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Protest des Berliner Staatsballetts.

© AFP

Streit um Waltz am Berliner Staatsballett: Eine Riesenpleite für Müller und Renner

So groß war der Widerstand nicht mal an der Volksbühne: Der Protest gegen Sasha Waltz zeigt, dass Michael Müller und Tim Renner erneut versäumt haben, ein Ensemble für den Aufbruch zu gewinnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Ein Ensemble, das geschlossen gegen eine neue Intendanz protestiert, das gab es noch nie in Berlin. Nicht mal die Volksbühne lancierte eine vergleichbare Petition, als der Regierende Kultursenator Michael Müller und Kulturstaatssekretär Tim Renner mit Chris Dercon den Nachfolger von Frank Castorf bekannt gaben. Seitdem tobt ein Theaterstreit in der Stadt, gut so, Erregung belebt die Künste.

Aber jetzt auch noch ein Ballettstreit? Sasha Waltz sei für den Job nicht geeignet, schreiben die Tänzerinnen und Tänzer des Berliner Staatsballetts wenige Tage nach der Ernennung von Waltz und dem schwedischen Opernballettchef Johannes Öhman als Doppelspitze ab 2019. Sie warnen vor Rufschädigung, fordern die sofortige Zurücknahme der Entscheidung.

Eine Riesenpleite für Müller und Renner, die mit der Bekanntgabe kurz vor der Wahl in der Kulturszene für sich werben wollten. Nun fliegt ihnen ihre Personalpolitik um die Ohren, oder genauer: die Hälfte davon. Matthias Schulz als künftiger Staatsopernchef mit Warmlaufzeit unter der Noch-Regie von Jürgen Flimm, das wurde als Coup gewürdigt, als Chance auf eine sanfte, reibungsarme Erneuerung eines altehrwürdigen Hauses, dessen eigentlicher Chef natürlich Daniel Barenboim heißt. Schon jetzt genießt Schulz die Sympathien der Klassikszene. Und Paul Spies als neuer Direktor des Stadtmuseums wird spätestens seit der Vorstellung seines Masterplans und der Berlin-Ideen fürs Humboldt-Forum schon fast wie ein Messias gefeiert.

Mal Jubel, mal Wut: Berlin reagiert heftig, wenn es um die Kultur geht. In beiden Wut-Fällen, bei Dercon wie bei Waltz, sieht es sehr danach aus, als hätten Müller und Renner es vor lauter Lust am Aufbruch versäumt, die Ensembles beizeiten für den Aufbruch zu gewinnen. Wo, wenn nicht in Berlin, ist solche Lust in der Kulturpolitik unverzichtbar? Aber es geht auch nicht ohne Diplomatie: Personalien sind delikate Angelegenheiten, Diskretion ist Ehrensache. Trotzdem dürfen die Tänzer nicht erst aus den Medien erfahren, wer ihnen künftig was vortanzt.

Wer die Zukunft will, muss die Gegenwart wertschätzen

Man nehme ihre Ängste ernst, heißt es aus der Kulturverwaltung – zu spät. Die Compagnie empfindet das anders. Noch beharren Renner und Müller auf ihrer Entscheidung, zeigen sich überzeugt, dass es gelingt. Es klingt wie Pfeifen im Wald: Wie wollen sie die Compagnie jetzt noch überzeugen? Künstler sagen gerne von sich, sie seien die Avantgarde. Wenn es um den eigenen Arbeitsplatz geht, fällt Veränderung allerdings schwer.

Schade um das Experiment, Berlins Ikone des Tanztheaters mit der Tradition des Staatsballetts zusammenzuführen. Die Ähnlichkeiten zu Dercon sind deutlich: hier das Theater, das sich entgrenzt hat in Richtung bildende Kunst – und Dercon als Antwort darauf. Dort das Ballett und das Tanztheater, diese ungleichen Geschwister, die sich künstlerisch längst die Hand reichen – und als Antwort das Duo Öhman und Waltz. Wer die Zukunft will, muss die Gegenwart wertschätzen, sie mitreißen. Ein Kraftakt, man nennt ihn Politik. Das Beharrungsvermögen in der Hauptstadtkultur haben Müller und Renner jedenfalls wieder einmal unterschätzt.

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