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Letzte Reste. Wie durch ein Wunder hat das berühmte Kalifentor der syrischen Stadt Rakka den Krieg überstanden.

© REUTERS

Rakkas Kulturerbe: Was der IS übrig ließ

Die frühislamischen Bauwerke von Rakka sind während des Krieges in Syrien wie durch ein Wunder erhalten geblieben. Archäologen wollen die Altertümer retten.

Rakka in Syrien hat es zu trauriger Berühmtheit gebracht. Insider kennen die Stadt am Euphrat als Sitz der Sommerresidenz des legendären Kalifen Harun al Raschid (763–809), von der noch ein Tor, ein Minarett und eine bogengeschmückte Mauer der Großen Moschee als frühislamische Bauwerke erhalten sind. Allgemein bekannt wurde Rakka 2014 durch die rasche Eroberung des sogenannten Islamischen Staates (IS), der die Stadt – Perversion der Geschichte – zur Hauptstadt seines Kalifats ausrief und damit an ihre einst ruhmreiche Vergangenheit im 8. Jahrhundert anknüpfen wollte.

Heute liegt Rakka nach der Bombardierung durch die Amerikaner und die Befreiung durch kurdische Kämpfer weitgehend in Trümmern. Einzelne Agenturfotos zeigen, dass die bedeutenden Überreste der früh-islamischen Architektur wie durch ein Wunder erhalten geblieben sind. Doch was ist mit dem kulturellen Erbe der Stadt geschehen?

Rakka hat ein bedeutendes Archäologisches Museum

Rakka war nie eine Touristenattraktion, eher eine Ansammlung gesichtsloser Neubauten aus der sozialistischen Zeit Syriens – mit Ausnahme der wenigen Überreste der Sommerresidenz und des Archäologischen Museums. „Rakka ist eine vernachlässigte Stadt, wie andere auch, etwa Maarat Al-Numan mit seinem bedeutenden Mosaikmuseum. Auch Rakka hat ein bedeutendes Provinzmuseum, das eigentlich den Besuch lohnt“, erzählt der niederländische Archäologe Olivier Nieuwenhuijse, der gerade als Postdoktorand an der Freien Universität Berlin arbeitet. 1991 war er als Student zum ersten Mal in Rakka, als Mitglied der niederländischen Grabung von Tell Sabi Abyad im Norden der Stadt.

„Für uns von der Grabung war Rakka die nächstgelegene Stadt. Man spricht dort einen eher irakischen Dialekt. Für die Region war es ein beliebter Ausgehort, eine wirklich große Stadt mit Cafés und Restaurants“, erzählt Nieuwenhuijse. Er blieb der Stadt verbunden, in der die regierende Baath-Partei von Syriens Präsident Baschar al Assad stark vertreten war. Umso überraschender war es, dass der IS Rakka 2014 so schnell erobern konnte. Nach Ausbruch des Krieges wurden viele Museen im Land evakuiert – außer in Rakka. Man fühlte sich stark. Zunächst hatten „gemäßigte“ Rebellen die Stadt erobert und der syrischen Antikenverwaltung DGAM gestattet, Inventarlisten zu erstellen. Die wichtigsten Kisten mit mehr als 200 meist kleinteiligen Objekten wurden im Safe der Bank von Rakka versteckt, ebenso die Inventarlisten.

Gerettetes Inventarbuch des Archäologischen Museums von Rakka.
Gerettetes Inventarbuch des Archäologischen Museums von Rakka.

© Focus Raqqa

Als der IS die Stadt einnahm, hätten die Rebellen die Bank ausgeraubt und die Kisten mitgenommen, berichtet der Archäologe. Zuletzt seien sie in der Stadt Tabka am Euphrat gesehen worden. Dorthin sei ein Mitarbeiter der DGAM gereist, um noch einmal einen Blick in die Kisten zu werfen. Und so ist eine Liste entstanden, die jetzt an Olivier Nieuwenhuijses alter Wirkungsstätte, der Universität Leiden, als Basis für das Projekt „Focus Raqqa“ dient, das er zusammen mit Khaled Hialith und dessen Frau Rasha gestartet hat, zwei geflüchteten Archäologen aus Syrien, die nun in den Niederlanden leben.

Blick in das Archäologische Museum von Rakka nach der Befreiung im Herbst 2017.
Blick in das Archäologische Museum von Rakka nach der Befreiung im Herbst 2017.

© John Walraven

Der Wissenschaftler setzt sich dafür ein, die spärliche Inventarliste aus Rakka anhand der ausländischen Grabungsdokumentationen, etwa aus Deutschland und den Niederlanden, mit einer präziseren Beschreibung und Fotos digital zu ergänzen. Unterstützt wird das Projekt mit Mitteln des Prins Claus Fonds, der Geld für Kultur- und Entwicklungsprojekte bereitstellt. Das DAI und andere deutsche Wissenschaftler hätten das Projekt tatkräftig unterstützt. Die Liste soll dann der DGAM übergeben werden, die sie wiederum Interpol zukommen lässt, um mit Hilfe der international ermittelnden Kriminalpolizei den Verbleib der Objekte aufzuklären.

Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitern in Rakka habe er keinen mehr, erzählt Nieuwenhuijse. Die Situation vor Ort sei sehr unklar. „Als die Stadt befreit wurde, gab es einige Fotos vom Museum“, berichtet der Archäologe. „Dort liegen noch viele große Objekte. Man kann sie auf Fotos sehen, die durch die Fenster aufgenommen wurden. Aber der IS hat das Museum derart mit Minen und Sprengfallen versehen, das sich niemand mehr in das Gebäude traut. Man müsste eigentlich die verbliebenen Funde inventarisieren – aber das ist derzeit zu gefährlich.“

Das Beseitigen der Minen im Museum ist ein ernstes Problem

Er wisse über Mittelsmänner, dass das Haus immerhin gut bewacht wird, sagt Olivier Nieuwenhuijse. Die Kurden versuchten wohl mit Hilfe amerikanischer Spezialisten, die Minen aus dem Gebäude zu entfernen. „Aber im Moment haben die Kurden wegen der Kämpfe im Grenzgebiet gegen die Türken andere Sorgen“, fügt er resigniert hinzu. Die syrische Antikenverwaltung DGAM habe in Rakka nichts mehr zu sagen.

Jetzt nutzt der Archäologe seine Zeit in Berlin, um sich zu vernetzen und um sein Projekt voranzutreiben. Die Fortführung von „Focus Raqqa“ ist noch nicht endgültig finanziert. Eine entsprechende Website befindet sich in Vorbereitung. Rakka, die unbekannte Stadt am Euphrat – den Enthusiasten Olivier Nieuwenhuijse und seine syrisch-niederländischen Mitarbeiter hat sie letztendlich bis heute nicht losgelassen.

Weitere Artikel zur Archäologie finden Sie auf unserer Themenseite.

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