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Die Philharmonie muss im November wieder dicht machen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Neuer Kultur-Lockdown: Trauer und Überschwang

Vorverkauf ausgesetzt: Das DSO spielt sein vorerst letztes Konzert in der Philharmonie.

„Das geht doch nicht“, ruft eine ältere Dame auf den Treppen in der Philharmonie. Den erneuten Lockdown für die Kultur kann sie nicht verstehen. „Hier sind doch alle vernünftig, da kann doch nichts passieren.“ Beim Blick auf die weiten Abstände, mit denen sich maskierte Konzertgänger auf dem Wegesystem durchs Haus bewegen, kann man ihr intuitiv kaum widersprechen.

Am Abend nach der Entscheidung, im November auch die Kultur zu schließen, macht sich Ernüchterung breit. Umgebaute Programmfolgen, reduzierte Sitzpläne, Umbuchungen, Desinfektionsmittel und maximale Lüftung – es hat alles hat nicht geholfen.

Das Deutsche Symphonie-Orchester spielt in der Philharmonie nun überraschend sein letztes Konzert vor der nächsten Zwangspause. Eigentlich hätten die Musiker in November einen besonders arbeitsreichen Monat gehabt, mit einem Konzert unter Simon Rattle und einem eigenen Festival.

Es hätte unter Leitung von Chefdirigent Robin Ticciati um Wagner gehen sollen, doch dessen Besetzungen passten unter Pandemie-Regeln nicht aufs Podium. Also wurde eine Konzertreihe zu Wien erdacht, in der Klassik und Moderne lustvoll aufeinanderprallen. Liest man, was nun doch ausfallen muss, möchte man in die Maske schluchzen.

Dürfen die Musiker ohne Publikum weitermusizieren?

Die Philharmonie hat inzwischen wie das Konzerthaus seinen Vorverkauf ausgesetzt. Abgesagt sind die Konzerte im November offiziell noch nicht, dafür braucht es auch aus rechtlichen Gründen zuerst die neue Verordnung des Landes, mit der am Montag gerechnet wird.

Völlig unklar bleibt bis dahin auch, ob es während des Lockdowns Konzerte ohne Publikum geben kann, die gestreamt oder für CD produziert werden. Simon Rattle wohnt in Berlin, das DSO will unbedingt mit ihm musizieren. Doch es könnte sein, dass Dirigent und Orchester zu Hause bleiben müssen. Denn darauf zielt letztlich der Stopp für die öffentliche Kultur.

Noch einmal die Overtüre zu „Die verkaufte Braut“

Jakub Hrusa gibt am Pult des DSO einen lebendigen Eindruck dessen, was wir die nächsten Wochen vermissen werden. Smetanas Ouvertüre zur Oper „Die verkaufte Braut“ saust wie ein bestens geöltes Räderwerk durch den Saal. Den Anklängen an den Volksmusikton seiner tschechischen Heimat begegnet der Chefdirigent der Bamberger Symphoniker mit wohlkalkulierter Schärfe, die bis an den Rand der Ungemütlichkeit reicht.

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Auf diesem herben Humus schlägt Martinus 1. Cellokonzert wundersame Triebe, denen der Solist Tomas Jamnik traumverloren folgt. Er streift Mondnacht und Trauergesang, inneres Glühen und einen Überschwang, der direkt mitnimmt in Dvoráks 3. Symphonie, die das DSO in den bald 75 Jahren seines Bestehens nie zuvor gespielt hat.

Es ist ein kippeliges Werk, das jäh zwischen Schumanns Poesie und Wagners Klangallmacht schwankt. Jede Aufwärtsbewegung birgt einen Absturz, ein Netz gibt es hier nicht. Der Applaus ist lang und ein bisschen länger, weil man nicht geschieden sein will von diesem Kulturraum.

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