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Kein Schicksal, sondern schlicht Pech: Robbens verschossener Elfmeter.

© AFP

Bayerns Final-Niederlage: Robbens Elfer war nicht tragisch, nur traurig

Selbstzweifel sollten nicht über die einzig angemessene Reaktion auf Bayerns Niederlage dominieren: schlichte, tiefe Trauer. Nur aus ihr und ihrer Überwindung kann die Kraft erwachsen, es wieder von vorn zu versuchen, meint Malte Lehming. Denn was Pech war, kann Glück werden.

Ein klasse Spiel! Die Bayern drückend überlegen, hoch motiviert von Anfang an, konzentriert am Ball, zweikampfstark. So muss Fußball sein. Jetzt kann sie kommen, die Europameisterschaft. Nach diesem Champions- League-Finale darf Deutschland auf den nächsten Titel hoffen. Alle anderen Teams dagegen dürften zittern vor Ehrfurcht und Respekt. Freude? Na klar. Stolz? Auch das.

All das stimmt, bis auf eine Kleinigkeit, besser: eine Reihe von Kleinigkeiten. Arjen Robben verschoss in der Verlängerung einen Elfmeter, Mario Gomez nutzte keine seiner Chancen, Bastian Schweinsteiger traf im Elfmeterschießen nur den Pfosten. Also gewann am Ende der FC Chelsea, die uninspirierte Mauermannschaft. Und ganz Fußball-Deutschland grübelt nun, trauert, bangt, sinnt über Konsequenzen für Verein, Trainer, Nationalmannschaft und Spieler nach.

Die schönsten Szenen vom Finale in München in unserer Bildergalerie:

Er halte den Zufall für den wahren Diktator des Weltgeschehens, sei aber vom Glauben an Zusammenhänge nicht ganz abzubringen, schrieb einst Karl Kraus. Jede Geschichte liest sich von ihrem Ende her. Steht am Ende eine Niederlage, verknüpft der Verstand alle vorherigen Informationen zu einer Kausalkette mit dem Ziel, das Erklärungsnarrativ für das negative Ereignis möglichst überzeugend klingen zu lassen: Es musste ja so kommen. Steht am Ende ein Sieg, vollzieht der Verstand dieselbe Operation mit demselben Ziel, bloß für das positive Ereignis – es musste ja so kommen.

Hätte der Niederländer Robben den Elfmeter für Bayern München in der Verlängerung verwandelt (und Chelsea anschließend kein Tor mehr geschossen), wüssten heute alle, warum Deutschland bei der EM haushoher Favorit ist. Die Kühnheit einer solchen Ableitung wäre allein durch den Rausch des Triumphs gerechtfertigt. Das Gesamtnarrativ hätte größere Überzeugungskraft als die Summe der Einzelfaktoren. Nun aber, da Bayern verloren hat, ist von einem Fluch die Rede, von Tragik und Trauma.

Reaktionen zum Spiel in unserer Fotostrecke:

Ein Irrtum. Das Wort „Schicksal“ hat im Deutschen zwei gegensätzliche Bedeutungen. Zum einen steht es für eine höhere Macht, die den Lauf der Dinge lenkt, ohne Veränderungsmöglichkeit durch den Menschen. In diesem Sinne ist die Zukunft das unausweichliche Schicksal der Vergangenheit. Zum anderen steht „Schicksal“ für ein zufälliges Pech oder Glück, den Verkehrsunfall, die sechs Richtigen im Lotto, das gestohlene Fahrrad, die Begegnung mit dem späteren Ehepartner. Es ist das weder Plan- noch Vermeidbare, etwas, das sich der Verfügbarkeit des Menschen entzieht.

Robbens verschossener Elfmeter war traurig, nicht tragisch. Wer das leugnet und eine Niederlage wie diese dramaturgisch überhöht, glaubt im Tragischen schließlich das Traumatische zu erkennen. In einer solchen Lesart wird der Zufallsfaktor Pech nivelliert. Stattdessen dominieren Zerknirschung, Selbstzweifel und das Gefühl des Versagthabens über die einzig angemessene Reaktion: schlichte, tiefe Trauer. Aber nur aus ihr und ihrer Überwindung kann die Kraft erwachsen, es wieder von vorn zu versuchen, wieder ins Risiko zu gehen, auch den nächsten Elfmeter wieder schießen zu wollen. Seinem Los entrinnt keiner. Doch was Pech war, kann Glück werden.

Außerdem ist das doch das Schöne am Sport: Weil am Ende immer alle genau wissen, warum es so kommen musste und was daraus folgt, werden auch alle immer wieder überrascht. Spätestens beim übernächsten Spiel. Freuen wir uns auf die EM? Na klar.

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