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Demo gegen den Strafgesetzbuch-Paragraphen 219.

© epd

Paragraph 219a: "Die SPD wirkt weder souverän noch geradlinig"

Der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl über den Groko-Kompromiss zum Paragraphen 219a und die Frage, wie die SPD ihre Stammwähler zurückgewinnen kann.

Herr Wiesendahl, die SPD wollte den Paragraphen 219a streichen. Jetzt hat die Groko einen Kompromiss gefunden, der den Abschnitt im Strafgesetzbuch erhalten soll. Eine Niederlage für die Sozialdemokraten?

Der Umgang mit 219a ist wieder einmal ein Beispiel für eine völlig verkopfte Entscheidung der Sozialdemokraten. Die SPD hat hier weder ihre Wählerschaft im Blick noch zeigt sie Haltung. Sie geht als Regierungspartei einen Kompromiss ein, der ihr schadet. Die SPD wirkt weder souverän noch geradlinig.

Die SPD hätte sich also härter zeigen sollen? Vielleicht sogar kompromisslos?

Kompromisslos nicht. Die Sozialdemokraten denken aber bei jedem Thema den Kompromiss sofort mit – anstatt sich zu fragen: Was wollen wir eigentlich? Sie glauben, wenn sie das Thema 219a nur sauber abarbeiten, dann ist das ein Vorteil für sie. Das ist aber eine krasse Fehleinschätzung.

War es ein Fehler der SPD, die Maximalforderung nach Abschaffung von 219a aufzustellen?

Die SPD hat vor allem versäumt, eine Kampagne für das Thema anzulegen. Im Bundestag gibt es ja eine Mehrheit für die Streichung von 219a. Die SPD müsste in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass die Union in dieser Frage isoliert ist. Stattdessen handeln die Sozialdemokraten im Hinterzimmer einen Kompromiss aus – und dann glauben sie auch noch, damit bei den Wählern punkten zu können. Das ist das ewige Leid der SPD in der Regierung.

Elmar Wiesendahl (74) ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher. Seit 2010 leitet er die Agentur für politische Strategie in Hamburg.

© picture alliance/dpa/Ulrich Perr

Wäre es besser gewesen, das Thema überhaupt nichts so hoch zu hängen?

Das würde ich nicht sagen. Die Streichung von 219a ist immer noch ein klassisches Frauenthema der Selbstbestimmung. Insofern hat es einen hohen symbolischen Stellenwert. Es ist das typische Haltungsthema. Aber gerade in Haltungsfragen darf man sich als Partei nicht verbiegen. Es ist ein grober Fehler zu glauben, dieses grundlegende Frauenthema ließe sich durch einen faulen Kompromiss einfach so aus der Welt schaffen.

Hat die SPD das Gespür für ihre Stammwähler verloren?

Die SPD ist heute dermaßen verunsichert, dass sie gar nicht mehr weiß, an wen sie sich eigentlich richten soll. Sie hat deshalb auch ihre Stammwähler aus den Augen verloren. Die Sozialdemokraten befinden sich in einer inneren wie strategischen Blockade, weil sie nicht wissen, wie sie wieder einen Punkt machen können.

Was wäre denn ein Ausweg?

Auf keinen Fall der Weg in die Opposition. Die SPD müsste sich einmal grundsätzlich fragen: Für wen machen wir eigentlich Politik? Menschen, die SPD wählen, wollen ihre Interessen vertreten sehen. Die Sozialdemokraten müssen wieder lernen, wie man für eine bestimmte Klientel kämpft. Dann kann sie auch wieder Wähler überzeugen – und welche dazugewinnen.

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