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Notaufnahme-Schild vor einem Krankenhaus in Schwabing. Hier wird der erste Patient mit bestätigter Coronavirusinfektion behandelt.

© Christof STACHE / AFP

Coronavirus breitet sich schneller aus als gedacht: Die WHO sollte den internationalen Gesundheitsnotfall ausrufen!

Die deutschen Behörden und die Weltgesundheitsorganisation reagieren bislang entspannt auf den Coronaausbruch. Zu Unrecht, findet Virologe Kekulé.

Alexander Kekulé ist Biochemiker und hat seit 1999 den Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne.

Die Meldungen zum neuen Coronavirus fühlen sich an wie Wechselduschen. China kämpft mit allen Mitteln, die ein totalitäres System so hergibt, gegen einen brandgefährlichen Erreger. Die Behörden riegeln Millionenstädte von der Außenwelt ab, sperren Krankheitsverdächtige in riesige Quarantänelager und ordnen selbst im Freien das Tragen von Gesichtsmasken an.

Die „Centers for Disease Control and Prevention“ der USA, die viele Fachleute als kompetenteste Gesundheitsbehörde auf dem Globus ansehen, halten eine Ausbreitung des neuen Virus in den USA für „wahrscheinlich“. Dort und in zahlreichen anderen Ländern werden Passagiere aus China an den Flughäfen kontrolliert.

Demgegenüber stuften die Behörden hierzulande das Risiko bis vor Kurzem noch als „sehr gering“ ein und verwiesen darauf, dass die normale Grippe viel gefährlicher sei.

Auch die Weltgesundheitsorganisation hat nach langer Beratung am vergangenen Donnerstag entschieden, dass der Coronavirusausbruch (noch) kein internationaler Gesundheitsnotfall ist. Bei den Bürgern hat das gebetsmühlenartige Wiederholen der „Alles-nicht-so-Wild“-Phrasen allerdings nicht gerade zur Beruhigung beigetragen. Wie eine Münchner Boulevardzeitung wissen will, sollen in der Welthauptstadt der Gemütlichkeit die Gesichtsmasken bereits ausverkauft sein.

Werden die Deutschen also für dumm verkauft? Oder ist der Rest der Welt hysterisch?

Um die aktuelle Situation richtig zu bewerten, ist zunächst einmal eine Klarstellung nötig: In China ist die seit 2003 bekannte Lungenkrankheit Sars wieder ausgebrochen, nicht mehr und nicht weniger. Der neue Erreger gehört zur selben Untergruppe der Coronaviren wie das Sars-Virus, ist ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Tier auf den Menschen übergesprungen und verursacht exakt die gleichen Symptome.

Wenn die gerade veröffentlichen Ergebnisse zweier chinesischer Arbeitsgruppen stimmen, benutzt das neue Coronavirus sogar den gleichen Rezeptor auf der menschlichen Lungenschleimhaut, um sich anzuheften und in den Wirt einzudringen. Nach gegenwärtiger Datenlage führt das neue Virus jedoch seltener zu besonders schweren oder tödlichen Erkrankungen als der Sars-Erreger von 2003. Dass wie hier zwei nah verwandte Erreger die gleiche Krankheit in unterschiedlichen Schweregraden auslösen, ist nichts Ungewöhnliches. Auch die Grippe wird von zwei unterschiedlichen Virusarten (Influenza-A und -B) ausgelöst, von denen zahlreiche Subtypen und Varianten bekannt sind. Je nach zirkulierendem Subtyp verlaufen die jährlichen Grippewellen mal schwerer und mal leichter.

Alexander Kekulé ist Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle und war lange Berater der Bundesregierung zum biologischen Bevölkerungsschutz.
Alexander Kekulé ist Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle und war lange Berater der Bundesregierung zum biologischen Bevölkerungsschutz.

© promo

In China breitet sich also keine „unheimliche“ neue Krankheit aus, sondern ein alter Bekannter ist zurück. Das Comeback verdankt Sars, wie nahezu alle Seuchen der jüngeren Geschichte, einer Schwäche der menschlichen Zivilisation: Die nach dem Ausbruch von 2003 in China verbotenen „wet markets“, in denen lebende Wildtiere erst beim Kauf getötet und dann blutend zum Verzehr nach Hause getragen werden, blühten bereits wenig später wieder wie eh und je.

2003 wurden „wet markets“ verboten – jetzt blühen sie wieder auf

Dass es sich um einen sehr ähnlichen Erreger und die gleiche Krankheit wie 2003 handelt, ist zunächst einmal eine gute Nachricht. Immerhin ist es der Welt bereits einmal gelungen, einen solchen Ausbruch einzudämmen. Was wir damals gelernt haben, hilft uns heute bei der Einschätzung und Bekämpfung der Gefahr. Dazu gehört – erstens – die Erkenntnis, dass der Erreger hauptsächlich durch Schmierinfektionen übertragen wird und nur kurze Strecken, zum Beispiel beim Husten, durch die Luft fliegt. Sars ist deshalb einfacher einzudämmen als Grippe oder Masern.

Dies bedeutet umgekehrt, dass Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung in diesem Fall erfolgversprechend sind, wenn sie früh genug eingeleitet werden. Deshalb ist es unverzeihlich, dass hierzulande keine Einreisekontrollen für Fluggäste aus China stattfinden. Passagiere mit Fieber oder Husten sollten auf das neue Virus getestet werden, bis zum Vorliegen des Ergebnisses zu Hause bleiben und insbesondere den Kontakt zu durch das Virus besonders gefährdeten Personen meiden – dazu gehören Ältere, Kleinkinder, Schwangere und Menschen mit Grunderkrankungen.

Dass dadurch höchstens die Hälfte aller Infizierten erkannt wird, ist kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Bei konsequenter Information aller Einreisenden aus dem Epidemiegebiet besteht immerhin die Hoffnung, dass die andere Hälfte sich einige Tage an die Hygieneempfehlungen hält und umgehend testen lässt, falls Symptome auftreten.

Beim Sars-Ausbruch 2003 veränderte sich der Virus innerhalb einer Woche

Zweitens steht diesmal ein zuverlässiger Test bereits zu Beginn des Ausbruchs zur Verfügung. Dafür müssen jedoch bundesweit Kapazitäten geschaffen werden, um den in der gegenwärtigen Erkältungs- und Grippewelle hohen Bedarf zu erfüllen. Auch wenn sich das neue Virus in Deutschland nicht nennenswert ausbreiten sollte, muss es schnell ausgeschlossen werden, um Menschen mit harmlosen Infekten die Ängste zu nehmen.

Drittens wissen wir vom Sars-Ausbruch 2003, dass das Virus sich von einer Woche auf die nächste erheblich verändern kann. Damals starb nahezu jeder zehnte Patient mit bestätigter Infektion. Auf Basis der aus China übermittelten Zahlen dürfte die Sterblichkeit der gegenwärtigen Epidemie, grob geschätzt, eher bei zwei Prozent liegen – sie wäre damit immer noch mindestens zehnmal höher als die der normalen, saisonalen Grippe.

Der von deutschen Gesundheitsbehörden derzeit oft angeführte Vergleich zu den etwa 25.000 Toten der Grippewelle 2017/18 hinkt, weil diese Zahl sich nicht auf bestätigte Fälle bezieht und in jeder Saison viele Millionen Menschen an Influenza erkranken, ohne dass die Zahl statistisch erfasst wird.

Die vierte Parallele zum Ausbruch von 2003 ist, dass es sich ohne Wenn und Aber um einen internationalen Gesundheitsnotfall handelt. Es darf vermutet werden, dass die WHO diese Feststellung nur aus Rücksicht auf den Nationalstolz der chinesischen Offiziellen verzögert.

Schließlich hat die Ähnlichkeit zu 2003 noch einen positiven Aspekt: Das Sars-Virus ist damals nach einigen Monaten so plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war. Womöglich veränderte es sich genetisch so, dass es weniger gefährlich wurde. Wenn der Homo sapiens Glück hat, verliert auch das neue Virus von selbst wieder den Appetit.

Alexander Kekulé

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