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Perfekt synchron. Das Tao Dance Theatre beim Festival Tanz im August.

© Duan Ni

Tanz im August: Das Böse auf der Bühne

Die Ensembles La Veronal aus Spanien und Tao Dance Theatre aus China zeigen zwei Stücke zwischen Groteske und Minimalismus.

Von Sandra Luzina

Hingebungsvoll schrubben und saugen acht Männer in weißen Arbeitsanzügen den roten Teppich auf der Bühne. Und widerlegen damit die verbreitete Ansicht, dass „Raumpflege“ Frauensache sei. Die Gruppe La Veronal aus Barcelona war die große Entdeckung beim letzten Tanz im August. Ihr neues Stück „Voronia“, das seine Deutschlandpremiere in der Schaubühne feierte, wurde nun vom Festival koproduziert.

Der Titel verweist auf die tiefste Kaverne der Welt, die Krubera-Voronia- Höhle in Abchasien. Choreograf Marcos Morau, der sich beim Vorgängerwerk „Siena“ von der Toskana-Stadt inspirieren ließ, ist diesmal der Idee des Bösen auf der Spur.

Der Katholizismus spukt durch das Stück

Dante hat ihn offenkundig mit seiner Schilderung der Höllenkreise angeregt. Die Tänzer in ihren engen schwarzen Anzügen, die mit weißer Spitze besetzt sind, erinnern zudem entfernt an die spanischen Barockmaler. Der Katholizismus mit seinen Ritualen und seinen Schreckensbildern spukt jedenfalls mächtig durch das Stück.

Bibelverse aus der Genesis, in denen ein strafender Gott seine Kreaturen verflucht, werden an die Decke projiziert. „Ich will die Menschen, die ich gemacht habe, vertilgen von der Erde“, heißt es da. Eine Prozession von Priestern in schwarzen Kutten schreitet über die Bühne, einer hält ein Lämmchen in den Armen. Ein Junge, der hier die kindliche Unschuld verkörpert, wird per Video von einem Flammenmeer umschlossen.

Stöhnende Laute sind zu hören. Wenn der Vorhang sich öffnet, sieht man hinter einer Glasscheibe, wie Ärzte in OP-Kitteln eine Frau umringen wie bei einer Abtreibung. Es sind moderne, klinisch reine Unterwelten, die Morau vor Augen führt. Aus einer Leichenkühlbox wird eine Gestalt mit Gorillamaske gerollt. Zum Schluss sieht man eine festlich geschmückte Tafel ganz in Weiß, wie für eine Hochzeit. Die Tänzer und die Kuttenträger muten zunächst wie Bedienstete an, nehmen dann unvermutet Platz. Morau zeichnet das Bild einer geschlossene Gesellschaft, aus der es kein Entkommen gibt. Nur der Junge nimmt am Ende Reißaus mit einem weißen Kruzifix. Doch die Schärfe eines Buñuel sucht man vergeblich.

Beine wie Lanzen in der Luft

Morau will den Ursprung von Religion und der Vorstellungen von Gut und Böse umkreisen. Wenn am Ende ein Jude, ein Muslim und ein Christ auf die Tafel sinken, sind sie in Ohnmacht vereint. Durch dieses Ideentableau wandern die Tänzer wie Besucher durch ein Museum.

Morau hat einen grotesken Tanzstil mit Brechungen und Verzerrungen entwickelt. In Duos und Trios verhaken und verknoten die Tänzer unentwegt ihre Körper. Die Verschlingungen werden mit spitzen, scharfen Bewegungen kontrastiert. Die Tänzer stechen ihre Beine in die Luft wie Lanzen. Die Soli der Männer lassen an Spiegelfechtereien denken.

Marcos Morau komponiert in erster Linie Bilder, die mal betörend und vieldeutig, mal einfach nur kryptisch sind. Der Tanz steht oft am Rande, wirkt unverbunden – auch zu der eingespielten Musik von Verdi und Wagner.

„Siena“ war ein intellektuell verrätseltes Bildertheater, das sofort gefangen nahm. In „Voronia“ nimmt Morau die Zuschauer wieder mit auf einen surrealen Trip. Doch besonders tief reichen die Erkundungen des choreografischen Höhlenforschers diesmal nicht.

Chinesischer Minimalismus

Doch der Tanz im August zeigt nicht nur Arbeiten, die im europäischen Denken verwurzelt sind. Der Fokus liegt diesmal auf Asien, das eine boomende Tanzszene zu verzeichnen hat. Mit Spannung erwartet wurde das Tao Dance Teatre aus China. Der junge Choreograf Tao Ye hat die Compagnie 2008 gegründet, mittlerweile reißen sich die großen Festivals von New York bis London um die Truppe.

Tao Ye führt eine chinesische Spielart des Minimalismus vor. In den beiden 30-minütigen Choreografien „6 & 7“, die im Haus der Berliner Festspiele zu sehen waren, bewegen sich die Tänzer die ganze Zeit völlig synchron. Im ersten Teil schälen sich die Silhouetten der sechs Tänzer in schwarzblauen Röcken nur vage aus der Dunkelheit heraus. Zu elektronischen Streicherklängen kreisen sie mit dem Oberkörper, wechseln abrupt die Richtung, kippen nach vorn und in eine tiefe Rückbeuge. Nur kleine Variationen dieses repetitiven Musters sind zu erkennen.

Trance und Drill

In „7“ sind es dann sieben Tänzer in weißen Schlauchkleidern, die die vertrackten Bewegungsfolgen auf der hell ausgeleuchteten Bühne ausführen und dazu summen und brummen. Die Choreografien muten zunächst wie eine formalistische Etüde an. Sie besitzen durchaus eine skulpturale Raffinesse und fesseln auch durch den energetischen Aspekt. Sie lassen an Trance oder an Drill denken, an Mönche oder an Arbeiter.

Es ist schon erstaunlich, dieser perfekte Gleichklang der Körper. Alle sind strikt eingebunden in das tanzende Kollektiv, Spielraum für Individualität gibt es hier nicht. In gewisser Weise bestätigt Tao Ye westliche Vorurteile über Chinesen. Allerdings umgibt die Gruppe sich mit einem Nimbus wie westliche Popdiven. Nur einmal verbeugen die Tänzer sich, danach sind sie verschwunden.

„Voronia“ wieder am 29. 8., 19 Uhr in der Schaubühne.

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