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Leyla Piedayesh besucht die Baracken hinter dem Belgrader Busbahnhof - hier ist ein illegales Flüchtlingslager eingerichtet worden.

© Andreas Tölke

Leyla Piedayesh besucht ein Flüchtlingslager: Runter vom Laufsteg

Warum fährt eine Modedesignerin nach Belgrad, um ein Flüchtlingslager zu besuchen? Leyla Piedayesh von Lala Berlin findet: Mode muss politisch werden. Ausgangspunkt ist ihre eigene Flucht als Kind aus dem Iran.

Wenn man etwas von diesem Tag lernen kann, dann dies: Es gibt nichts mehr, das nicht politisch ist. Deshalb führt uns diese Modegeschichte nicht wie üblich auf Laufstege oder in Ateliers, sondern nach Belgrad hinter den Busbahnhof, in leer stehende Lagerhallen.

Dorthin ist Leyla Piedayesh gefahren, die Chefin des Modeunternehmens LalaBerlin. Sie will den Schutzraum für Flüchtlinge ansehen, der mit Spenden des Berliner Vereins „Be an Angel“ finanziert wurde. Hier können Flüchtlinge in kleinen Gruppen Englisch lernen - damit sie sich besser zurechtfinden. Auch von der Berliner Designerin kommt ein Teil der 10 000 Euro, denn vom Verkauf jedes Kaschmirschals spendet sie 150 Euro. Leyla Piedayesh (47)ist die einzige Modemacherin in Berlin, der es auf der Welle des Hypes vor gut zehn Jahren gelang, aus ihrem kleinen Label mit handgestrickten Pulswärmern ein mittelständisches Unternehmen mit 50 Mitarbeitern aufzubauen.

Leyla Piedayesh findet, dass Mode immer politisch ist

Piedayesh sagt: Wir sollten alle politischer sein. Sie findet, dass Mode immer politisch ist. Ausgerechnet sie sagt das, die das Kufiya-Muster des Palästinensertuchs, mit dem sie ihren ersten Erfolg feierte, einfach benutzte, weil sie es toll fand. „Ich wurde damals oft darauf angesprochen, ob das Kufiya bei mir einen politischen Hintergrund hat. Aber für mich war das einfach eine geile Grafik, mit diesem Tuch bin ich aufgewachsen.“

Leyla Piedayeshs Familie floh 1979 aus dem Iran, da war sie neun. Sie wuchs in Wiesbaden auf. „Ich kam aus dem Krieg, deshalb habe ich Politik und Religion geblockt. Weil beides für mich heuchlerisch war, wollte ich nichts damit zu tun haben.“ In ihrer Jugend wollte sie vor allem Spaß haben. Vielleicht war das anfänglich ein Grund, sich mit Mode zu beschäftigen.

Ein Zeichen setzte Leyla Piedayesh bei ihrer Schau in Kopenhagen Ende Januar.
Ein Zeichen setzte Leyla Piedayesh bei ihrer Schau in Kopenhagen Ende Januar.

© promo

Piedayesh weiß nicht, was sie in Belgrad erwartet. Sie erscheint in dunklen Jeans, alten Doc Martens, einem Sweatshirt im Blau der EU-Flagge. Vorne ist ein Sternenkranz draufgedruckt, einer der Sterne fehlt. Darüber ein schwarzer Mantel von LalaBerlin. „Keinen Schmuck“, sagt ihr Freund noch. Mode, das ist an diesem Tag trotz allem immer wieder ein Thema. Wie unpassend, schließlich besuchen wir Männer, die nichts anders haben als das, was sie am Leib tragen. Die alles verkauft haben, um von Pakistan oder Afghanistan bis nach Europa zu kommen und jetzt in diesen elenden Hallen auf ein Wunder warten.

Lange war Leyla Piedayesh der festen Überzeugung, dass Mode und Politik nichts miteinander zu tun haben. „Das eine ist schön, das andere ernst. Aber jetzt ist eine andere Zeit und vielleicht hat sich auch mein Bewusstsein in ein anderes gerüttelt“, sagt sie. Bei ihrer letzten Modenschau, Ende Januar in Kopenhagen, hielt sie ein handgemaltes Schild hoch: „I am Immigrant“.

Sie sagt, das sei eine spontane Idee gewesen. Der Moment, wenn alle Models noch mal auf den Laufsteg kommen, gehört normalerweise ganz dem Designer, um sich für seine Mode feiern zu lassen. Sie nutzte ihn, um gegen Donald Trump zu protestieren, der Bürgern aus sechs Staaten die Einreise in die USA verbieten wollte. Damit zeigte sie öffentlich, dass sich auch in ihrem Bewusstsein etwas geändert hat.

„Ich habe gemerkt, dass ich an einem Punkt bin, wo ich als öffentliche Person etwas bewirken kann. Ob das nun mit einem Slogan auf dem T-Shirt passiert oder ich mir zunächst nur bewusst mache, dass ich mit anderen Menschen etwas bewegen kann.“

Dieses illegale Flüchtlingslager liegt mitten in Belgrad hinter dem Busbahnhof. In der Baracke brennen offene Feuer.
Dieses illegale Flüchtlingslager liegt mitten in Belgrad hinter dem Busbahnhof. In der Baracke brennen offene Feuer.

© dpa/ Davide Bosco

Jetzt steht sie hier hinter dem Belgrader Busbahnhof auf einem morastigen Platz zwischen zwei lang gestreckten Baracken. Es sind nur ein paar Meter bis zu den Baugerüsten, hier soll das neue Belgrad mit hohen Bürotürmen entstehen. Die ersten Hallen wurden schon abgerissen. Auf der Rampe, die sich einmal um die ganze Halle zieht, stehen junge Männer dicht an dicht, um sich an einem Lieferwagen ein paar Scheiben Weißbrot, einen Apfel und einen Pappteller mit Reis und Gemüse abzuholen.

All das wird lediglich toleriert, etwas abseits stehen serbische Polizisten und schauen einer Gruppe Pakistaner bei einem improvisierten Kricketspiel zu. Die freiwilligen Helfer kommen von überall auf der Welt, Petar Bojovic vom Verein „Refugee Aid Serbia“ ist eine Ausnahme. Der Journalist aus Belgrad hat lange in Australien gelebt, bevor er seinen Verein gründete. Jetzt arbeitet er mit „Be an Angel“ zusammen. Er versucht, pragmatisch zu bleiben: „Die Flüchtlinge werden kommen, solange es ihnen hier besser geht als zu Hause. Hier werden sie nicht umgebracht. Es ist eine Entscheidung zwischen Leben und Tod.“

Die Baracken sind innen schwarz vom Ruß der offenen Feuerstellen. Heute ist ein sonniger Tag, deshalb brennt kein Feuer. Die jungen Männer drängen sich um eine Mehrfachsteckdose, um ihre Handys aufzuladen. Das ist ihre Lebensquelle: mit der Familie in der Heimat in Kontakt bleiben, oder wie Abdul, der uns mit einem fröhlichen „Come stai“ begrüßt, mit dem Bruder telefonieren, der es schon bis nach Italien geschafft hat. Abdul kam alleine und hat in sechs Monaten fünf Versuche unternommen, über die Grenze nach Ungarn zu kommen.

Mit den Flüchtlingen unterhält sich die Designerin auf Farsi

Leyla Piedayesh stellt sich zu ihm und einem Mann, der sich Doktor Hassam nennt. Er will wissen, warum sie hier ist. „Um zu sehen, wie es euch geht“, sagt sie. Die jungen Männer schauen sie mit unverhohlener Neugier an, sie sieht mit ihren dunklen Augen und Haaren aus wie eine von ihnen. Als sie beginnt, auf Farsi Fragen zu stellen, fragen die Männer dasselbe zurück: Woher kommst du und wo lebst du? Wenn sie dann „Deutschland“ sagt, raunen sie anerkennend. Die Gruppe um sie wird immer größer. Keiner fragt, wie sie es geschafft hat.

Der eine erzählt, dass ihm ein Arm fehlt, weil in jemand angeschossen hat, Ob das auf der Flucht passiert ist oder schon vorher, versteht Leyla Piedayesh nicht genau. „Ich weiß ja auch nicht das Wort für Maschinengewehr“, sagt sie. Ihr Farsi hat sie in der Familie gelernt. Trotzdem hört sich ihr Austausch viel intensiver an als der auf Englisch.

Kaum sitzen wir im Bus zurück zum Flughafen, reden wir darüber, dass sich die Kollektionen in Paris immer ähnlicher werden. Über Mode zu reden ist sicheres Terrain, es ist wie ein Reflex auf das, was wir heute gesehen haben.

Später sagt sie: „Es ist gut, zu wissen, wie es hier aussieht. Aber es macht mich traurig, zu sehen, dass so viel Hoffnung in Menschen ist, für die ich schon keine Hoffnung mehr gesehen habe. Die haben immer noch eine Sonne, die aufgeht, und das macht mich auf der einen Seite warm und auf der anderen Seite hilflos, weil ich so wenig tun kann.“

Der Verein „Be an Angel“ kümmert sich um Flüchtlinge, in Belgrad und hier in Berlin.

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