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Ein ukrainischer Soldat trauert um einen Freund, der 2017 bei Kämpfen mit von Russland unterstützten Separatisten in der Region Donezk getötet wurde.

© Anatolii Stepanov/AFP

Konflikt mit Russland: Den Deutschen fehlt es an Empathie für die Ukraine

Die Ukraine-Politik der Bundesregierung zeugt auch von mangelndem Verständnis für das Land. Viele Ukrainer sind nun von Deutschland enttäuscht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch klingt resigniert, wenn nicht verzweifelt. Seit drei Jahrzehnten versucht er, den Deutschen sein Land zu erklären. Besonders nach dem Beginn der russischen Intervention in der Ukraine 2014 war er ein gefragter Kommentator. „Ich dachte, man würde mich verstehen. Zumindest anfangen, mich zu verstehen“, schreibt er in einem Beitrag für die Deutsche Welle.

Doch nun kommt Andruchowytsch zu der bitteren Erkenntnis, dass diese Hoffnung vergeblich war, dass er den Deutschen sein Land nicht wirklich nahebringen konnte. „Nichts hat sich im deutschen Bewusstsein verändert.“ Ähnlich wie Andruchowytsch geht es in diesen Tagen vielen, die seit Jahren versuchen, einem deutschen Publikum die Lage der Ukraine zu erklären.

Sicher, ganz so schlimm wie vor acht Jahren, als der Krieg in der Ostukraine begann, ist es heute nicht mehr. Damals wurde in deutschen Talkshows noch darüber diskutiert, ob die Ukraine überhaupt ein richtiger Staat sei. Als Experten wurden Lobbyisten des Kremls befragt, ukrainische Gesprächspartner kamen kaum zu Wort. Auf fruchtbaren Boden fiel in Deutschland 2014 auch die von der Kreml-Propaganda auf vielen Kanälen verbreitete Behauptung, hinter der Revolution auf dem Maidan und der auf den Machtwechsel folgenden Regierung stünden in Wirklichkeit Neonazis. Überhaupt war die deutsche Öffentlichkeit damals ein leichtes Ziel für Propaganda aus Moskau.

Wo ist die Friedensbewegung?

Acht Jahre später ist vielleicht die Resilienz gegen allzu plumpe Versuche der Einflussnahme etwas gewachsen. Doch ein Grundproblem bleibt bestehen: Es fehlt in Deutschland nach wie vor an Empathie für die Ukraine. Auf den Kundgebungen in Berlin gegen einen drohenden russischen Einmarsch sind Ukrainerinnen und Ukrainer meist in der Mehrzahl, die Anzahl an Deutschen ist sehr überschaubar, man kennt sich.

Wo ist denn die einst so stolze deutsche Friedensbewegung, wenn es um die reale Kriegsgefahr in der Ukraine geht – und mehr noch, um einen seit acht Jahren nicht endenden Krieg in Europa? Aber wenn man nicht gegen die Amerikaner demonstrieren kann, fehlt den Friedensbewegten offensichtlich jegliches Interesse.

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Aus ähnlichem Antrieb schweigen die deutschen Linken zur Bedrohung der Ukraine – oder schlimmer noch, sie geben dem Westen die Schuld an der Eskalation. Selbst die deutsche Lieferung von 5000 Schutzhelmen an die Ukraine wird aus der Linkspartei als „Säbelrasseln“ kritisiert. Zugleich sehen die Linken darüber hinweg, dass sie, indem sie Verständnis für Russland anmahnen, die aggressive und, wie sie selbst in anderen Fällen sagen würden, imperialistische Politik des Kremls unterstützen.

Auf beinahe gespenstische Art ähneln sich beim Thema Russland die Argumentationsmuster der Linken und der AfD. Deren Parlamentarier suchen seit Jahren demonstrativ die Nähe zu Putins Russland – und umgekehrt. Doch auch jenseits dieser beiden Parteien gilt es in Deutschland als durchaus vernünftig, Putin ein Mitspracherecht in Russlands Nachbarschaft zuzugestehen.

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Union und SPD haben in den vergangenen Jahren zwar öffentlich Verständnis für die Situation der Ukraine bekundet, aber dies durch Taten – oder durch Nichthandeln – konterkariert. Erst jetzt scheint zumindest einigen politischen Akteuren in Berlin langsam klar zu werden, dass die Pipeline Nord Stream 2 ein Sicherheitsrisiko für die Ukraine darstellt, weil Putin nach deren Inbetriebnahme keinerlei Rücksicht mehr auf das Land nehmen muss. Doch die Sozialdemokraten haben – ebenso wie Wirtschaftspolitiker der Union – viel dafür getan, dieses Projekt gegen alle Widerstände innerhalb Europas durchzusetzen.

Nord Stream 2 soll unter Umgehung der Ukraine Gas von Russland nach Deutschland bringen.

© REUTERS/Maxim Shemetov/File Photo

Währenddessen rief der damalige deutsche Außenminister angesichts der russischen Intervention in der Ostukraine stets beide Seiten zur Deeskalation auf – als wäre das angegriffene Land ebenso in der Verantwortung wie der Angreifer. Bis heute schreckt die Bundesregierung davor zurück, klar und deutlich zu sagen, dass längst russische Kämpfer in der Ukraine sind und dass es ohne Moskaus Intervention diesen Krieg nie gegeben hätte. Damit stützt sie die Kreml-Legende, es handele sich nur um einen Bürgerkrieg und Russland sei überhaupt nicht beteiligt.

Die Bundesregierung sagt vor allem, was sie nicht tun will

Angesichts des Truppenaufmarsches an den Grenzen zur Ukraine tut die Bundesregierung das, was schon ihre Vorgänger am besten konnten: mahnen und warnen. Zudem hat sie ziemlich deutlich kommuniziert, was sie in dieser Krise nicht zu tun gedenkt, und nur vage umrissen, was sie im Fall einer Eskalation für die Ukraine leisten würde. Klar ist nur die Absage an Waffenlieferungen.

Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Partei waren für einen anderen, härteren Kurs gegenüber Putins Russland angetreten. Doch auch die Grünen lehnen Waffenlieferungen nach Kiew ab. Sie stehen in der Tradition der Friedensbewegung und treten für eine restriktive Rüstungsexportpolitik ein. Als die Grünen das erste Mal einer Bundesregierung angehörten, rückten sie nach schwierigen Debatten von einem anderen ehernen friedenspolitischen Prinzip der Partei ab: Angesichts der dramatischen Situation im Kosovo stimmten sie dem ersten Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr zu. Doch im Fall der Ukraine gab es nicht einmal den Versuch, die eigenen Dogmen zu überdenken.

Baerbocks Satz hatte eine verheerende Wirkung

Baerbock begründete die Absage an Waffenlieferungen mit der deutschen Geschichte – ausgerechnet bei einem Besuch in Kiew. Der gut gemeinte Satz der Ministerin hatte auf die Menschen in der Ukraine eine verheerende Wirkung. War denn ihr Leiden unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg weniger wert? Mehr als acht Millionen Menschen fielen in der Ukraine dem nationalsozialistischen Vernichtungskrieg zum Opfer.

Doch wenn in Deutschland von historischer Schuld gegenüber den Menschen im Osten Europas die Rede ist, dann wird bis heute viel zu oft die ehemalige Sowjetunion mit Russland gleichgesetzt. Darüber gerät in Vergessenheit, dass die Ukraine und Belarus mindestens ebenso sehr wie Russland unter deutschem Vernichtungswahn gelitten haben. Es ist beschämend für dieses Land, wenn Ukrainer heute das Gefühl haben, die Deutschen daran erinnern zu müssen.

Die jüngsten Nachrichten aus Berlin haben in der Ukraine eine riesige Enttäuschung ausgelöst. Deutschland liefert keine Waffen zur Verteidigung des Landes. Dabei würde es einen russischen Angriff unwahrscheinlicher machen, wenn die Ukraine ihm etwas entgegenzusetzen hätte. Doch damit nicht genug, die Bundesregierung verhindert auch noch, dass andere Länder Waffen liefern. Und der Bundeskanzler weigert sich hartnäckig, „Nord Stream 2“ oder „Pipeline“ auch nur zu sagen.

Dagegen betonen die Deutschen jetzt, wie viel Geld sie in den vergangenen Jahren für die Ukraine ausgegeben hätten. Wenn in Wirklichkeit Flugabwehrraketen gebraucht werden, hilft Scheckbuch-Diplomatie wenig. Der Imageschaden für Deutschland in der Ukraine – und in anderen Ländern im Osten Europas – ist ohnehin mit Geld nicht mehr aufzuwiegen.

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