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Eine Gruppe Geflüchteter kommt mit dem Schlauchboot auf Lesbos an.

© ARIS MESSINIS / AFP

Exklusiv

Flüchtlinge auf Lesbos: „Da braut sich ein Pogrom zusammen“

Der Videojournalist Michael Trammer wird auf Lesbos von Rechtsradikalen angegriffen. „Die Situation erinnert an Rostock-Lichtenhagen“, sagt er.

Seit Monaten ist die Lage auf der griechischen Insel Lesbos katastrophal. Die Flüchtlingslager sind völlig überfüllt. Seit der Grenzöffnung der Türkei am vergangenen Freitag kommen noch mehr Menschen auf die Ägäis-Insel. Viele Einwohner stellen sich offen gegen die ankommenden Flüchtlinge. Der Foto- und Videojournalist Michael Trammer ist vor Ort und wurde am Sonntag während seiner Arbeit von Rechtsradikalen angegriffen. Mit dem Tagesspiegel hat er über die Situation auf der Insel gesprochen.

Herr Trammer, geht es Ihnen gut?
Den Umständen entsprechend. Ich habe mir eine Platzwunde am Kopf sowie mehrere Prellungen zugezogen. Außerdem wurden meine Kameras ins Wasser geworfen. Zum Glück ist eine Kollegin sofort ins Wasser gesprungen und hat sie mir zurückgegeben. Natürlich bin ich noch ganz schön mitgenommen. Als ich im Sommer 2018 über die Ausschreitungen in Chemnitz berichtet habe, bin ich auch schon angegangen worden. Aber so etwas ist mir bis jetzt noch nie passiert.

Diese Bilder dokumentieren den gewaltsamen Übergriff auf Michael Trammer.
Diese Bilder dokumentieren den gewaltsamen Übergriff auf Michael Trammer.

© AFP

Wie ist es zu dem Übergriff gekommen?
Die Situation auf Lesbos hat sich in den letzten Tagen extrem zugespitzt. Als heute eines der Boote anlegen wollte, standen etwa hundert Menschen am Hafen, haben „Geht zurück in die Türkei“ gebrüllt und die Menschen mit Gegenständen beworfen. Einige haben das Boot immer wieder aufs Meer hinausgestoßen. Es waren Kinder an Bord, die geweint haben. Die Küstenwache hat sich nicht blicken lassen.

Ich wollte mich etwas zurückziehen und die Situation von der gegenüberliegenden Kaimauer beobachten, da haben sich etwa zehn Leute aus der Menge gelöst. Die Rechtsradikalen haben mich angegriffen, mehrmals auf mich eingeschlagen und mich getreten. Auch einen Kollegen von mir hat es erwischt, ebenso einige NGO-Mitarbeiter.

Wurde Ihnen von irgendeiner Seite aus geholfen?
Einige der Anwohner haben sich um mich gekümmert, mich verarztet und mir Mut zugesprochen. Von der Polizei war nirgendwo etwas zu sehen. Der Staat kümmert sich nicht und überlässt den Rechten das Feld. Es gibt natürlich im Ort ein paar Gegenstimmen, aber die sind in der Minderheit. Selbst die, die nicht mit den Rechtsradikalen sympathisieren, stimmen deren Aktionen mindestens stillschweigend zu, hat man den Eindruck.

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Spürt man auf Lesbos auch die Folgen der Grenzöffnungen der Türkei?
Absolut. Die Lage ist extrem angespannt. Seit Freitag kommen die Boote mit Geflüchteten auch tagsüber an. Alleine heute waren es elf. Die Situation erinnert ein wenig an Rostock-Lichtenhagen 1992. Hier braut sich gerade ein Pogrom zusammen. Ich habe schon seit ein paar Tagen Angst gehabt, dass es bald eskalieren könnte. Europa hat monatelange weggeschaut. Lange wird das hier nicht mehr gut gehen.

Wie gehts es nun für Sie weiter? Bleiben Sie vor Ort?
Nein, dafür ist es viel zu gefährlich geworden. Morgen steige ich auf die Fähre und fahre erstmal zurück ans Festland. Dann geht es hoffentlich bald nach Hause. Gerade tobt in den sozialen Netzwerken ein heftiger rechter Shitstorm gegen mich. So schlimm das alles ist: Der mediale Fokus muss bei den Geflüchteten bleiben. Nicht auf verprügelten Journalisten.

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