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Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Besuch eines Gasunternehmens.

© Annegret Hilse/REUTERS

Experten warnen vor Stromkrise: 600.000 Heizlüfter verkauft – der Gasmangel bringt Habeck neue Probleme

Aus Sorge vor kalten Heizungen kaufen viele Heizlüfter, Experten warnen vor Blackouts. Das Anfahren von Kohlekraftwerken wiederum hat Folgen für die Bahn.

Martin Kleimaier befürchtet schon das Schlimmste. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine großflächige Blackout-Situation reinlaufen“, sagt der Leiter des Fachbereichs Erzeugung und Speicherung elektrischer Energie im Verband VDE. Wenn man so will, kann der russische Präsident Wladimir Putin nach der Gas- auch noch eine veritable Stromkrise in Deutschland auslösen. Und in der Folge kann das auch den Bahnverkehr noch mehr an sein Limit bringen.

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Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erlebt in diesen Tagen, das ständig neue Probleme auftauchen – und wie dadurch auch der Druck auf die Grünen in der Atomfrage wächst. Alles hängt gerade irgendwie mit allem zusammen.

Denn was sich alles an Folgen durch die Drosselung russischer Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 entwickelt, beunruhigt Fachleute in hohem Maße. Wegen der drohenden Gasknappheit im Winter beim Heizen ist in Deutschland der Verkauf von Strombetriebenen Heizlüftern sprunghaft gestiegen.

„Von Januar bis Juni 2022 wurden in Deutschland rund 600.000 Einheiten verkauft, was einem Plus von knapp 35 Prozent verglichen zum Vorjahreszeitraum entspricht“, teilt die GfK auf Anfrage des Tagesspiegel mit.

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Durch die im Juli erfolgte Drosselung und den zeitweisen Stopp der russischen Gaslieferungen dürfte der Verkauf im Juli noch einmal deutlich angezogen sein. Das bedeutet: Aus Sorge vor kalten Heizungen und zum Schutz gegen die horrend steigenden Gaspreise, könnten viele Bürger im Land im Winter ihre neuen Stromheizungen anwerfen.

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Kleimaier verweist im Gespräch mit dem Tagesspiegel auf ein Beispiel aus dem Jahr 1969, als die Bürger plötzlich auch verstärkt auf Heizlüfter gesetzt hätten, Strom war damals sehr günstig. „Da kam es auch fast zu einem Blackout.“ Wenn das Netz darauf ausgelegt sei, „dass jeder Haushalt ein Kilowatt (KW) ziehen kann, aber alle Haushalte dann zwei KW ziehen, ist das Netz um den Faktor 2 überlastet“, erläutert Kleimaier.

Warnungen per Lautsprecherwagen und Apps?

„Das Problem ist: Wenn das Netz ausgefallen ist, bleiben die Heizlüfter in der Steckdose und eingeschaltet. Wenn man als Netzbetreiber dann die Haushalte wieder vorsichtig zuschalten will, fliegen gleich die Sicherungen raus“, betont der Fachmann.

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Die Heizgeräte könnten im Gegensatz zu elektrischen Wärmepumpen oder sogenannten Nachtspeicher-Heizungen im Falle von drohenden Netzüberlastungen nicht vom Netzbetreiber abgeschaltet werden, da sie lediglich an eine Haushaltssteckdose angeschlossen werden.

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„Man müsste dann eigentlich per Lautsprecherwagen oder per App die Kunden informieren, dass erstmal alle ihre Heizlüfter ausschalten müssen.“ Das Netz brauche nun einmal ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Leistung. Wenn dann zudem durch eine Gasmangellage die Gaskraftwerke, die sich schnell hochfahren lassen, nicht laufen können, verschärfe sich das Problem weiter.

Ungewöhnlicher Schritt mehrerer Fachverbände

Sein klares Plädoyer deshalb: „Ich halte es für absolut sinnvoll, die drei Kernkraftwerke länger laufen zu lassen“, mahnt Klaimeier. „Die Nachbarländer hätten wenig Verständnis, uns in Notlagen Strom zu liefern, wenn wir unsere Kernkraftwerke mehr oder weniger mutwillig ausschalten.“

Gefragt wie: Heizlüfter als Wintersorge, sollte Russland am Gashahn drehen.
Gefragt wie: Heizlüfter als Wintersorge, sollte Russland am Gashahn drehen.

© Felix Hörhager/dpa

In einem ungewöhnlichen Schritt haben mehrere Fachverbände sich nun an die Öffentlichkeit gewarnt und warnen dringend vor dem massenhaften Einsatz von „elektrischen Direktheizgeräten“. Ingrid Pilgram vom ZVEI betont, Heizlüfter eigneten sich nur für den räumlich begrenzten, kurzzeitigen Einsatz. „Ansonsten erzeugen sie hohe Stromkosten, sind ökologisch ungünstig und wenn sie in vielen Haushalten zeitgleich zum Einsatz kommen, kann das tatsächlich zu Problemen im Netz führen.“

Das Gas wird für das Füllen der Speicher gebraucht

Letztlich hat auch die politische Kommunikation viele Bürger offenkundig verunsichert, vor allem die Debatte, ob in Notlagen auch private Haushalte vom Gasnetz abgekoppelt werden und Bürger dann in kalten Wohnzimmern sitzen könnten. Doch die Gesetzeslage verbietet das, zudem füllen sich gerade die Gasspeicher bundesweit wieder etwas besser, rund 67 Prozent sind erreicht.

Mehr Kohle soll verstromt werden - für den Transport braucht es mehr Züge.
Mehr Kohle soll verstromt werden - für den Transport braucht es mehr Züge.

© Patrick Pleul/dpa

Zum 1. Oktober sollen die Speicher zu 85 Prozent gefüllt sein, bis November zu 95 Prozent. Gerade deshalb soll die Gasverstromung minimiert werden, was zwangsläufig den Befürwortern von längeren Laufzeiten für die noch laufenden drei Atomkraftwerke Isar 2 (Bayern/Eon), Neckarwestheim (Baden-Württemberg/EnBW) und Emsland (Niedersachsen/RWE) Argumente liefert.

Ein weiterer Nebeneffekt der Krisenlage, der auch den Laufzeitverlängerungs-Befürwortern in die Hände spielt, zeigt sich gerade im Bahnverkehr. Gewerkschafter berichten von teils 25 Prozent Krankenstand, allein das führt schon zu den bekannten Einschränkungen und Ausfällen. Zudem seien eine Million Betonschwellen im gesamten Netz kaputt oder marode und müssten ausgetauscht werden.

Ein neues Problem – der Vorrang für die Kohlezüge

Und jetzt kommt noch ein Vorrang für Kohlezüge vor dem Personenverkehr, denn Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will statt auf Atomkraft bisher vor allem auf mehr Kohlekraftwerke setzen – und einige aus der Reserve holen. Ein neues Energiesicherungspaket von Habeck hat daher zum Ziel, Transportkapazitäten für die Brennstoffversorgung auf der Schiene sicherzustellen.

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg.
Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg.

© Patrick Pleul/dpa

Es zeichnet sich ab, dass es in den kommenden Monaten noch enger auf Deutschlands Schienennetz wird. „Für die Pünktlichkeit der Personen- und Güterzüge bedeutet das nichts Gutes“, betont der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege.

Im Juni kamen nur noch 58 Prozent der Fernzüge pünktlich ans Ziel, im Regionalverkehr 88,5 Prozent. Auch der Vizechef der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG, Martin Burkert, rechnet mit zusätzlichen Verschlechterungen. „Die deutliche Erhöhung der Kohlezüge und der angekündigte Vorrang durch Minister Habeck wird den Personenverkehr beeinflussen. Es wird zu noch mehr Verspätungen kommen“, sagte Burkert dem Tagesspiegel.

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