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Zwischen den Welten. Mirna Funk, 1981 in Ost-Berlin geboren, hat heute einen zweiten Wohnsitz in Tel Aviv. Ihr Debütroman „Winternähe“ wurde 2015 von der Kritik gefeiert.

© Amira Fritz

„Zwischen Du und Ich“ von Mirna Funk: Liebe ist ein Schlachtfeld

Mirna Funk gehört zur neuen Generation der deutsch-jüdischen Literatur. Ihr Roman „Zwischen Du und Ich“ spielt in Berlin und Tel Aviv.

In Mirna Funks neuem Roman treten zwei Protagonisten auf, eine Frau und ein Mann. In alternierenden Kapiteln entsteht auf diese Weise eine Handlung, die an ihren besten Stellen nicht nur überraschend ist, sondern einem auch nachgeht, wenn man das Buch beiseitelegt. Nike kommt 1983 in Ostberlin zur Welt und wird nach der Wiedervereinigung eingeschult.

Doch die DDR ist in ihrer Großmutter noch gegenwärtig, denn auch zum Zeitpunkt der Handlung, dreißig Jahre später, ist sie eine alte Kommunistin geblieben. Vor Nikes Haustür in Mitte erinnert ein Stolperstein an ihre Urgroßmutter, die im Holocaust umgebracht wurde.

Alle Elemente einer literarischen Tradition scheinen hier versammelt zu sein. Anna Seghers und Arnold Zweig, aus der Emigration zurückgekehrt, gehörten zu den Gründern einer deutsch-jüdischen Literatur in der DDR; bei Wolf Biermann und Jurek Becker, die in den Westen gehen, bricht schon die Krise aus; mit Barbara Honigmann und Chaim Noll scheiden sich dann die Generationen: Töchter und Söhne einer DDR-Elite verlassen das Land, um in Frankreich oder Israel ihr Judentum neu zu entdecken.

Bei Mirna Funk ist es noch einmal anders. Auch sie kommt aus einer Familie der alten Eliten, sie ist die Urenkelin von Stephan Hermlin, gehört aber schon zur ersten Generation in Ostberlin, die nach der Wende heranreift. Mit doppeltem Wohnsitz in Berlin und Tel Aviv lässt sie sich den alten Mustern einer deutsch-jüdischen Verhaltensweise kaum noch zuordnen. Wie Max Czollek, der zur gleichen Generation zählt und die Juden auffordert, sich zu „desintegrieren“ – die Rolle zu verweigern, die ihnen im deutschen „Erinnerungstheater“ zugedacht ist –, verhandelt auch Mirna Funk ganz andere, unerwartete Themen.

Als Nike plötzlich Berlin verlässt und mit der Absicht nach Tel Aviv geht, sich dort niederzulassen, meint man sich zunächst noch auf bekanntem Terrain zu befinden. Aber schnell wird deutlich, dass dies eine falsche Fährte ist. Die Spur, auf der wir uns befinden, führt zu einem Trauma, das seinen Ursprung anderswo hat.

Eine Welt im Krieg

Diesem Trauma nähern wir uns auf zwei Wegen, denn auch der Mann, dem Nike in Tel Aviv begegnen wird, leidet unter ihm. Er heißt Noam, und seine Kapitel sind anders als die Kapitel über Nike. Sie ist die Ich-Erzählerin ihrer Geschichte und kann den Schmerz, der ihr Leben beherrscht, besser kaschieren. Noam wird von außen gezeigt, und daher erkennen wir sehr schnell, dass er sich in einer tiefen Not befindet.

Wie das Trauma im Leben der beiden Protagonisten allmählich aufgedeckt wird, gehört zu den besten Kapiteln des Romans und soll hier nicht verraten werden. Gesagt werden muss nur, dass es sich um Missbrauch und Gewalttätigkeit handelt, denn darin liegt neben den großen Stärken des Romans zugleich auch eine seiner Schwächen.

Beides, Missbrauch und Gewalttätigkeit, gehört heute zu einem öffentlichen Diskurs, wie er lange nicht denkbar war. Das ist begrüßenswert, denn den Wunden der Gesellschaft kommt man nur bei, wenn man sie nicht verschweigt. Diesem Diskurs aber mischt sich immer eine ideologische Komponente bei, weil gesellschaftliche Probleme nach einem Standpunkt verlangen, den man zu ihnen einnimmt.

Auch in Mirna Funks Roman gibt es einen solchen Standpunkt, und er teilt die Welt in Gut und Böse, in Weiß und Schwarz. Auf der Lichtseite stehen Frauen – Nikes Freundinnen in Berlin und Tel Aviv, die ihr in ihrer Not beistehen und sie am Ende retten; auf der Schattenseite stehen Männer, die an ihren Opfern Verbrechen begehen.

Ob das die Weltanschauung von Mirna Funk ist oder die von Nike, ist dabei weniger wichtig. Über lange Strecken des Romans ist es Nike, die uns die Welt durch ihre Augen sehen lässt, und was dort auftaucht, ist eine Welt im Krieg, den es zu überleben gilt. Vielleicht darf noch verraten werden, dass Nike ihren Namen zu Recht trägt. So heißt die Siegesgöttin der griechischen Mythologie, und in dem Krieg, von dem hier erzählt wird, trägt sie einen Sieg davon.

Im Schatten männlicher Gewalt

Doch leider ist es nur ein kleiner Sieg. Der große Sieg, in dem alle Kriege enden sollten, heißt Frieden, und mit dem Mann, der ihr in Tel Aviv begegnet, hätte Nike ihn schließen können. Denn auch er trägt einen symbolischen Namen: Noam, mit der Betonung auf der ersten Silbe, ist ein hebräisches Wort, das „Sanftmut“ bedeutet. In Mirna Funks Liebesgeschichte wird Noams sanfter Charakter wunderbar angedeutet, und dass er sich nicht entfalten darf, liegt nicht an ihm.

[Mirna Funk: Zwischen Du und Ich. Roman. dtv, München 2021. 304 Seiten, 22 €.]

Es liegt an der Welt, die im Roman gestaltet ist. An den Fronten eines endlosen Krieges lässt Funk sie unheilbar auseinanderbrechen – in eine Sphäre der Frauen, die im Schatten männlicher Gewalt steht; und einen Dunkelraum männlicher Drohungen, der am Ende auch Noam verschlingt.

Eine humane Koexistenz beider Geschlechter lässt der Roman nicht zu, und während die Handlung auf ihr Ende zugeht, nimmt man es mit Bedauern wahr. Dies sollte nicht das letzte Wort einer Autorin bleiben, die auf den besten Seiten ihres Buches so souverän zu erzählen weiß wie Mirna Funk.

Jakob Hessing

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