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Kultur: Moralische Geldwäsche

Liebe, Luxus, Untergang: Klaus-Peter Schmid erzählt ein Melodram aus dem besetzten Paris

Es gibt Geschichten, die so unglaublich sind, dass sie nur das Leben hervorbringen kann. Diese beginnt mit dem Überraschungscoup einer Millionenerbschaft, die Mitte der achtziger Jahre dem deutsch-französischen Jugendwerk von einer Französin vermacht wird; niemand wusste von ihrer Existenz. Und die Geschichte führt tief hinein in die Irrungen und Wirrungen der Beziehung eines Deutschen und einer Französin: Eine Liebe auf den ersten Blick, die nur zwei Jahre dauert, aber nie ganz endet, dazu kommen undurchsichtige Geschäfte, Luxus in Paris, schließlich Flucht, Hassliebe und eine Art Versöhnung, auf die bald der Tod des Mannes folgt. Den Mittelpunkt dieser Geschichte, die sich an ihrem Ende so wohltuend auf eine verdienstvolle Einrichtung der deutsch-französischen Nachkriegsannäherung auswirkt, bildet das Paris unter der deutschen Besatzung.

Der langjährige Paris-Korrespondent der „Zeit“, Klaus-Peter Schmid, hat diese Geschichte ans Licht gebracht. Sie trägt alle Züge eines Melodrams: Der männliche Protagonist, Herbert Ranft, ist eine zwielichtige Figur, der in den dreißiger Jahren als Industrievertreter nach Frankreich kommt, dann dort als deutscher Spion wirkt, schließlich zum Profiteur der Besatzung wird. Die Frau, Jacqueline Heusch, ist ein lebenslustiges, etwas flatterhaftes Mädchen aus der Provinz mit schauspielerischem Ehrgeiz. In Schmids lebhafter, auf Literatur und Archive gestützten Erzählung erscheint das Ganze als eine kurze heftige Affäre, die nicht nur im Erotischen spielt, sondern auch in der seltsamen zivilen Innenseite des Krieges, die die deutsche Besatzung Frankreichs darstellt. Es ist eine Zeit, in der die Franzosen à l’heure allemande leben, die Organisation Todt – der Ranft angehört – Frankreich mit Militärbauten vollbaut und Deutsche wie Vichy-Franzosen darauf achten, dass das Pariser Kulturleben judenfrei ist. Und in der ein deutscher Stabsoffizier, also Ranft, zwei Luxusautos besitzt und seiner französischen Geliebten, also Heusch, ein Theater kauft, dessen Direktorin sie wird. Und auch das Vermögen, das übrig bleibt, hat seinen Ursprung in dieser Zeit.

Schmid hat genügend Distanz zu seiner Geschichte, um keinen Zweifel daran zu lassen, dass es ihr durchaus an tieferer Bedeutung mangelt. Tatsächlich hat das Scheitern der Liebe des bonvivanthaften Geschäftemachers und der sentimentalen Egoistin nichts mit den Problemen zu tun, die das deutsch-französische Verhältnis jener Jahre durchziehen. Wenn den Leser etwas daran bewegt, dann vor allem, dass das Scheitern von Lebensentwürfen in den Strudeln einer schwierigen Zeit immer unser Mitgefühl erregt, selbst wenn die Scheiternden ihren Anteil daran haben.

Überdies kleben an dem Millionenvermächtnis der Jacqueline Heusch die dunklen Umstände seines Entstehens. Ranft war, so argumentiert Schmid überzeugend, Nutznießer des Kunstraubs, den die Nazis im besetzten Paris in großem Stil praktizierten. Außerdem geht er davon aus, dass Ranft sich gehörig bei Schwarzmarktgeschäften bereicherte, die der industriell-militärische Komplex der deutschen Besatzung einschließlich der französischen Kollaborateure damals betrieben. So kommt Schmid am Ende dieser spannenden, gut geschriebenen Besichtigung einer dramatisch-abgründigen Phase der jüngeren Geschichte zu dem ernüchternden Schluss, dass das Geschenk an das Jugendwerk eigentlich keine hochherzige Geste war, sondern eher „ein Akt moralischer Geldwäsche“.

Klaus-Peter Schmid: Das rätselhafte Testament. Der Fall Jaqueline Heusch und Herbert Ranft. Bouvier Verlag, Bonn 2011. 203 Seiten, 22 Euro.

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