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Angela Merkel trifft am Ende ihrer Kanzlerschaft eine Grundsatzentscheidung zu gemeinsamen Schulden in der EU.

© Odd Andersen/ REUTERS

Das Vermächtnis der Angela Merkel: Die Kanzlerin will Helmut Kohls verlorene Wette jetzt auszahlen

Die Grundsatzentscheidung für gemeinsame Schulden ist unumkehrbar. Damit soll der Geburtsfehler der Währungsunion korrigiert werden. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Ursula Weidenfeld

In ihren letzten Berufsjahren trachten deutsche Bundeskanzler nach „unumkehrbaren“ Weichenstellungen. Sie treffen Grundsatzentscheidungen, aus denen klare politische Pfadabhängigkeiten entstehen: Die Nachfolger müssen sich darin bewegen, ob sie wollen oder nicht.

Helmut Kohl hat in seiner letzten Legislatur die Währungsunion durchgepaukt, Gerhard Schröder die Agenda 2010. Angela Merkel macht es ebenso: mit der Vereinbarung über 500 Milliarden Euro an gemeinschaftlichen Schulden für die besonders coronagebeutelten EU-Länder (die Zustimmung der Parlamente vorausgesetzt).

Mutige Einsicht, überheblicher Anspruch

Es ist ebenso mutig wie überheblich, das Land und Europa so zu prägen. Mutig ist die Einsicht, dass Europa mehr sein muss als die Bonität seiner Nationalstaaten. Überheblich ist der Anspruch der Unumkehrbarkeit.

Merkels Weichenstellung folgt dem Motto „Europa kommt nur in seinen Krisen voran“.

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Frankreich und Deutschland nutzen die Corona-Pandemie, um einen Fehler Helmut Kohls zu heilen. Von Anfang an war klar, dass eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Finanzpolitik nicht gut funktionieren kann.

Doch schon damals waren die Widerstände aus guten Gründen so stark, dass es am Ende zwar den Euro, aber kaum Steuerungsmöglichkeiten gab.

Die verlorene Wette will Merkel nun auszahlen

Man behalf sich mit einer Wette: Der Euro werde die Volkswirtschaften Europas so schnell in einen Gleichklang bringen, dass eine koordinierte Steuer- und Schuldenpolitik quasi überflüssig würde.

Diese verlorene Wette will Angela Merkel nun auszahlen. Denn erst jetzt gibt es ein Zeitfenster für neue Pfadabhängigkeiten: Wie soll man beispielsweise den Iren nach einem möglichen ungeordneten Brexit erklären, warum Corona für Italien verheerend genug für einen Gemeinschaftsschuldtitel war, ein Shutdown Großbritanniens für Irland aber ohne Extraleistung verkraftbar ist?

Die Wahrheit ist: Es wird von nun an immer neue Gründe für eine gemeinsame Schuldenaufnahme geben. Das ist das Vermächtnis der Bundeskanzlerin. Es ist unumkehrbar. Doch es wird nur Einzelentscheidungen geben. Und (noch) keinen unumkehrbaren Automatismus.

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