zum Hauptinhalt
Eine Europafahne weht vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.

© dpa/ Karl-Josef Hildenbrand

Vor dem EU-Gipfel: Berlin und Paris müssen Europa gestalten

Die Gemeinschaft zerfällt in Bilateralismen. Nur wenn Deutschland und Frankreich andere Staaten mit ins Boot holen, kommt die EU aus der Krise. Ein Gastbeitrag.

Europa wankt. Die aktuelle Schwäche der Europäischen Union (EU) liegt in der Zersplitterung ihrer Mitglieder. Ein nüchterner Blick zeigt, wie wenig Gemeinsamkeit hinter der blumigen Rhetorik der EU-Gipfelerklärungen steckt, wie wir sie auch nach dem Treffen des europäischen Rates diese Woche wieder erleben werden. Es fehlt ein Gravitationszentrum integrationsbereiter Mitgliedstaaten, die verlässlich an konkreten Ergebnissen für mehr Europa arbeiten.

Eine neue Befragung von europapolitischen Praktikern und Experten des European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt, wie die EU-Staaten untereinander vernetzt sind und welche politischen Prioritäten sie verfolgen. Das ernüchternde Ergebnis: Die Gemeinschaft zerfällt in Bilateralismen und Grüppchen, die kaum übergreifende Bindungen aufweist. Am stärksten ragt noch das deutsch-französische Paar heraus. Antreibender Motor für die Weiterentwicklung der EU ist es jedoch längst nicht mehr.

Das Team Berlin-Paris bedeutet wegen seiner Größe dann auch immer, dass die Kleinen nur noch das Ergebnis schlucken können. Ist bestimmt nicht so motivierend für die kleineren Staaten.

schreibt NutzerIn ach

Der drohende Brexit bringt die Verflechtung weiter durcheinander, insbesondere im Norden – denn Großbritannien gehörte zu den breit vernetzten Ländern. Gemeinsam mit den Briten konnten Staaten im Norden und Osten der EU eine Sperrminorität erreichen; künftig entfällt diese Option und erzwingt eine Neuorientierung in zahlreichen Hauptstädten.

Polens Entfremdung von Deutschland wächst zusehends

Die wirtschaftsstarken kleineren EU-Mitglieder gehen kaum aufeinander ein, eine enge und ausgewogene Verständigung zwischen den Benelux-Staaten oder den nordischen EU-Mitgliedern besteht nicht. Österreichs Fokus liegt auf Deutschland, ohne dichte Beziehung zu anderen EU-Staaten zu unterhalten. Die vier Visegrád-Staaten sind eng verflochten, schauen jedoch kaum gen Westen. Polens Entfremdung von Deutschland wächst zusehends.

Bezeichnend für die innereuropäischen Beziehungen ist auch das Maß der Fehlwahrnehmungen. In vielen Ländern überschätzen die Befragten die Integrationsbereitschaft und den Einfluss des eigenen Landes auf die Europapolitik und sehen ihre Partner kritischer als sich selbst. So lässt sich eine „natürliche“ Allianz von Staaten mit übergreifendem Gestaltungswillen kaum identifizieren, eher bilden sich Blockadegruppen.

Eine neue Strategie der Koalitionsbildung muss bei denjenigen Staaten ansetzen, die Interesse an einer handlungsfähigen EU haben und diese aktiv gestalten wollen. Deutschland und Frankreich müssen aktiv auf diejenigen Staaten zugehen, die dieses Interesse teilen und die ihrerseits auf Dritte ausstrahlen können.

Berlin und Paris sollten auf Spanien zugehen

Für Deutschland sind das vor allem die Niederlande und Schweden. Über sie erschließt sich der Kreis der wohlhabenden kleinen Staaten. Diese könnten ihr Gewicht ausbauen, wenn sie ihre eigene Zusammenarbeit verdichteten und Staaten wie Irland, die baltischen Staaten oder Slowenien einbinden. Polen bleibt für die deutsche Politik strukturell wichtig – gegenwärtig wäre es für Deutschland jedoch sinnvoller, die Kontakte nach Tschechien und der Slowakei zu stärken. Gemeinsam sollten Berlin und Paris auf Spanien zugehen, dessen neue Regierung an einer stärkeren Rolle im Zentrum der EU-Politik interessiert ist.

Oberstes Ziel dieses Gravitationszentrums integrationsfreundlicher Staaten sollte sein, die EU insgesamt oder in wesentlichen Teilen voranbringen zu wollen, konkret etwa in der Stärkung des wirtschaftlichen Zusammenhalts, in der Verknüpfung von Einwanderungs- und Asylpolitik mit gemeinsamem Grenzschutz und finanzieller Lastenteilung, oder einer glaubwürdigen europäischen Verteidigungspolitik. Dabei wird die Bereitschaft der Gestaltungsgruppe, wenn nötig auch in kleinerem Kreis voranzugehen, wichtiger sein als den Kreis der Staaten auszuweiten. Ohne den Anspruch zur Avantgarde bleibt die Koalition schwach. Im eigenen Interesse muss sie Europa führen wollen, denn aus diesem Anspruch bezieht sie den Willen zu Kompromiss und Zusammenhalt.

Josef Janning leitet das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations.

Josef Janning

Zur Startseite