziges Projekt, das das ganze Feld des Filmschaffens enzyklopädisch absteckte: von „Abbau“ (der Requisiten nach der Aufnahme) bis zur wichtigen „Zulassungskarte“ und – das verstand sich wohl von selbst – der „Wehrmacht“ als Auftraggeber von Unterrichtsfilmen, später auch abendfüllenden Dokumentationen wie Svend Noldans „Sieg im Westen“ (1940/41). Der Text zur NSDAP blieb wie viele andere in der lückenhaften zweiten Hälfte des Wörterbuchs unausgeführt. Angesichts des Kriegsverlaufs sah wohl auch Traub immer weniger Chancen für das Erscheinen seines Werks in der dafür vorgesehenen Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung.

Film als Wirtschafts- und Handelsware

„Eine zeittypische Perspektive“ bescheinigt der Künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek Rainer Rother. Er hat das in Fahnenabzügen überkommene Fragment gemeinsam mit Rolf Aurich bei Traubs Witwe in Los Angeles entdeckt und nun, um einen ausführlichen Materialbericht ergänzt, unter Kennzeichnung aller unausgeführten Artikel herausgegeben. So wurde das kühne Ein-Mann-Vorhaben Traubs, der sich als habilitierter Zeitungswissenschaftler und Leiter der Ufa-Lehrschau in Babelsberg einen Namen gemacht hatte, dem Vergessen entrissen.

Zeittypisch mag auch die viel zu sehr in die Breite gehende Anlage des Wörterbuchs sein. Sie besitzt aber den Vorteil, den Film nicht nur als ein künstlerisches Gemeinschaftswerk (Traub übernimmt dafür den architekturhistorischen Begriff der „Bauhütte“) zu bestimmen, sondern ebenso als eine Wirtschafts- und Handelsware. Das war freilich auf Grund der damaligen zentralen Lenkung und Kontrolle der Filmproduktion bis hin zum Vertrieb leichter überschaubar als heute.

Neben dem zentralen „Reichsverleih“ und jedem untergeordneten „Bezirksverleih“ gab es nur noch, wie man hier erfährt, sogenannte „Gaufilmstellen“, die auf die speziellen Bedürfnisse der Partei zugeschnitten waren. Selbst über Eintrittspreise gibt Traub penibel Auskunft. So zahlten nicht nur Jugendliche, sondern auch „Militärs“, wenn sie denn in Uniform erschienen, „bis zum Obergefreiten“ nur die Hälfte.

Rechtskonservative Einstellung des Vaters beeinflusste Hans Traub

An Kuriositäten fehlt es nicht in Hans Traubs Wörterbuch. Etwas genauer hätte man freilich gewusst, weshalb die offenbar bei den Filmredakteuren („Kritik“ durfte es laut Goebbels nicht heißen) beliebten „Pressetees“ im Januar 1937 verboten wurden. Boten sie etwa die Gelegenheit, zu viel und zu offen zu plaudern?

Wer überhaupt war Hans Traub, der 1934 unter die schützende Hand des Ufa-Generaldirektors Klitzsch geriet? Dem Filmhistoriker Ulrich Dröge kommt das Verdienst zu, den Lebensweg des bis dato der Nachwelt kaum bekannten Mannes in einer dem „Wörterbuch“ angefügten biografischen Skizze plastisch nachzuzeichnen. 1901 in Schwäbisch Hall als Sohn eines Pastors geboren, blieb dessen rechtskonservative Einstellung (er gehörte später dem Parteivorstand der DNVP an) nicht ohne Einfluss auf den Heranwachsenden.

Noch als Abiturient übernahm Hans Traub als Melder eines Freikorps gefährliche Aufträge auf Seiten der Kapp-Lüttwitz-Putschisten – eine Empfehlung für kommende Zeiten. Der Vater ebnete ihm auch den Weg zum Volontariat beim Berliner Scherl-Verlag. Schon den jungen Mann bewegte die Frage, welchen Machteinfluss Film und Radio, zukünftig auch das Fernsehen, damals ausübten.

Durch Status als „Vierteljude“ zunehmend zurückgesetzt

Promotion und Habilitation begleiteten den Aufstieg in führende Positionen beim Aufbau des ersten zentralen Zeitungsarchivs in Berlin sowie in die eigene Lehrtätigkeit, die durch den Beitritt zur NSDAP am 1. Mai 1933 abgesichert erschienen – bis ihm schon im September der Nachweis einer „nicht arischen Herkunft“ schwer zusetzte.

Als sogenannter „Vierteljude“ zunehmend zurückgesetzt, genoss Hans Traub jedoch weiterhin das Vertrauen der Ufa, nicht zuletzt seines ausgezeichneten Fachwissens und seiner „nationalen“ Einstellung wegen, die er mit der von ihm verfassten kurz vor seinem Tod 1943 erschienenen Firmengeschichte „Die Ufa“ unter Beweis stellte. Diese Haltung markiert ebenso Traubs Opus Magnum, zu dem Karl Ritter, hochgeschätzter „Spielleiter“ politisch eindeutiger Kinostücke wie Hans Steinhoffs 1933 entstandenem „Hitlerjunge Quex“ mit Heinrich George und Berta Drews, den 1941 kurz nach Beginn des Russlandfeldzugs uraufgeführten „Stukas“ oder dem antisowjetischen Agitpropschinken „GPU“, ein Vorwort geschrieben hatte. Die Edition dokumentiert es.

Hans Traubs „Wörterbuch des Films“ vermittelt trotz seines fragmentarischen Charakters durch seine unerhörte, penible Genauigkeit einen ausgezeichneten Blick auf den Studiobetrieb mitsamt dessen Verankerung in Kultur und Politik. Manche auf den ersten Blick nebensächliche Einträge sorgen sogar für Erheiterung, wie derjenige unter dem erwähnten Stichwort „Abbau“. Doch ist er nicht mehr als berechtigt? Irgendjemand muss ja immer die Kulissen wegräumen, wenn die Stars gegangen sind. Wir haben längst andere.

Hans Traub: Wörterbuch des Films. Hg. v. Rainer Rother u. Rolf Aurich. Neofelis Verlag, Berlin 2017. 246 S., 36 €.

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