zum Hauptinhalt
Antike Zeugen. An den Gestaden des Mittelmeers haben die Griechen manche Spuren hinterlassen; hier die Ruinen des Heraklestempels (um 500 v. Chr.) im sizilianischen Agrigent, dem antiken Akragas. Die Stätte ist seit 1997 Unesco-Weltkulturerbe.

©  Bernhard Schulz

Vor- und Frühgeschichte des Mittelmeerraumes: Entwicklung braucht Austausch

Cyprian Broodbank erkundet den Raum um das Mittelmeer in den Jahrtausenden seiner Besiedelung.

Das Mittelmeer ist fast täglich in den Nachrichten präsent. Wir sehen Bilder von überfüllten Booten mit geflüchteten Menschen und hören fast wöchentlich von Toten. Das Mittelmeer assoziieren wir heute nicht mehr in erster Linie mit Sonne, Strand und antiker Kultur; vielmehr ist es zur Barriere im Flüchtlingsdrama geworden.

Beschäftigt man sich mit dem Mittelmeerraum als Kulturraum, dann denkt man an Griechen und Römer und vielleicht noch an die Phönizier. Doch dieses Meer, das Europa, die Levante und Nordafrika schicksalhaft miteinander verbindet, ist ein viel älterer Kulturraum. Nur haben sich die archäologische und auch die historische Forschung bisher vor allem diesen drei genannten Kulturen gewidmet. Dabei ist das Mittelmeer doch ein viel größerer Raum, der der Erforschung harrt. Eine Herkulesaufgabe, der sich wagemutig der britische Historiker und Archäologe Cyprian Broodbank in einem umfangreichen Werk stellt.

Auf 800 Seiten erzählt Broodbank „Die Geburt der mediterranen Welt. Von den Anfängen bis zum Klassischen Zeitalter“. Mit seinem Buch öffnet er den Horizont schwindelerregend weit und mutet dem Leser zugleich einiges an Detailwissen zu. An den Anfang des Buches stellt er einige chronologische Tabellen zur groben Orientierung. Seinen Anspruch formuliert er so: „Archäologie will die Erweiterung der Geschichte, und sie will diese mit anderen Mitteln bewerkstelligen; mit solchen, die man braucht, um die fernere Vergangenheit des Mittelmeers zu erforschen“.

Eine Welt, die ständig im Fluss ist

Dabei greift Broodbank einen Gedanken der beiden Historiker Peregrine Hordens und Nicholas Purcell auf. Sie wiesen auf die starke Fragmentierung des Raumes hin, die es notwendig mache, die Geschichte nicht nur chronologisch zu erzählen, sondern auch die natürlichen Gegebenheiten wie Niederschlagsverhältnisse, Windrichtung und Naturkatastrophen zu berücksichtigen. So beschreiben sie eine Welt, die ständig im Fluss ist, in der Netzwerke sich permanent ändern, aber sie konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Periode von 800 vor bis 13 nach Christus.

„Aber was ist mit den Jahren, die all dem vorausgingen; was mit der riesigen Zeitspanne, die so unpassend ,Vorgeschichte‘ genannt wird?“, fragt Broodbank. Denn für ihn sind die Jahre davor „die Zeit, in der unsere eigene Spezies mit ihren kognitiven Fähigkeiten in Erscheinung trat, in der Ackerbau und Viehzucht, Schifffahrt und Handel entstanden und sich verbreiteten; in der Städte und Staaten aufstiegen und untergingen; in der neue Techniken, Konsumgewohnheiten, neue Ideologien und Politiken auftauchten“. Hier setzt Broodbank mit seinem ambitionierten Ziel an, um wirklich von den Anfängen her den Mittelmeerraum zu erforschen, der aus seiner Sicht erst dann wirklich interessant wurde, als die Menschen in der Lage waren, das Meer zu nutzen und es zu überqueren.

Ein Standardwerk zur Geschichte des Mittelmeerraumes.
Ein Standardwerk zur Geschichte des Mittelmeerraumes.

© Beck

Bei seinem Vorhaben geht Broodbank weit über die klassische Archäologie hinaus. Es reicht aus seiner Sicht längst nicht mehr aus, sich auf die klassische Antike der Griechen und Römer zu konzentrieren, denn sie hatten Vorläufer und Nachbarn, mit denen sie interagierten. Dabei legt Broodbank den Finger in eine Wunde, denn die Erforschung des Lebens entlang der nordafrikanischen Küste hat noch kaum stattgefunden.

„Die nordafrikanische Küste war, das ist eine anregende Hypothese, über lange Zeiten hinweg nicht zum Mittelmeer hin orientiert, sondern in den weiteren Raum nach Süden“, schreibt Broodbank. Und richtet dabei sein Augenmerk auf Nordafrika und die Entwicklungen in der heutigen Sahara. Auch warnt er davor, alle Entwicklungen um das Meer herum nach gleichen Maßstäben zu beurteilen.

In Europa ist die Geschichte anders verlaufen als in der Levante oder eben in Nordafrika. Klima und Geografie spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Erklärung der Entstehung des mediterranen Raums; ja, das Klima und sein Wandel sind „als aktives Element in der Gestaltung des Lebens rings um das Becken zu begreifen“.

Dabei verlangt er dem Leser einiges ab, konfrontiert ihn mit neuen Zeiträumen und Kulturen, von denen der Laie bisher noch nichts gehört hat – daher auch die Tabellen am Anfang. Aber er liefert wertvolle Anregungen, die uns mit anderen Augen auf die Entwicklung der Kulturen blicken lassen. Bei dieser Gelegenheit warnt Broodbank auch vor den Gefahren, die der Archäologie des Mittelmeerraumes heute durch rücksichtslosen Bauboom, Tourismus und Raubgräber drohen.

Anzeichen erster Sesshaftigkeit im Jordantal vor 10 000 Jahren

„Unser zentraler Schauplatz ist das Meer in seiner Ausdehnung von Gibraltar bis zur Levante und von der Großen Syrte bis zum nördlichen Ende der Adria“, definiert Broodbank seinen Raum. Damit aber nicht genug, er nimmt auch die Randgebiete unter die Lupe und vor allem die Kontaktzonen zwischen dem Meer und seinen Küsten und den Randgebieten, die ins Innere reichen. Dazu zählt er die Iberische Halbinsel, den Maghreb, Italien, die Ägäis, aber auch Dalmatien, die Südtürkei, die Inseln, die Levante und das Nildelta sowie die Küste Nordafrikas, der im Gegensatz zu anderen Regionen kleine Buchten und vorgelagerte Inseln fehlen, was die Entwicklung hemmt. Anhand dieser Regionen beschreibt Broodbank das unterschiedliche Tempo der menschlichen Entwicklung, wobei der Levante mit der angrenzenden Dschazira und dem Euphrat eine Vorreiterrolle zukommt.

Hier zeigen sich schon früh Anzeichen von Sesshaftigkeit im sogenannten Präkeramischen Neolitihikum, vor allem im Jordantal vor mehr als 10 000 Jahren. Erste Behausungen werden nun dauerhaft aus Lehmziegeln errichtet, auf die bei Verfall der Häuser ein neues auf dem Schutt des alten errichtet wird – so entsteht ein Tell, heute sichtbares Zeichen eines Siedlungshügels. Archäologische Funde weisen die Anzeichen bäuerlichen Wirtschaftens nach, was durch das Klima begünstigt wurde. Artefakte werden allmählich hergestellt, es entsteht Tauschwirtschaft.

Die Doppelkopffiguren von Ain Ghazal im Nationalmuseum von Amman (2010) zeugen von der hohen Kunstfetrigkeit der Levante vor 10 000 Jahren.
Die Doppelkopffiguren von Ain Ghazal im Nationalmuseum von Amman (2010) zeugen von der hohen Kunstfetrigkeit der Levante vor 10 000 Jahren.

© Rolf Brockschmidt

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Siedlung von Ain Ghazal, von deren hohem Zivilisationsgrad die berühmten doppelköpfigen Statuen zeugen, die vor 14 Jahren auch in Berlin in einer legendären Ausstellung über die Archäologie Jordaniens zu sehen waren. Dieser Ort wie auch Basta erstreckte sich über neun bis 14 Hektar und hatte damals schon mehrere Tausend Einwohner.

Im späten siebten Jahrtausend taucht gebrannte Keramik als kulturelle Errungenschaft in der Levante auf. Der Niedergang von Ain Ghazal lag, abgesehen von einem plötzlichen Klimawandel, auch darin begründet, dass zu viel Holz geschlagen wurde, um Ackerland und Brennstoff zu gewinnen. Diese nicht nachhaltige Bewirtschaftung rächte sich schon damals bitter.

Broodbank zeigt in großen Schritten, wie die Vorfahren der anatomisch modernen Menschen in den Mittelmeerraum eindringen, wie das Erdklima sich immer wieder dramatisch verändert hat und wie das Aufkommen von maritimen Aktivitäten und Ackerbau und Viehzucht aus dem mesopotamischen Raum sich in der Mittelmeerregion verbreiteten.

Mit der Erfindung des Segels begann die Entwicklung des Raumes

Zwischen 3500 und 2200 vor Christus formt sich das Mittelmeergebiet zu dem Raum, der uns vertraut ist. Das Klima wird trockener und Flora und Fauna entwickeln sich so, wie wir sie heute kennen. Von großer Bedeutung ist das, was in den Randzonen geschieht: die Herausbildung großer, organisierter städtischer Gesellschaften in Mesopotamien und Ägypten. Sie strahlen auf den ganzen Mittelmeerraum aus.

Erst als die Menschen begannen, in Schiffen das Meer zu erkunden, es zu überqueren und Handel zu treiben, beschleunigt sich die Entwicklung des Raumes. Dabei kommt der Erfindung des Segels im zweiten Jahrtausend eine revolutionäre Bedeutung zu. Die Mobilität nach Westen erhöht sich schlagartig, Handel und Austausch wachsen. Das ist eine der zentralen Aussagen des Buches: Der ganze Raum verdankte seine Entwicklung ständigem Austausch zwischen den Kulturen.

Broodbanks Buch liest man nicht in einem Zug, es fordert den Leser heraus, aber es ist eine Fundgrube an Wissen. Es hilft, über das Sachregister zu bestimmten Themen zu gelangen und sich neue Horizonte zu erschließen.

Cyprian Broodbank: Die Geburt der mediterranen Welt. Von den Anfängen bis zum klassischen Zeitalter. C. H. Beck, München 2018. 952 S. mit 207 Abbildungen und zwei farbigen Tafelteilen mit 49 Abb., 44 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false