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„Il Teorema di Pasolini“, inszeniert vom Theaterkollektiv Death Centre, an der Deutschen Oper.

© EIKE WALKENHORST

Pasolinis Filmklassiker vertont an der Deutsche Oper: Verführt vom fremden Engel

Der Komponist Giorgio Battistelli hat mit „Il Teorema di Pasolini“ eine große Oper geschaffen. Die Uraufführung an der Deutschen Oper Berlin wurde zum umjubelten Erfolg.

Von Eleonore Büning

In der deutschen Fassung hatte man dem epochemachenden Film „Teorema“ von Pier Paolo Pasolini damals, im Jahr 1968, den Untertitel „Geometrie der Liebe“ mit auf den Weg gegeben. Sehr deutsch gedacht und leicht verklemmt. Denn Liebe kommt in dieser politischen Parabel nicht vor. Allenfalls Sex. Oder vielmehr: die Sehnsucht nach Sex, wie sie sich spiegelt in den Augen der Protagonisten oder auch in etlichen weißen Unterhosen, die auf dem Boden herumliegen und auf denen das Auge der Kamera öfters sinnend ruht. An dem eigentlichen Akt schaut sie allemal höflich vorbei. Außerdem ging es Pasolini weniger um die Vermessung einer bürgerlichen Familienaufstellung. Vielmehr um deren Zerstörung, und, möglicherweise, um einen Gottesbeweis.

Die Deutsche Oper Berlin hat nun die erste abendfüllende Vertonung dieses Stoffs zur Uraufführung gebracht. Ein Auftragswerk. Heißt „Il Teorema di Pasolini“. Ist nur eine gute Viertelstunde länger als der Film und beschäftigt, neben den sechs Sängern der Hauptrollen, ein symphonisch groß besetztes Orchester mit doppelten Bläsern, geräuschfroh und farbenreich ergänzt durch Sampler sowie zwei Akkordeons, Harfe, Klavier, Celesta, Vibraphon und zahlreiche Schlaginstrumente.

Der Komponist Giorgio Battistelli widmete die Partitur dem Intendanten des Hauses, Dietmar Schwarz, „con amicizia“. Der wiederum engagierte für die Regie das angesagte Theaterkollektiv Death Centre, das sich blendend auskennt mit Fantasy-Bildern und hintersinnig eingesetzten Videos. Es konnte also gar nichts schiefgehen.

„Il Teorema di Pasolini“ von Giorgio Battistell in der Deutschen Oper.

© EIKE WALKENHORST

Das geht los mit einem Warnschuss. Ein scharf angerissenes Sforzato, mit düsterem Hall, ploppt aus dem Graben hoch. Er taucht später immer mal wieder auf und rastert die Höhepunkte der Handlung durch. Szenisch ist auffallende viel nackte Haut im Spiel, mehr als im Original. Einmal kommt es schier zu einer Vergewaltigung.

Wer das träumerische Tempo, die pastellfarbene Verschwiegenheit des Pasolinifilms liebt, dem wird die grob zupackende Direktheit dieser Hier-und-Jetzt-Bilderbuch-Inszenierung zwar ab und zu auf den Wecker gehen. Doch erstens ist Oper nicht Kino. Räumliche Entfernung, erst recht die Singerei schaffen sich ihre eigenen Gesetze der Verfremdung. Zweitens hält sich Battistellis selbstgezimmertes Libretto, wie auch das Team rund um Death Center geradezu beflissen, fast „werktreu“ an die Vorlage. Bloß die Journalistenszene zu Beginn wurde hat Battistelli weggelassen. Nur den Fuhrpark der Mailänder Industriellenfamilie hat Ausstatterin Nina Wetzel auf einen lächerlich kleinen Fiat reduziert.

An sich erzählt die Inszenierung den bekannten Filmplot in fließend wechselnden, kleinen Guckkastenbühnen, die hinter sechs Schiebefenstern auf einer pechschwarzen Bühnenwand auftauchen und wieder verschwinden, sauber nach. Erstes Bild: Das Esszimmer. Die Familie wird besucht von einem ephebenhaft hübschen Unbekannten. Zweites Bild: Garten und Küche. Der fremde Engel verführt die Haushälterin. Anschließend nimmt er sich Sohn, Mutter, Tochter, Vater vor: Tenor, Sopran, Sopran, Bariton. Und als er die Familie wieder verlässt, löst die sich auf. Die Haushälterin (Alt) fährt gen Himmel auf. Der Vater verschenkt seine Fabrik an die Arbeiterklasse und geht als Einsiedler in die Wüste.

Ein unsinniger Regieeinfall? Nein.

Dazu tummelt sich anfangs vorn an der Rampe aber noch ein durchaus überflüssiges Team von Wissenschaftlern zwischen medizinischen Geräten. Sie filmen das Geschehen, messen stumm Blutdruck- und Oxyden-Werte, stellen Wärmebilder her und werfen das Ergebnis immer mal wieder vergrößert an die schwarze Wand. Eine zunächst unsinnig erscheinende Regie-Idee.

Doch dann enttarnen sich diese fünf Schauspieler nach und nach als Doppelgänger der Familie, schlüpfen aus ihren weißen Kitteln, spielen, als Schattenriss, in den Guckkästen mit. Wie überhaupt nach dem Abschied des Gastes (süß und sonor: Nikolay Borchev) nicht nur das Personal entgleist. Auch Bilder und Zeichen spielen jetzt verrückt. Tapetenmuster verbiegen sich, der Backofen explodiert, Esszimmerstuhlbeine wachsen nahtlos durch die Decke und verschmelzen prachtvoll surreal mit den Baumstämmen des Waldes. Parallel dazu verdichtet sich die Partitur.

Vom Parlando-Sprechgesang reicht der Bogen der Ausdrucksmittel nun bis zum kontemplativen Ensemble. Irisierend exotische Farbkombinationen blühen auf. Battistelli, der schon einmal, Anfang der Neunziger, eine „Parabola in musica“ nach Pasolini bei der Münchner Biennale herausgebracht hatte, damals allerdings als Pantomime, ohne Sänger, greift bei diesem zweiten Versuch nun in die Vollen. Ein blitzblankes Sängerensemble - herausragend: Davide Damiani als Vater Paolo und Àngeles Blancas Gulín als Mutter Lucia - agiert rundum überzeugend.

Malerisch instrumentierte Orchesterintermezzi kommentieren die Handlung und entwickeln unter Leitung von Daniel Cohen einen eignen Sog. Auch der gesampelte Warnklang taucht, samt Echo, immer wieder und öfter auf, wie ein unerbittlich ablaufendes Uhrwerk. Das funktioniert. Atemlose Stille, als es dunkel wird, nach dem Wüstenbild. Dann rastet das Publikum, erstaunlich jung an diesem Premierenabend, unisono jubelnd aus.

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