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Haus Wahnfried in Bayreuth

© Nicolas Armer/dpa

Wiedereröffnung des Wagner-Museums: Stets sollst du mich befragen

Familiengeschichte: Das Wagner-Museum im wiedereröffneten Haus Wahnfried erlaubt Einblicke in das Leben des Komponisten - und in die Verstrickungen der Familie Wagner in den Nationalsozialismus.

Ein langgestreckter, repräsentativer Tisch, der Blick schweift ins Grüne, an den Wänden Ölporträts. Rustikaler 30er- Jahre-Stil. Eigentlich ein unschuldiger Raum – wüsste man nicht, dass dies das Speisezimmer Winifred Wagners war, Leiterin der Bayreuther Festspiele von 1930 bis 1944. Dass sie hier Empfänge gegeben hat, bei denen die dunkle Seite von Bayreuth, das Völkische, der Judenhass, salonfähig, ja identitätsbildend waren. Und dass immer wieder auch ihr ganz besonderer Freund zu Gast war: Adolf Hitler hat mit seiner Entourage bei jedem Festspielbesuch im Siegfried-Wagner-Haus gewohnt, gleich neben Wahnfried.

Eigentlich unvorstellbar, dass dieser Ort bis vor wenigen Jahren nicht öffentlich zugänglich war, nur für Konferenzen genutzt wurde. Mit der Wiedereröffnung von Haus Wahnfried und dem Wagner-Museum ist nun erstmals das nach Wagners einzigem Sohn benannte Gebäude in die Ausstellung einbezogen. Und hier wird auch, endlich, die unselige, unauflösliche Verstrickung der Familie Wagner in den Nationalsozialismus thematisiert, zumindest ansatzweise.

In der alten Ausstellung war das gar nicht möglich. Sie stammte von 1975, und da hat Winifred noch gelebt. In jenem Jahr gab sie auch, hier in diesen Räumen, dem Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg das berühmte Interview, in dem sie sich ganz unbekümmert bekennt zu ihrer Liebe für den Diktator, mit dem sie lange vor dessen Ernennung zum Reichskanzler befreundet war. In einem Land, in dem quasi mit der Kapitulation so gut wie alle Nazis verschwunden waren, gab sie die schwarze Norne, skandalös, entsetzlich, einzigartig. Nike Wagner hat in ihrer Eröffnungsrede vom Sonntag gefordert, das Interview in voller fünfstündiger Länge hier im Kamin- und Speisezimmer zu zeigen, in Endlosschleife. „Wir hatten das auch überlegt“, sagt Museumsleiter Sven Friedrich. „Aber die Besucher hätten immer nur ein paar Minuten mitbekommen, in denen Winifred Wagner wahrscheinlich irgendwelche Banalitäten erzählt hätte.“ Die wichtigen Ausschnitte zu zeigen, hat Syberberg nicht gestattet: Ganz oder gar nicht. So gibt es jetzt kein Video.

„Mit Hitler bin ich fertig“

Immerhin, die Ausstellung bemüht sich, den ganzen Naziballast nicht nur auf Winifreds Schultern alleine abzulagern. Wieland Wagner, Nikes Vater und Schöpfer Neu-Bayreuths, dem Hitler hier im Kaminzimmer die Leitung über „alle Theater des Westens“ nach dem Endsieg versprochen hat, während Bruder Wolfgang die des Ostens bekommen sollte – dieser Wieland hat sich nach dem Krieg mit den Worten „Hitler ist für mich erledigt“ auch bequem der Aufarbeitung entzogen.

Der obsessive, ja pathologische Antisemitismus Richard Wagners selbst, seine Eifersucht auf erfolgreiche Konkurrenten wie Mendelssohn-Bartholdy und Meyerbeer, die Judenkarikaturen in seinen Opern, all das wird zumindest gestreift. An die Tiefe der Auseinandersetzung, die die Ausstellung „Verstummte Stimmen“ des Historikers Hannes Heer auf dem Grünen Hügel vor dem Festspielhaus erzielt, reicht es nicht heran.

Weil dort deutlich wird, wie der Judenhass Richard Wagners, obwohl dieser 50 Jahre vor der „Machtergreifung“ starb, durch die nachfolgende Generation direkt Hitler und die NS-Ideologie beeinflusst hat – vor allem in Gestalt von Witwe Cosima Wagner und deren Schwiegersohn, dem rassistischen Vordenker Houston Stewart Chamberlain.

Die Entscheidung zur Renovierung der Villa Wahnfried, die Wagner ab 1874 als Wohnhaus diente, und zur Neugestaltung des Museums fiel 2008. Der Wettbewerb entschied sich erst 2010, die Finanzierung (20 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, Bayern trägt davon vier Millionen) stand 2011 – sodass Wahnfried 2013, zum 200. Geburtstag Wagners, natürlich nicht fertig war. Jetzt also, mit zweijähriger Verspätung, kann man die auratischen Räume wieder betreten. Wobei: Auratisch sind vor allem die Empfangshalle und der große Salon, weil hier die ursprüngliche Farbgebung rekonstruiert wurde, weil man Wagners umfangreiche Bibliothek und teilweise die originale Möblierung sieht. Vieles ist verloren, aber um einen Eindruck von der Fülle zu geben, mit der dieses Haus einst bestückt war, sind Repliken aufgestellt - verhängt mit weißen Tüchern, um sie kenntlich zu machen. Im Obergeschoss: Dokumente zu Wagners unglaublich ereignisreichem, rastlosen, prallen Leben, seinem „Wähnen“, das eben erst hier in Wahnfried Frieden fand, wie es der Sinnspruch an der Fassade verkündet. Fotografien seines Charakterkopfs, noch recht jugendlich, aus den 1860er Jahren. Eine Kompositionsskizze zur „Walküre“. Aber auch: Die erste Seite des Manuskripts seines Pamphlets „Das Judenthum in der Musik“, erschienen unter dem Pseudonym K. Freigedank. Auch die Couch, auf der er 1883 in Venedig starb, wurde hergeschafft, neben dem erstaunlich modern wirkenden Kostüm eines Gralsritters aus der „Parsifal“-Inszenierung von 1882, die für fassungslos machende 50 Jahre nicht verändert wurde.

Viele historische Kostüme und Bühnenbildmodelle sind im Erweiterungsbau ausgestellt, den der Berliner Architekt Volker Staab entworfen hat. Der gläserne Pavillon flankiert Wahnfried auf der westlichen Seite und stellt, zusammen mit dem Siegfried-Wagner- Haus auf der östlichen, die ursprüngliche Symmetrie wieder her. Eine drollig-hässliche Bushaltestelle mitten auf der zentralen Allee, von späteren Generationen hingestellt, ist verschwunden, genauso wie der Efeu, der die Fassade der Villa zugewuchert hatte. Und ja, auch ein Café gibt es jetzt, wenn auch nicht in unmittelbarer Nähe des Grabes von Richard und Cosima. Muffins am Mausoleum, das war eine Horrorvorstellung für Hardcore-Wagnerianer.

Das nächste große Projekt: Das Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, zuletzt schwer kritisiert wegen seiner angeblich veralteten wissenschaftlichen Aufbereitung, auf neueste bibliografische Standards zu bringen, Handschriften zu digitalisieren und vorhandene Bestände mit dem, was sich im Besitz der verstreuten Familienstämme befindet, zu ergänzen. Was da ist, lagert im Obergeschoss des Siegfried-Wagner-Hauses. Wo Winifred und ihr Freund einst wohnten.

Im Juli und August täglich geöffnet 10-18 Uhr, sonst montags geschlossen. Weitere Infos unter: www.wagnermuseum.de

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