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Paul David Hewson, besser bekannt als Bono und Mastermind von U2, am Freitagabend in der Mercedes-Benz-Arena.

© Paul Zinken/dpa

U2 in Berlin: Das volle Erziehungs- und Aufklärungsprogramm

Mischung aus Multimedia-Spektakel, Polit-Revue und Rockkonzert: Der Auftritt von U2 zum Auftakt ihrer Europa-Tour in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.

In der Regel werden die Auftritte großer Rockbands in Berlin oder anderen großen Städten mit Plakaten angekündigt, flankierend präsentiert von einem Radiosender, der noch letzte Karten verlost und den einen oder anderen Song spielt. Kommen die Rolling Stones, gibt es auch Gossip, da wird schon mal in Tegel auf den Stones-Privatjet gewartet, im Adlon bis zum Eintreffen der Band Wache gehalten, Menü-Folgen in Erfahrung gebracht und dann darüber berichtet.

Im Fall von U2 jedoch verhält sich alles ganz anders, nämlich wirklich staatstragend, gewichtig, sendungsbewusst, weit über den Pop hinausgehend. U2 präsentieren sich am liebsten selbst, insbesondere ihr Mastermind Bono. Der traf sich nicht nur schon Tage vor dem ersten von zwei Berliner Konzerten in der Mercedes-Benz-Arena mit der Bundeskanzlerin und gab dieser gute Worte mit auf ihre Staatsbesuche in Ghana, Nigeria und dem Senegal, sondern schrieb überdies einen Essay in der „FAZ“. Darin brachte er seinen Stolz zum Ausdruck, ein Europäer zu sein, brach er eine Lanze für das vereinigte Europa, sein unbedingtes Weiterbestehen, und er kündigte auch an, auf dem Konzert in Berlin eine große, leuchtend blaue EU-Flagge zu schwenken. Als „eine unserer provokativeren Ideen“ beschrieb Bono dieses Vorhaben ironisch, um danach treffend zu erklären: „Europa ist dieser Tage schwer zu vermitteln in Europa, obwohl es in der Geschichte der Menschheit nie eine bessere Zeit oder einen besseren Ort gegeben hat, um auf die Welt zu kommen, als in Europa während der vergangenen 50 Jahre.“

Gut und richtig gesagt - und getan. Obwohl es am Freitagabend in der großen Arena am Ostbahnhof schon sehr lange dauert. Erst kurz vorm Zugabenblock wird eine EU-Flagge auf die Leinwand projiziert und eine andere hinter den Musikern aufgezogen, und schließlich laufen zu dem schönen Uralt-Song „New Year’s Day“ die Farben jedes europäischen Staates einschließlich Malta über die beiden Videowände inmitten der Halle.

U2 wollten schon immer mehr als nur eine Rockband sein

Doch hat dieses späte Flaggezeigen natürlich seinen guten Grund. Denn Bono und U2 müssen noch so viele andere Sachen sagen, so viele andere Botschaften transportieren. Der Einsatz für ein gemeinsames Europa ist da nur einer von vielen Programmpunkten. Schon vor der Show flimmern auf dem Bühnen- und Multimediagerüst abwechselnd Animationen mit Sprüchen wie „Free Speech“, „Give Peace A Chance“; „Refugees Welcome“ oder „Nowhere on earth do woman have many opportunities as men“. Ob da Noel Gallaghers Song „Beautiful World“, der als eine Art Prolog des Konzerts vom Band kommt, schon eine Beschwörung sein soll? Gar das Leitmotiv des Abends, gerade weil so viel anderes verhandelt werden muss? Als schließlich Bono, The Edge, der Bassist Adam Clayton und der Schlagzeuger Larry Mullen dieses Gerüst zwischen den beiden herkömmlichen Bühnen im vorderen und hinteren Bereich der Halle betreten, um das erste Stück zu spielen, „Blackout“ vom neuen Album „Songs of Experience“, gibt es erstmal eine kleine Geschichtsstunde, eine europäische, versteht sich: mit Bildern kriegszerstörter Städte der frühen und mittleren vierziger Jahre, die später mit aktuelleren fortgesetzt und vermengt werden, mit Helmut Kohl, Wladimir Putin oder Donald Trump.

Wären U2 jetzt einfach nur eine große und gute Rockband, wie, sagen wir, die Stones, würde das jetzt vielleicht reichen an politischer Sendung und historischer Aufklärung. Ja, da würde das alles gar des Guten schon zuviel sein. Jetzt doch bitte mal: zur Musik, zum Rock! Doch U 2 wollten praktisch zeit ihrer Gründung stets mehr als eine gute und große Rockband sein, ihnen ist die Verbindung von Pop und Politik sprichwörtlich in Kopf (vor allem) und Körper (etwas weniger) übergegangen. Ihr Konzert an diesem Freitagabend ist eine Mischung aus Multimediaspektakel und bunter Polit-Revue, eine Art Nummernprogramm (Experience, nicht Innocence!) mit rockmusikalischer Begleitung, also, klar, mit den nicht wenigen Hits aus der fast vierzig Jahre währenden U2-Geschichte, von „Beautiful Day“ über „Sunday Bloody Sunday“ bis zu „Pride (In the Name of Love“) und „One“. Die Band spielt einen Set auf der großen Bühne, einen auf der etwas kleineren, sie läuft Beatles-Abbey-Road-mäßig immer mal wieder auf dem Steg zwischen den Bühnen, und verteilt sich einmal gar an vier verschiedenen Stellen, so dass jede Publikumsseite im ausverkauften 17000er-Rund einen der Musiker ganz nah bei sich hat. Kommt zusammen, kommt alle zusammen. Wir gehören euch.

Es gibt einen U2-Comic, auf dem häufig das Wörtchen „Ehrgeiz“ in einer Sprechblase steht und die vier Musiker sich am Ende in einer Trabi-Stretchlimousine nach Berlin kutschieren lassen; Bono setzt sich einen Hut auf, die Brille ab, tauscht die Rolle und wird zu Mephisto, der das Auftauchen von Donald Trump und der AfD begrüßt; und klar, an den Konflikt in Nordirland wird auch erinnert, an den Tag des Jahres 1972, den sogenannten Blutsonntag, auf den der Song von U2 anspielt, als im nordirischen Derry bei einer Demonstration 13 Menschen von britischen Soldaten erschossen wurden.

"Armut ist Sexismus", wissen U2. Und Frauen müssen an die Macht

Ja, man lässt sich das alles gefallen. Es unterhält gut, ist Erinnerungstrigger und Geschichtsstunde, lenkt aber auch von der Musik ab. Von der Tatsache, dass hier eine Band im klassischen Rock-Line-Up mit Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug spielt und damit zweieinhalb Stunden auskommt (abgesehen von einigen wenigen Keyboard-Einsätzen wie bei „New Year´s Day“). Das ist schon eine Leistung, gerade in Zeiten, da der Rock nun wirklich nicht mehr als ein alter Ackergaul ist. Viele der ja nicht besonders komplizierten, innovativen, dafür immer auf den erlösenden Hook getrimmten U2-Songs haben etwas schön Treibendes, Druckvolles, Dynamisches, auch alte wie „I will Follow“.

Das besonders zu Beginn extrem ausgestellte Gesangspathos von Bono weicht im Verlauf des Konzerts ruhigeren Gesangs- und auch Sprecheinlagen, so wie bei „Summer of Love“, einen Song, den Bono allein zum Gitarrenspiel von The Edge performt. Zuerst erzählt er ein bisschen was von der Band in den neunziger Jahren, wie das damals so war, auch an den Gestaden des Mittelmeers, wie sie begannen, Familien zu gründen. Dann leitet er über zu dem Song, einem der schönsten des neuen Albums, mit Zeilen wie „I've been thinking about the West Coast/Not the one that everyone knows“. Schließlich sieht man das blaue Meer auf der Videoleinwand, erst nur Wasser und Himmel, dann ein Boot voller Flüchtlinge. Die Liebe, sie ist bei U2 nichts Spezielles, sondern allumfassend.

Nein, es gibt auf diesem Konzert wirklich das volle Erziehungs- und Aufklärungsprogramm: die Boote auf dem Mittelmeer, Ungarn im Jahr 2015, das zerstörte Aleppo, Demonstrationen in der Ukraine („Stop Neo-Fascism in Ukraine“) undundund, U2 lassen an diesem Abend nichts aus. Auch nicht bei den Zugaben, die wunderbarerweise mit einem vom Band gespielten Stück des Chicagoer Postrockers Jim O’ Rourke beginnen: „Women of the world“. Dieses Stück bringt Bonos feministische Seite ganz stark zur Geltung, inklusive seines Hinweises auf den Hashtag „Womenoftheworldtakeover“ oder des Leinwand-Spruches „Armut ist Sexismus“. Und dann zeigt er sich, bevor er „One“ anstimmt, bestens informiert über die jüngsten Ereignisse in Deutschland, in Chemnitz, über die er einfach sprechen muss, zu schweigen von der Feier der gleichgeschlechtlichen Liebe, die darauf noch mit dem Song „Love is bigger than anything in its way“ folgt.

Dieser Song wirkt zwar versöhnlich, wie auch "13. There is a Light", das Schlussstück, aber bei all dem Mahnen und Warnen auch ein bisschen ratlos: So schön ist Noel Gallaghers „Beautiful World“ halt nicht, so licht. Sie wird leider immer unschöner und düsterer.

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