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Linken-Politiker Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht im September 2017 im Bundestagswahlkampf in Saarbrücken.

© imago/Becker & Bredel

Bewegung #Aufstehen: Lafontaine und Wagenknecht sammeln auch am rechten Rand

An diesem Dienstag startet die Sammlungsbewegung #Aufstehen offiziell. Die AfD beobachtet das Projekt mit Interesse. Es geht auch um Wählermilieus.

Von Matthias Meisner

Mitte Juni 2005, Chemnitz, Sachsen: Oskar Lafontaine, damals mutmaßlicher Listenkandidat eines gemeinsam mit der PDS geplanten Linksbündnisses, sendet Signale an den rechten Rand. Vor rund 1500 Zuhörern sagt der frühere SPD-Vorsitzende, weil der Staat verpflichtet sei, seine Bürger zu schützen, müsse er verhindern, „dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“.

Beobachter verstanden das damals so, dass Lafontaine mit seiner Äußerung „diffuse Gefühle der Überfremdung“ – nicht nur in Sachsen – berücksichtigen wolle. Die „FAZ“ analysierte, Lafontaine versuche, „offensichtlich langfristig-strategisch ausgerichtet“ mit dem Bedienen von Ressentiments „Teile der potenziellen NPD-Wählerschaft an das neue Linksbündnis zu binden“.
13 Jahre später hat sich nicht sehr viel geändert – nur dass es nun um AfD-Anhänger geht, nicht um NPD-Wähler. Lafontaine ist Initiator einer neuen „Sammlungsbewegung“, die selbst bewusst auf das Etikett „links“ verzichtet. Seine Gattin Sahra Wagenknecht treibt die Sache unter dem Namen #Aufstehen energisch voran.

An diesem Dienstag soll das Projekt mit einem Auftritt vor der Bundespressekonferenz offiziell starten – neben Wagenknecht vorne sitzen werden der Alt-Grüne Ludger Volmer, die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, gegen Andrea Nahles unterlegene Kandidatin um den SPD-Vorsitz, sowie der Berliner Dramaturg Bernd Stegemann.
Sowohl Wagenknecht als auch Lafontaine haben deutlich gemacht, sie wollten Leute zurückgewinnen, die „aus Wut AfD wählen“. Ihre Mitstreiter erläutern, wie das geschehen könnte. Der Kölner Soziologe Wolfgang Streeck etwa, der in der „Zeit“ Fragen formulierte: „Ist Fremdenfeind, wer Einwanderer als Konkurrenten um Arbeits-, Kita- und Wohnplätze erlebt und deshalb Einwanderung begrenzt sehen will? (...) Wer um seine traditionelle, regional geerdete Lebensweise fürchtet?“

Wagenknecht sagt, ihr „Flüchtlingsfeindlichkeit oder Nationalismus zu unterstellen, ist boshaft“. Und doch sind die Botschaften von ihr und ihrem Mann Lafontaine sehr wohl im rechten Lager angekommen. Die AfD beobachtet das Projekt mit Interesse – auch unter dem Blickwinkel, ob ihr bei einem Wahlantritt der Bewegung Stimmen verloren gehen. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek sieht AfD und Linke im Wettstreit. Er schreibt: „Die soziale Frage ist ein Kronjuwel der Linken, und es könnte ihr durch eine glaubwürdige und entschlossene AfD abgejagt werden.“

Gegen „verrückte Multikulti-Typen“

Deutlicher noch wird Jürgen Elsässer im rechten „Compact“-Magazin: Er erwähnt Wagenknecht und Lafontaine als Beispiele für „klügere Linken-Politiker“. Unter Bezug auf eine Empfehlung des ultrarechten thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke rät er, die beiden Linken müssten ihre Partei aufspalten und sich von „zutiefst destruktiven und volksfeindlichen Globalisierungslinken“ und „verrückten Multikulti-Typen“ trennen. Und das zum Milieu der Neuen Rechten gehörende Online-Portal „Blaue Narzisse“ lobte am Wochenende unter der Überschrift „Sahra, wir lieben dich!“, für die Bewegung #Aufstehen stehe im Vordergrund „das Leiden von Menschen in Deutschland“. Dies sei gut so. Denn: „Wichtig für unsere Sache ist, dass es eine politische Diskussion im linken Lager gibt, die nicht nur Anti-AfD ist.“

Für Wagenknecht ist die Bewegung zum wichtigsten Vorhaben geworden. Nicht nur in der Flüchtlings- und Sozialpolitik will sie neue Akzente setzen, sondern auch im Verhältnis zu Russland. Im Newsletter des „Teams Sahra“ schrieb sie am Sonntagabend: „Ich bin schon ziemlich lange in der Politik aktiv, aber dieses Ereignis ist für mich etwas ganz besonderes.“ Der Kreis der Unterstützer in der eigenen Partei ist überschaubar. Viele fragen sich, was hinter von Wagenknecht verwandten Stichworten wie „neue kulturell-identitäre Konfliktlinie jenseits von links und rechts“ steckt.

Im SPD-Milieu gibt es Achtungserfolge: Neben Flensburg-OB Lange wollen unter anderem der Historiker Peter Brandt – Sohn von Willy Brandt – und der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow mitmachen: #Aufstehen bestätige, dass die Sehnsucht der Menschen nach Veränderung, nach einer neuen politischen Kraft sehr groß sei, schreiben sie zum Start. Und: „Überwindet das Klein-Klein und das strukturkonservative Denken.“

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