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Nur wenige Passanten sind auf der Mecklenburgstraße in Schwerin unterwegs.

© Jens Büttner/dpa

Deutschland vor Lockdown-Verlängerung: Reagieren allein reicht nicht – was kann langfristig helfen?

Wissen sie, was sie da tun? Von Maßnahme zu Maßnahme geht es mehr um die Akzeptanz der Beschlüsse. Strategie ist jetzt gefragt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Eindimensional. Kurzfristig gedacht. Reaktiv. So beschreibt die Medizinethikerin und Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen, die Coronapolitik. Es handele sich um enorme Freiheitseinbußen für 100 Prozent der Bevölkerung, damit weniger als ein Prozent andere nicht anstecke. Harte Worte.

Übertreibt sie?

Klare Worte auch vom Verantwortlichen für die internationalen Pisa-Studien, dem OECD Bildungsexperten Andreas Schleicher. Er habe kein Verständnis für das Schließen von Grundschulen und Kindergärten, selbst in der gegenwärtigen Infektionslage. Dann könne das Schuljahr abgeschrieben werden. Und erst die langfristig schwerwiegenden Folgen, vor allem für sozial benachteiligte Familien! Selbst Frankreich mit hartem Lockdown lasse sie offen und habe die zweite Welle gebrochen.

Und, übertreibt er?

Sie nicht, er nicht. Beide sind nur alternative Stimmen, die sich äußern, bevor die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten neue, schärfere Maßnahmen vereinbart - die sich entweder nicht durchsetzen lassen oder nicht gerichtsfest sind, wie nicht allein die Opposition im Bundestag sagt. Weshalb sie dort darüber debattieren will.

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Es geht von Maßnahme zu Maßnahme mehr um die Autorität der Regierenden hierzulande, um Akzeptanz der Beschlüsse. Wissen sie, was sie tun? Was sie tun sollen?

Eine Kombination aus den Hinweisen von Woopen und Schleicher könnte da vielleicht helfen. Nach dem Motto: Beides bedenken heißt die Gesellschaft lenken.

Deutschland steht vor der nächsten Lockdown-Verlängerung.
Deutschland steht vor der nächsten Lockdown-Verlängerung.

© imago images/Eibner

Wenn etwa Ausgangsbeschränkungen wie in Frankreich in Deutschland doch nicht durchsetzbar sind - Tests für jeden sind es. Ein Gegenvorschlag von Woopen ist ja: Testen, testen, testen. Am besten erst einmal alle, und danach immer mal wieder Schnelltests, in Schulen und Büros. Nur auf das Reduzieren der Kontakte zu setzen, auf Inzidenzen, ist Woopen als Strategie zu wenig. Anders gesagt: Ist aus ihrer Sicht keine.

Man könnte dann übrigens auch gleich alle, die sich impfen lassen wollen, testen. Da würden schon viele herausgefiltert. Und wer will, muss nur einmal an einen Ort (in eine Art Impf-und Testzentrum in einem) gehen; das vereinfacht die Sache für alle Beteiligten stark. Ein gutes Gefühl, wenn man alles getan hat, gibt es obendrein.

Ein Extra-Schuljahr zum Nachholen? Warum nicht?

Und wenn, im Blick auf die Grundschulen, der Lernrückstand nun bald unaufholbar werden sollte - dann muss doch bereits jetzt über ein Extrajahr zum Nachholen diskutiert und entschieden werden. Sonst entsteht eine sieben Jahre währende Coronageneration, die sich am Ende trotzdem an Unis, in der Wirtschaft und für die Gesellschaft bewähren muss. Die Bedingungen sind schon schwierig. Sie dürfen nicht noch erschwert werden.

Das alles ist in Summe wohl billiger, als die Wirtschaft nachher wieder mühselig aufzubauen und in der Zwischenzeit trotzdem den Staat in einer Weise in alles einzubinden, aus der man nach der Pandemie so einfach nicht herauskommt. Ethik ist ein moralisches Wertesystem, mit dem Prinzipien, Werte und Normen aufgestellt werden, die alle Akteure integrieren müssen.

Die Unterscheidung von Sein und Sollen ist Ausgangspunkt jeder Ethik. Die Ethik des jetzt geforderten Denkens und Handelns lautet: Beides darf nicht kurzfristig, eindimensional, reaktiv sein.

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