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Sechseinhalb Oktaven, 1001 Welt. Die Harfenistin Kathrin Pechlof.

© Lutz Voigtländer

Porträt Kathrin Pechlof: Fäden spinnen ins Offene

Vom Glück des Improvisierens im Niemandsland von Jazz und Neuer Musik: eine Begegnung mit der Berliner Harfenistin Kathrin Pechlof.

Von Gregor Dotzauer

Zwischen Himmel und Erde bewegt sich die Musik von Kathrin Pechlof in einem luftigen Zwischenreich. Drunten, wo die Schwerkraft zunimmt, zieht der Kontrabassist Robert Landfermann seine Kreise und gibt manchmal ordentlich Holz zum Ton. Droben, wo schon der Sauerstoff abnimmt, durchquert Christian Weidners Altsaxofon auf schlanken, vibratoarmen Schwingen die Weiten, die sie mit ihrer Harfe aufspannt. Manchmal ereignet sich aber auch ein abrupter Rollentausch, wenn Kathrin Pechlof in die tiefen Register bis zum Kontra-C vordringt und Landfermann mit dem Bogen feinste Flageolettfärbungen erkundet.

Auf zwei Alben des Münchner Labels Pirouet ist die auch im Schwebenden stets klar artikulierte Sprache dieses Trios inzwischen festgehalten. 2013 erschien „Imaginarium“ – und vor wenigen Wochen „Toward the Unknown“. Ein impressionistisch changierendes Klangmobile im wachsenden Niemandsland von Jazz und Neuer Musik mit rhythmisch überraschend zupackenden Momenten. Die Stücke, meist von zauberischer Stille, sind überwiegend improvisiert, gehen aber von sorgfältig komponierten Grundgestalten und Motiven aus, die auch mal in einer traditionellen Fuge zusammenfinden. Dieses Formenbewusstsein kommt nicht von ungefähr.

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Kathrin Pechlof hat in München klassische Harfe studiert. Das „Urvertraute“ dieser musikalischen Welt, das bis in Kindertage zurückreicht, springt sie noch immer an. Die Liebe zu Fixpunkten des Repertoires wie Mozarts Konzert für Flöte und Harfe ist ungebrochen, und wenn im Konzertsaal die Wucht eines voll besetzten Orchesters durch sie hindurchgeht, kann es noch immer passieren, dass sie glücklich benommen nach Hause taumelt. Doch die ausübende Musikerin hat der inneren Stimme, die sie über lange Jahre aufforderte, sich ganz der improvisierten Musik zu widmen, nachgegeben.

Was mit Ausflügen in jazzaffine Regionen begann und schließlich in ein einjähriges Jazzkompositionsstudium in Köln mündete, nimmt sie heute ganz in Anspruch. Seit drei Jahren, sagt sie bei einem Gespräch in ihrer Wahlheimat Berlin, hat sie kein einziges klassisches Konzert mehr gespielt. Beim Üben sind ihr die alten Noten oft noch unentbehrlich, insbesondere die Entfernung zum Soziotop Klassik aber wächst.

Das hat auch mit dem Gefühl einer Austauschbarkeit zu tun, die sie im Jazz gar nicht erst kennenlernte. „Man wird oft ohne großen zwischenmenschlichen Kontakt für ein einziges Konzert zusammengeworfen und hat es womöglich mit einem Dirigenten zu tun, den man nie zuvor gesehen hat. Wobei ich es durchaus als erhebend empfinden kann, in der Maschinerie einer Mahler-Symphonie ein Rädchen zu sein. Doch meistens sitzt man an der Harfenposition herum und wartet, bis man seine sieben Takte spielen darf.“

Verschwörerische Nähe

Was sie an beglückender Gemeinschaft in den zahlreichen Formationen ihrer Karriere erlebt hat, gilt für ihr Trio, bei dem fast alles an den beteiligten Persönlichkeiten liegt, erst recht. Im Lauf der Zeit hat sich eine verschwörerische Nähe entwickelt, die mit Hilfe von winzigen Gesten große musikalische Umschwünge einleiten kann. Wo die Grenze des Künstlerischen zum Privaten verläuft, lässt sich ohnehin längst nicht mehr sagen.

Robert Landfermann ist ein guter Freund geworden – und Christian Weidner sogar ihr Ehemann. Mit ihm zusammen kuratiert sie auch wieder die Mitte September beginnende Serious Series mit improvisierter Musik. Eines jenes selbstorganisierten Festivals, bei dem die deutsche Szene auf der Achse Berlin – Köln – Paris ihren ganzen Reichtum aufblättert.

Ihre eigene Art des Improvisierens bezeichnet sie als Forschungsarbeit. Zum einen scheut sie alles Idiomatische und in Formeln Verfestigte des Jazz, zum anderen gibt es ihr Instrument gar nicht so einfach her. „Licks und Skalen“, sagt sie, „gibt es bei mir nicht in dem Sinn, wie andere Sonny Rollins oder John Coltrane nachempfinden. Ich fertige mir kleine Studien von dem an, was ich mir erimprovisiert habe und übernehme das dann in mein Vokabular. Im Trio spinnen wir aber ebenso oft ohne jede Vorgabe unsere Fäden.“

Mit bloßen Händen

Jenseits der kodifizierten Spieltechniken hat sie auch kein Interesse, die Töne ihrer Harfe so zu manipulieren, wie es etwa Zeena Parkins tut. „Ob ich Debussy spiele oder eigene Stücke: Ich mache alles mit den Händen und benutze keine Elektronik.“ Eine Weile versuchte sie es mit einem Arsenal klangverändernder Gerätschaften, arbeitete sogar mit einem Looper. Das Ergebnis ließ sie kalt.

Sie hatte lauter Kram um sich herum liegen, benutzte ihn aber kaum. „Selbst die Sekunden, die ich brauchte, um ein Holzstück an die Saite zu führen, um damit ein Geräusch zu erzeugen, wurde mir lästig. Die Harfe lässt sich zwar toll mit Papier, Stoff oder Filz präparieren. In der Neuen Musik, die ich viel gespielt habe, werden solche extended techniques ja regelmäßig eingesetzt. Letztlich bleiben sie ein Experiment.“

Sie will sich nicht auf Klänge festlegen lassen, die sie nicht so schnell loswird: „Ich will flexibel reagieren können, wenn sich die Situation ändert.“ Die Wahrhaftigkeit, nach der sie sucht, gestattet nicht einmal stilistische Verrenkungen. Die vorhandenen sechseinhalb Oktaven mit jeweils sieben diatonisch gestimmten Saiten, die durch die Pedale um bis zu zwei Halbtöne angehoben werden können und so ihre chromatische Differenzierung erhalten, sind ihr genug. „Natürlich kann ich auf der Harfe eine Bluesskala einrichten. Aber sie ist einfach nicht für solche Phrasierungen gebaut, ganz abgesehen davon, dass die Harfe mit der Kultur des Blues nichts zu tun hat. Sie hat nun einmal etwas Aristokratisches – auch wenn ich mich davon fernzuhalten versuche.“

Faible für die Farben

Von daher hat ihre Musik bei aller Bewunderung für die großen Koloristen des Jazz von Duke Ellington bis zu Henry Threadgill einen unverwechselbar europäischen Charakter. Er wird in jüngster Zeit durch ein Streichquartett, das ihr Trio zum Septett erweitert, noch gesteigert – wobei auch die neuen Mitglieder, darunter die Geigerin Biliana Voutchkova und der Kontrabassist Dieter Manderscheid, erfahrene Improvisationsmusiker sind und keineswegs das hübsch arrangierte Sahnehäubchen bilden. Die Stücke sind dieselben geblieben, sie werden jetzt nur völlig neu interpretiert.

Kathrin Pechlof komponiert am Klavier. Dort stehen ihr alle zwölf Töne der Oktave zur Verfügung, und sie überlegt hinterher, wie sich bestimmte Klangvorstellungen auf die Harfe übertragen lassen. „Das Schreiben, bei dem man wochenlang über jede Sechzehntelnote nachdenkt und das Improvisieren ergänzen sich für mich“, sagt sie. „Ich messe das Feld dazwischen aus. Im Unterschied zum bloß Notierten, wo es ein Werk mit x Referenzaufnahmen gibt, durch die man sich seinen Weg bahnen muss.“

Sie improvisiert ebenso gerne über vorgegebenen Strukturen, wie sie sich ins völlig freie Spiel stürzt. Das Eintauchen in diesen Kosmos ist ihr ein regelrechtes Bedürfnis geworden. Unterbrechungen in der Kontinuität rächen sich schnell. Schon nach drei oder vier Tagen des Nichtspielens, klagt sie, klinge das Instrument komisch. Die Hornhaut hat sich zurückgebildet, die Selbstverständlichkeit der Berührung muss mühevoll zurückerobert werden.

So war in ihrem Sommerurlaub zur buchstäblichen Beschwernis des Familiengepäcks und zur Erleichterung ihrer Seele auch die Harfe mit von der Partie. „Für mich gibt es nichts Schöneres, als mich hinzusetzen und diesen Raum der Besinnung zu finden. Man umarmt das Instrument, und sein Klang durchströmt den ganzen Körper. Ich wünsche diese Auseinandersetzung mit sich selbst jedem Menschen – gleich mit welchem Instrument.“ Eine Ahnung von dem Glück, das darin liegt, kann man nun bei den Kollektivnights des Berliner Jazzkollektivs bekommen.

Kollektivnights, 29. 8. bis 1. 9., Tiyatrom, Alte Jakobstr. 12, Kreuzberg, jeweils 20 Uhr, Record Release Concert des Kathrin Pechlof Trios Do 30. 8., Details unter www.jazzkollektiv.de – Serious Series, 15. bis 17. 9., Uferstudios, Badstr. 1, Wedding, 20 Uhr, mehr unter www.seriousseries.de

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