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CO2 ist ein Klimakiller, der durch ein Bepreisungssystem zurückgedrängt werden soll. Wie kann das besser funktionieren?

© Alina Novopashina/dpa

Global Challenges: Kann ein Klimaklub die Welt retten?

Die großen Volkswirtschaften sollten den globalen Kampf gegen die Erderwärmung anführen – und den CO2-Grenzausgleich weiterdenken. Ein Gastbeitrag.

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Veronika Grimm, Professorin für Volkswirtschaft an der FAU-Universität Erlangen-Nürnberg und seit 2020 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Weitere AutorInnen sind Sigmar Gabriel, Günther Oettinger, Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Prof. Dr. Volker Perthes Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Klimaschutz stand ganz oben auf der Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Dann erzwang Corona weltweit die Änderung der politischen Prioritäten. So musste auch die Uno ihre 2020 in Glasgow geplante Klimakonferenz auf 2021 verschieben. Doch zum Glück ist das zu Ende gehende Covid-19-Jahr für den Kampf gegen die Erderwärmung kein verlorenes Jahr. Zahlreiche Länder wie Japan und Südkorea erklärten, 2050 klimaneutral sein zu wollen. China, der weltgrößte Treibhausgas-Emittent, peilt das bis 2060 an.

Und auch in den USA wird Klimaschutz nach dem Sieg von Joe Biden über Donald Trump wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Technologisch tut sich ebenfalls einiges. Die Möglichkeiten etwa, grünen Wasserstoff und synthetische Energieträger als bislang fehlende Bausteine auf dem Weg zur Klimaneutralität zu nutzen, wurden weiter entwickelt. Die internationale Kooperation für einen globalen Handel mit klimaneutralen Energieträgern hat gerade begonnen. Das alles sind positive Einzelaspekte. Wie aber könnte ein umfassenderes Konzept zum weltweiten Klimaschutz aussehen?

Klar ist: Im Kampf gegen die Erderwärmung reicht es nicht, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen. Stattdessen müssen entschlossene Schritte zur globalen Umsetzung der Ziele gegangen werden. Dabei spielen Verhandlungen über gemeinsame CO2-Preise eine zentrale Rolle. In der Europäischen Union gibt es bereits einen Emissionshandel, beispielsweise für Energie und einige Industriesektoren. Ziel muss aber eine weltweite Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen sein – ein „Klub der Willigen“ wäre da ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Erste Mitglieder und Verhandlungspartner könnten jene Staaten sein, die in diesem Jahr mit ambitionierten Klimazielen hervorgetreten sind oder von denen das, wie bei den USA, in Kürze zu erwarten ist. Die Bepreisung von CO2-Emissionen hat einen positiven Doppel-Effekt: Umweltschädliches Verhalten wird verteuert und damit gleichzeitig die Attraktivität klimafreundlicher Geschäftsmodelle erhöht.

Besonders Staaten, in denen die Industrie in klimarelevanten Technologiefeldern gut aufgestellt ist, haben einen Anreiz, das Marktumfeld durch die Einführung von CO2-Preisen so zu gestalten, dass Unternehmen mit klimafreundlichen Geschäftsmodellen komparative Vorteile erhalten.

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Die Transformation der Industrie hin zu klimafreundlichen Technologien und Produkten erfordert aber – anders als bisher – hohe Kohlendioxid-Preise und wird nicht überall in gleichem Tempo umzusetzen sein. Weltweit zeichnet sich eine Klimapolitik „unterschiedlicher Geschwindigkeiten“ ab. Und die ist zum Beispiel für die Europäische Union eine Herausforderung. Denn bei steigenden CO2-Preisen besteht die Gefahr, dass CO2-intensive Fertigungen wie die Produktion von Stahl in Länder mit weniger ambitionierten Vorgaben abwandern.

Das würde einen Verlust an eigener Wertschöpfung bedeuten – und auch dem globalen Klimaschutz in keiner Weise dienen. Denn die Emissionen könnten durch die Verlagerung von Produktion ins Ausland sogar steigen, wenn die Umweltstandards dort niedriger sind.

Wie groß die Gefahr klimapolitisch kontraproduktiver Wertschöpfungsverlagerung tatsächlich ist, lässt sich auf Grundlage der derzeitigen Daten schwer abschätzen, da die klimapolitischen Ambitionen heute noch nicht extrem weit auseinanderfallen. Studien, die die Entwicklungen bei unilateral ambitionierteren Klimapolitiken simulieren, legen nahe, dass man die Gefahr der Verlagerung von Wertschöpfung und Emissionen nicht einfach von der Hand weisen sollte.

Noch gelingt es etwa der EU, durch freie Zuteilung von Zertifikaten an besonders emissions- und handelsintensive Industrien Produktionsverlagerungen weitgehend zu vermeiden. Doch diese „privilegierten“ Zuteilungen sind bei ambitionierten Klimaschutzzielen mit entsprechend geringeren Zertifikatsmengen keine Option mehr.

Prescht einer voran, könnte der Schaden den Nutzen überwiegen

Man sucht daher nach neuen Wegen, die Gefahr einzudämmen: Auf Initiative der deutschen und französischen Regierung wurde im Sommer der politische Prozess zur Ausarbeitung eines CO2-Grenzausgleichs auf den Weg gebracht. Bei dem Grenzausgleich müssten Importeure eine dem CO2-Fußabdruck der eingeführten Güter entsprechende Menge an Zertifikaten kaufen. Exportgüter würden entsprechend ihres Kohlendioxid-Fußabdrucks entlastet. Gegen ein solches Vorgehen bestehen allerdings nicht nur handelsrechtliche Bedenken, Handelspartner könnten selbst bei WTO-konformer Umsetzung einen unilateral eingeführten Grenzausgleich als protektionistische Maßnahme werten und Gegenmaßnahmen ergreifen.

Deutschland als exportorientiertem Land drohten bei einem Handelskonflikt insbesondere mit den USA hohe Wertschöpfungsverluste. Der Schaden aus einem unilateral eingeführten Grenzausgleich könnte daher dessen Nutzen übersteigen. Die Gefahr von Handelskonflikten hängt jedoch maßgeblich von der Ausgestaltung der Mechanismen und globalen politischen Entwicklungen ab. Sollten wichtige Handelspartner einem gemeinsamen Vorgehen zustimmen, könnte mit aufeinander abgestimmten Grenzausgleichssystemen die Idee eines Klimaklubs Wirklichkeit werden.

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Innerhalb des Klubs könnten im Herkunftsland gezahlte Emissionspreise gegenseitig angerechnet werden – oder auch zunächst nur ein gemeinsamer Mindestpreis gelten, der mit der Zeit ansteigt. Dies würde weltweit Fortschritte bei der Bepreisung von Emissionen ermöglichen. Mit dem Erfolg der Demokraten bei den US-Präsidentschaftswahlen und den klimapolitischen Ambitionen vieler Länder im Asia-Pazifik-Raum dürften sich hierfür Chancen eröffnen, die es zu nutzen gilt. Viele Staaten, darunter China, Japan, Kanada, Mexiko und Korea, haben schon heute einen CO2-Preis etabliert oder zumindest Voraussetzungen dafür geschaffen.

Die Europäische Union jedenfalls hält in ihrer Rolle als Nettoimporteur von CO2-Emissionen mit den potenziellen Einnahmen aus dem Grenzausgleich noch einen Trumpf in der Hand. Nach dem Beschluss des Europäischen Rats vom Juli 2020 wird der Grenzausgleich zwar als mögliche künftige Einnahmequelle für den EU-Haushalt aufgeführt. Die durch den Kohlendioxid-Grenzausgleich erzielten Einnahmen könnten aber auch anders genutzt werden – etwa als Transferleistung für Schwellenländer, um ihnen den Beitritt zum Klimaklub attraktiv zu machen und einen Transformationspfad zur Klimaneutralität zu erleichtern. In jedem Fall muss ambitionierte EU-Klimapolitik den globalen Kontext mitdenken. Letztlich kann die Europäische Union sich sogar ambitioniertere Klimaschutzziele setzen, wenn ihre Bemühungen in einen Klub wichtiger Handelspartnern eingebunden sind. Ein solcher „Klub der Willigen“ könnte dem Klimawandel wirkungsvoll die Stirn bieten.

Veronika Grimm

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