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Ré Soupault auf dem Buchcover.

© Wunderhorn Verlag

Ré Soupault: Magie der Sekunde

Kämpferin in wilden Zeiten: Die Bauhaus-Schülerin Ré Soupault erzählt in „Nur das Geistige zählt“ aus ihrem bewegten Leben.

Die Studienjahre am Weimarer Bauhaus haben sie geprägt. Wassily Kandinsky, Paul Klee und Oskar Schlemmer unterrichteten die 1901 in einem pommerschen Städtchen als Meta Erna Niemeyer geborene Ré Soupault, aber Johannes Itten beeindruckte sie am meisten: „Bei Itten geschah etwas, das uns befreite. Wir lernten nicht malen, sondern lernten neu sehen, neu denken und zugleich lernten wir uns selbst kennen“, schreibt sie in ihren Erinnerungen „Nur das Geistige zählt“.

Wie ein innerer Kompass leiten das in Weimar erworbene Raum- und Farbempfinden und der strenge Sinn für Proportion die spätere Fotografin, Modemacherin, Übersetzerin und Schriftstellerin. Ihr großartiges Porträtfoto von Johannes Itten erscheint wie eine Chiffre dieses Geistes, dies tun auch die minimalistischen Räume, die sie für sich einrichtete und dokumentierte, zuletzt das frühere Atelier von Max Ernst in New York.

Oft lebte sie in prekären Verhältnissen, etwa bei der Herstellung eines experimentellen Films zusammen mit Viking Eggeling, der „optische Musik“ inszenieren wollte – ohne etwas von Tricktechnik zu verstehen oder sich um die Finanzierung seines Vorhabens zu kümmern. So arbeitete Ré Soupault im Winter 1924/25 in einer ungeheizten Dachkammer, nur einmal holte Kurt Schwitters sie für ein paar Erholungstage dort weg.

Kampf gegen die Haute Couture

„Ich bin keine Aufgeberin“, schreibt sie und bekennt sich zu einem gewissen Arbeitsfanatismus. Hartnäckigkeit, Energie und unzählige Ideen ermöglichen auch ihr vielleicht ehrgeizigstes Projekt: ein eigenes Modestudio in Paris, nachdem sie schon in Berlin, nach der Schließung des Weimarer Bauhauses 1925, für einen Modeverlag gezeichnet hatte.

Férnand Leger hatte Ré dem Pariser Modekönig Paul Poiret vorgestellt, für den sie eine aufsehenerregende Kollektion Hosenröcke entwarf. Aber damit war sie nicht zufrieden: Sie sagte den femininen Effekten und dem schnellen modischen Wechsel der Haute Couture den Kampf an und entwarf praktische, verwandlungsfähige Modelle für die berufstätige Frau, wie das „Transformationskleid“. Auch die Innenräume ihres Studios „Ré Sport“ gestaltete sie selbst, puristisch weiß, die Möbel lieferte Mies van der Rohe. Ganz Paris war begeistert, Man Ray fotografierte die Kollektionen, ihre Freundin Helen Hessel berichtete für Berliner Zeitungen.

Die jetzt von Manfred Metzner herausgegebenen und sorgsam kommentierten Erinnerungen schrieb Ré Soupault Anfang der 1980er Jahre. Sie reichen von 1918 bis 1949. Die Autorin nutzte neben Tagebüchern dafür auch eigene Briefe. Präzise und unsentimental halten sie vor allem die explosive Atmosphäre jener Jahre fest, wie sie in den täglichen Ereignissen aufscheinen. Das Auge der Fotografin sucht auch erzählerisch den einen entscheidenden Augenblick, in dem die tiefsten Regungen der Menschen in Bewegungen und räumlichen Konstellationen kenntlich werden: Davon zeugen ihre verstörenden Bilder und Berichte aus Tunis.

Sie macht die einzigen Fotos aus dem Harem des Scheiks von Tunis

Zusammen mit ihrem zweiten Mann, dem Schriftsteller und Journalisten Philippe Soupault, der im Regierungsauftrag dort einen antifaschistischen Sender aufbauen soll, sind sie auch beim Scheik eingeladen, Ré darf den Harem besuchen und später im „Quartier Réservé“, dem Viertel der verstoßenen Frauen, fotografieren. Es blieben die einzigen Fotos, die dort je gemacht wurden. Als die Vichy- Regierung in Paris die Macht übernimmt, wird Philippe inhaftiert und Ré versucht unter Lebensgefahr, ihn mit Lebensmitteln zu versorgen und freizubekommen. Ganz sachlich schildert sie die Drohungen der Botschaft, den Hass der arabischen Bevölkerung. Der kühle Ton lässt den Schrecken jenes Jahres 1942 besonders plastisch werden.

Als Philippe zwei Jahre später in den USA sein Gefängnistagebuch schreibt (es erschien 2017 gleichfalls bei Wunderhorn) werden die Traumata wieder lebendig und Ré versucht, ihm zur Seite zu stehen. Redlich, fast bescheiden, berichtet sie von diesen seelischen Stürmen, mit klarem politischem Blick und jederzeit bereit, frühere Irrtümer einzugestehen. Gerade diese Haltung macht ihre Erinnerungen lesenswert.

Ré Soupault: Nur das Geistige zählt. Vom Bauhaus in die Welt. Erinnerungen. Herausgegeben von Manfred Metzner. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2018. 240 S., 22,80 €.

Nicole Henneberg

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