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Aus dem Vollen. Die Malerin Aneta Kajzer in ihrem Atelier in Bethanien.

© Jonas Brander

Wie sich freie Künstler in Berlin durchschlagen: Töpfe und Talente

Freie Künstler müssen sich oft mit Nebenjobs den Lebensunterhalt verdienen. Institutionen und Senat helfen bei der Finanzierung. Zwei Ausstellungen von Stipendiaten sind gerade in Berlin zu sehen.

„Nicht nur von der Kunst abhängig sein“, sagt die Frau in die Kamera. Sie ist eine von über 60 Interviewpartnern, denen Katrin Glanz die Frage stellte: „Was würden Sie mir als bildende Künstlerin in der heutigen Zeit raten, zu tun?“ Entstanden ist daraus die Videoarbeit „Was tun?“. Unter dem gleichen Titel veröffentliche Lenin einst seine berühmte Streitschrift zu den Anfängen der russischen Sozialdemokratie. Passenderweise wird Glanz im Interview außerdem geraten, sich für eine finanzielle Grundsicherung einzusetzen.

Nach einer Studie des Berliner Instituts für Strategieentwicklung (IFSE), die im April vorgelegt wird, wäre dies für 80 Prozent der rund 9000 in Berlin lebenden Künstler ein Ende des anstrengenden Spagats zwischen Kunst machen wollen und mit drei Nebenjobs den Lebensunterhalt verdienen müssen. Solange die Künstler-Grundsicherung noch Vision ist, befreien Stipendien zeitweilig vom Existenzdruck.

Klaus Leder unterstützt freie Künstler

Auch Katrin Glanz’ Videoarbeit ist einem Stipendium zu verdanken. Mit zehn weiteren Künstlern erhielt sie 2017 das mit 18 000 Euro dotierte Arbeitsstipendium für Bildende Kunst des Kultursenats. Für diese Förderung bewerben sich jährlich bis zu 400 in Berlin lebende Künstler. Unterstützt werden „Newcomer, aber auch altbekannte Künstler“, so Ingrid Wagner von der Kulturverwaltung. Eine fünfköpfige Jury entscheidet allein nach künstlerischer Qualität. Quotenvorgaben gebe es keine, aber man achte auf Gender und Diversity.

Kultursenator Klaus Lederer hat sich seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren die Unterstützung freier Künstler auf die Fahnen geschrieben. 2017 erhöhte das Abgeordnetenhaus die Mittel für Arbeitsstipendien um ein Drittel; allerdings reduzierte sich die Gesamtzahl der Künstler. Mit Einführung des neuen Recherchestipendiums zur Entwicklung von Ideen, das allgemein Kulturschaffenden zugutekommen soll, wurde das Arbeitsstipendium für Bildende Kunst als sogenannte Exzellenzförderung neu ausgerichtet. Wer eines der begehrten Stipendien bekommt, kann sich nicht nur über ein Komplettpaket mit Finanzspritze, Gruppenausstellung, Katalogbeitrag und Rahmenprogramm freuen. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist für die Karriere genauso förderlich.

Was die Künstler während ihres Stipendiums produzieren, stellen sie am Ende in Kooperation mit einer renommierten Institution aus, etwa der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, aktuell dem Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.). Im Austausch mit den Künstlern suchten die Kuratorinnen Marenka Krasomil und Michaela Richter nach Bezügen zwischen den sehr verschiedenen Arbeiten der Stipendiaten. Unter dem Titel „Mess with your values“ in Anlehnung an eine Zeile aus dem Song „Candite“ der Post-Punker Joy Division bringen sie Malerei, Fotografie, Videokunst zusammen – denn um das Infragestellen gesellschaftlicher Normen geht es ja fast immer.

Spendenbox für arbeitslose Sprengmeister

Gleich zu Beginn der Ausstellung im n.b.k. wird um eine Spende gebeten. Jedoch nicht für bedürftige Künstler. In eine dem Stadtschloss nachempfundene Spendenbox soll Geld für arbeitslose Sprengmeister gesteckt werden. Eine weitere Box – bestehend aus dem Ost- und dem Westteil der Republik – appelliert „Spende Jetzt!! Aufbau West!“. Wilhelm Klotzeks „Donationsdystopie“, so der Titel, stellt die politischen Debatten des Landes gewitzt infrage.

In Nadira Husains Installation „Only Paradoxes to offer“ bringt eine Frau mit einem saftigen Faustschlag sogleich hierarchische Strukturen zwischen den Geschlechtern ins Wanken. Sie katapultiert den von ihr attackierten Mann geradezu aus der Leinwand. Den rot-lilafarbenen Bildraum hat die Künstlerin ohnehin gesprengt, indem sie die Leinwand an zwei Ständer montierte, auf einen rosa Teppich platzierte und rosa Granitsteine drum herum anordnete.

Residenzprogramm des Künstlerhaus Bethanien

Ganz im Rahmen bleibt hingegen die Malerei der Stipendiaten, die im Künstlerhaus Bethanien gezeigt wird. Wobei der Betrachter von Aneta Kajzers Bildern nicht sicher sein kann, ob die voluminösen, expressiven Farbkörper nicht selbst aus den großformatigen Leinwänden überquellen. Kajzer hat Spaß an der grotesken Überzeichnung. Bei ihr werden sogar Ballerinabeine, der Inbegriff von Eleganz, zu wuchtigen Stampfern. Das sieht lustig und irritierend zugleich aus. Die aus Polen stammende Malerin wurde von privater Hand gefördert – durch den englischen Künstlerbedarf-Hersteller Winsor & Newton, im Rahmen des Hochschulprogramms The Fine Art Collective. Bewerben kann man sich dafür nicht. Dafür vorgeschlagen wurde Kajzer von ihrer Akademieprofessorin Shannon Bool, die letzte Entscheidung traf auch hier eine Jury. Sowohl Aneta Kajzer als auch der Schweizer Maler Manuel Stehli hatten jeweils sechs Monate ein Atelier im Künstlerhaus Bethanien, dazu einen monatlichen Stipendienbeitrag sowie fachliche Unterstützung. Auch hier bildet eine gemeinsame Ausstellung den Abschluss.

Das Residenzprogramm des Künstlerhaus Bethanien reicht zurück bis in die 90er Jahre. Über 1000 Künstler haben seitdem davon profitiert. In seiner jetzigen Form als „Internationales Atelierprogramm“ bringt es Künstler aus der ganzen Welt nach Berlin. Das „Bethanien“ stellt Räumlichkeiten, Infrastruktur und künstlerisches Netzwerk zur Verfügung. In den Genuss kommen Künstler nur über Kooperationspartner des Künstlerhauses. Dazu gehören private wie öffentliche Institutionen aus bisher 18 Ländern. 40 Stipendiaten sind es jährlich, die 27 Studios in der ehemaligen Lampenfabrik sind permanent ausgebucht. Wie beim Senatsprogramm stehen sogenannte Emerging Artists im Fokus, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und erste Schritte in die Kunstwelt gemacht haben. Wer das so ist und was die Künstler hier produzieren, kann man sich drei Mal im Jahr bei den „Open Studios“ angucken oder eben bei den Werkpräsentationen wie gerade von Kajzer und Stehli unter dem Titel „Out of Touch / Out of Time“.

Was im Titel bereits anklingt, springt dem Betrachter beim Betreten der Ausstellungsräume gleich ins Auge. Neben Kajzers körperlichen, vor Bewegung strotzenden Malereien wirken die Bilder von Manuel Stehli gerade zu leer. Die Zeit, wie angehalten. Mit gedämpften Farben, harten Kanten schafft der Maler cleane, zugleich hypnotisch anziehende Landschaften in einer Computerspiel-Optik der 90er Jahre. Dorthinein platziert er seine wie im Moment verhafteten Figuren und lotet feinfühlig die Beziehungen zwischen ihnen aus. Da sitzt in einem Bild ein junges Paar: Sie blickt geradeaus, er neigt den Kopf in ihre Richtung und schaut nach unten. Es scheint, als würde er sich gerade fragen: „Was tun?“

n.b.k., Chausseestr. 128/129, bis 29. 4.; Di–So 12–18 Uhr, Do 12– 20 Uhr. Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, bis 25. 3.; Di–So 14–19 Uhr.

Ina Hildebrandt

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