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Kultur: Scheherazades Juwelen

Claudia Ott entdeckt die Handschrift von „101 Nacht“.

Es war ein Zufallsfund. Als 2010 im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung „Schätze des Aga Khan Museums – Meisterwerke islamischer Kunst“ feierlich eröffnet wurde, entdeckte die Arabistin Claudia Ott, damals für das Musikprogramm zuständig, in einer Vitrine mit Objekten aus Andalusien eine Handschrift mit arabischen Erzählungen aus dem 13. Jahrhundert.

Bis zum Abbau der Ausstellung musste sie warten, damit sie Gewissheit hatte: Es handelte sich bei dem Manuskript um das fast vollständig erhaltene „Buch mit der Geschichte von Hundertundeiner Nacht“, das nun, von ihr übersetzt und mit einem umfangreichen Anhang versehen, in einer prachtvollen Ausstattung bei Manesse erschienen ist.

Die Aga-Khan-Handschrift ist über ein halbes Jahrtausend älter als bisher bekannte Überlieferungen des Textes, und sie ist auch deutlich älter als die älteste bekannte Handschrift der ungleich berühmteren Schwestersammlung der „Erzählungen aus 1001 Nacht“, mit der sie sich die Rahmengeschichte von Scheherazade teilt. Die teils auf indische, teils auf persische Wurzeln zurückgehende, in der Blütezeit der städtischen Hochkultur der arabisch-islamischen Großreiche fortgeschriebene Sammlung ist ein Lehrstück gelungenen Kulturaustausches und integraler Bestandteil auch der abendländischen Literatur. Ihre kleine Schwester „101 Nacht“ entstand sogar in Europa, im maurischen Andalusien, und „führt uns“, so Ott, „in unser Mittelalter und mitten ins Herz des multikulturellen Europa jener Zeit“. Arabische Erzählungen sind seit Antoine Gallands 1704 erschienener französischer Übersetzung der „Erzählungen aus 1001 Nacht“ in Europa omnipräsent, so dass es vermutlich leichter wäre, eine Liste mit Autoren zusammenzustellen, die nicht von ihnen beeinflusst waren als umgekehrt. Das Werk, schrieb Jorge Luis Borges, sei derart „umfassend, dass man es nicht gelesen haben muss“.

Mit der Übersetzung und Kommentierung der andalusischen Handschrift von „101 Nacht“ hat Claudia Ott einen literaturhistorischen Coup gelandet und einen Schatz gehoben, der knapper, schmuckloser und weniger kunstvoll verschachtelt als die große Schwester daherkommt, aber auf ähnlich charmante Weise von der nicht zu brechenden Macht des Erzählens zeugt. Andreas Pflitsch

Andreas Pflitsch

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