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Die globale Verschuldung steigt.

© Lee Jae-won/Reuters

Globale Finanzlage: Eine Welt voller Schulden

Die globale Verschuldung ist heute größer als vor der Finanzkrise - die Ergebnis einer geplatzten Kreditblase war. Steht uns die nächste Krise bevor? Ein Überblick.

Gutes Wirtschaftswachstum, Überschüsse in den Haushalten – es sieht derzeit recht sonnig aus: Viele Daten deuten darauf hin, dass nicht nur Deutschland, sondern die gesamte Weltwirtschaft in einem robusten Zustand ist. Die globale Finanzkrise, die 2007 begann und nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Herbst 2008 in ihre schlimmste Phase schlitterte, scheint überwunden zu sein.

Es war eine Kreditkrise, ausgehend von Ländern mit Immobilienblasen – die USA allen voran, Spanien, Irland, Großbritannien, auch Portugal. Das weltweite Bankensystem, eng vernetzt und angefüllt mit undurchsichtigen Finanzprodukten, in denen die Überschuldung versteckt wurde, geriet ins Schlingern. Das zog weitere Krisen nach sich – vor allem die Euro-Krise aufgrund des wackligen italienischen Bankensystems und der Haushaltsnotlage in Griechenland.

Das Ergebnis: Eine massive Ausweitung der Staatsschulden, um die Krisen in den Griff zu bekommen. Die Leitzinssätze der Zentralbanken mussten auf null gesenkt werden, massive Anleihenaufkäufe durch die Notenbanken kamen hinzu. Eine verdrehte Welt, über Jahre hinweg. Und jetzt? Alles wieder normal?

Keineswegs. „Wir sind zehn Jahre nach dem Beginn der Finanzkrise noch immer im Krisenmodus, was sich an den Zinsen ablesen lässt, die immer noch von einem normalen Niveau entfernt sind“, sagt die Ökonomin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Ich glaube auch nicht, dass sie in nächster Zeit nennenswert steigen werden.“

Auch der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick sieht keinen Grund zum Aufatmen. „Die weltweite Finanzkrise ist nicht vorbei. Die nach wie vor bestehenden Risiken darf man nicht unterschätzen“, lautet seine Einschätzung. „Die Probleme haben sich zum Teil auch nur verlagert – zum Beispiel auf die Pensionskassen und Lebensversicherungen wegen der niedrigen Zinsen. Oder auf die Häuslebauer und Mieter in Deutschland, denn die höheren Preise sind auch ein Ergebnis der Finanzkrise, weil Investoren, auch aus dem Ausland, immer stärker in die Immobilienmärkte gingen.“

Ernüchternde Zahlen

Die Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind ebenfalls ernüchternd. Seit voriger Woche lässt sich auf dessen Webseite die globale Verschuldung Land für Land nachvollziehen – die Schulden der Staaten, der privaten Haushalte und der Unternehmen, zurück bis 1950. Man erkennt, wie seit Mitte der 90er Jahre die Weltwirtschaft immer stärker zu einer von Krediten getriebenen Veranstaltung wurde – mit dem Platzen der Dotcom-Blase als erstem Warnzeichen bis hin zur beispiellosen globalen Finanzkrise nach 2007.

Da zu hohe Schulden dahin führten, ist der Schuldenstand ein guter Indikator für die nächste Zukunft. Und die Welt ist heute noch deutlich höher verschuldet als zu Beginn der Kreditkrise. 225 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung sind es laut IWF mittlerweile (die Zahl bezieht sich auf Ende 2016), 2007 waren es noch knapp 190 Prozent. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, eine Institution der Zentralbanken, kommt sogar auf 245 Prozent – gegenüber 210 Prozent vor der Finanzkrise.

„Es wird gern übersehen, dass die globale Verschuldung stärker steigt als das Wirtschaftswachstum“, analysiert Schick. „Die Situation ist wieder ähnlich wie 2006 und 2007, als die Krise sich anbahnte. Ihre Versprechen, die Finanzmärkte stabiler zu machen, haben die Regierungen aber nur ungenügend umgesetzt. Es gibt zum Beispiel immer noch zu viele riskante Finanzprodukte, weil die Regulierung nicht intensiv genug ist.“

Zwei Drittel der Weltverschuldung entfallen auf den privaten Sektor (Haushalte und Unternehmen), ein Drittel auf die Staaten. Die Industrieländer haben daran den größten Anteil, vor allem die USA. Größter Schuldenmacher der vergangenen Jahre aber war China. Wobei die offiziell verfügbaren Zahlen das ganze Ausmaß des chinesischen Schuldenproblems nicht wiedergeben – denn die chinesischen Kommunen haben sich neben ihren Haushalten wild und massiv verschuldet, eine tickende Zeitbombe.

Problemfall Italien ist nicht allein

Die Schuldendebatte dreht sich häufig allein um die Staatsverschuldung – derzeit wegen der neuen Regierung in Rom um die hohe italienische Verschuldungsquote von 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Freilich gehört zum Bild auch, dass die italienischen Privathaushalte traditionell eher gering verschuldet sind – mit 55 Prozent sind sie auf dem international ebenfalls sehr moderaten deutschen Niveau (53,6 Prozent). Allerdings ist das italienische Bankensystem wackliger als das in anderen EU-Staaten oder in den USA, wo nach der Krise härter reguliert wurde. Vor allem süditalienische Banken haben offenbar einen hohen Anteil potenziell fauler Kredite in den Büchern.

Und faule Privatkredite, ein Hauptauslöser der Finanzkrise, sind nach wie vor die größere Gefahr im Vergleich mit den hohen Staatsschulden. „Wenn Privathaushalte hoch verschuldet sind, ergibt das immer ein höheres Kreditrisiko. Vor allem in einer hohen Immobilienverschuldung steckt ein großes Gefahrenpotenzial“, betont die IWF-Ökonomin Schäfer. Im Fall einer Wirtschaftskrise gehe das Wachstum zurück und die Häuserpreise könnten sinken, was den kreditgebenden Banken Probleme schaffe – durch Kreditausfälle und einen geringeren Wert der Häuser, die als Sicherheiten dienen.

Die private Verschuldung ist natürlich dort hoch, wo die Leute stärker zum Eigentum streben. Das erklärt Schuldenquoten der privaten Haushalte von 133 Prozent in Dänemark oder 120 Prozent in den Niederlanden. In solch robusten Volkswirtschaften mit hohen Einkommen ist das Problem geringer als in Ländern, in denen auch geringer verdienende Haushalte Eigenheime auf Pump kaufen. Zudem dürfte die Privatverschuldung in einigen Ländern, etwa Schweden, auch deshalb stark gestiegen sein, weil die niedrigen Zinsen zum Kauf verlockten.

In den Ländern, die Immobilienblasen hinter sich haben, ist sie zwar zurückgegangen, aber mit 81 Prozent in den USA oder 94 Prozent in Großbritannien nach wie vor weit über dem Schnitt. Der Unternehmenssektor gibt dagegen "derzeit wenig Anlass zur Sorge, vor allem in Deutschland und Europa", wie Schäfer sagt. Die deutsche Wirtschaft etwa, traditionell mittelständisch geprägt und damit stärker auf Eigenkapital setzend, ist mit einer Verschuldungsquote von 94 Prozent weit im gemäßigten Bereich. In Frankreich dagegen, wo Großkonzerne eine größere Rolle spielen, sind es 165 Prozent, in Belgien gar 200 Prozent.

Geplatzte Blase belastet Japan seit langem

Das geplatzte Blasen ein Land in lange währende Probleme verstricken können, zeigt das Beispiel Japan. Es steht seit Jahren ganz oben in der Verschuldungsstatistik der großen Wirtschaftsnationen. Das Platzen der irrwitzigen, über Kredite und Spekulation aufgeblähten Aktien- und Immobilienblase vor fast 30 Jahren hat das Land bis heute nicht aufgearbeitet.

Zwar ist die Verschuldung der Privaten (62 Prozent) und der Unternehmen (150 Prozent) heute wieder einigermaßen im Lot, aber der japanische Staat hat wegen der immer wieder nötigen Ankurbelungsmaßnahmen in der langestreckten Entschuldungsphase eine Schuldenlast von 236 Prozent der Wirtschaftsleistung angehäuft - was nur finanzierbar ist wegen der eigenen Währung und der Tatsache, dass die Japaner ihrem Staat weiterhin Geld leihen, also keine Verschuldung in Fremdwährung vorliegt. Als stabil kann man eine Gesamtverschuldung von 447 Prozent freilich nicht bezeichnen.

Bei den Staatsschulden sind die nationalen Unterschiede am größten. Den notorischen Hochschuldenländern wie Japan, Italien, Griechenland (183 Prozent) und Portugal (130 Prozent) steht eine Gruppe entgegen, deren Verschuldung entspannt erscheint. So kommt Dänemark auf 38 Prozent, in Australien sind es 40, in der Schweiz 43 Prozent. Schweden hat eine Staatsverschuldung von 42 Prozent, wenn man allein den Regierungshaushalt anschaut - aber von 86 Prozent inklusive des "öffentlichen Sektors".

Hoch- und Niedrigschuldenländer

Eine Gruppe pendelt um die 60 Prozent, die als unproblematische Größe gilt und daher als Zielmarke für die Euro-Staaten dient. Deutschland gehört dazu, Finnland, die Niederlande, Polen und Irland. Und dann gibt es jene Staaten, die sich in der Krise massiv verschuldeten, nun aber nicht mehr von der hohen Quote herunterkommen: Frankreich mit 96 Prozent, Spanien mit 99 Prozent, Belgien mit 105 Prozent, Kanada mit 91 Prozent. Großbritannien mit 88 Prozent (und sogar 118 Prozent, nimmt man den gesamten öffentlichen Sektor), die USA mit 107 Prozent.

Diese Länder sind gemeint, wenn der IWF zuletzt mit deutlichen Worten eine Verringerung der Staatsschulden gefordert hat, damit die Regierungen im Fall eines Wirtschaftsabschwungs oder gar einer neuen Finanzkrise genügend Spielraum haben für eine nötige höhere Verschuldung. In ihren Planungen zumindest folgen alle Länder diesem Rat, die Schuldenquote im Euro-Raum soll zum Beispiel von aktuell 84 Prozent bis 2023 auf knapp 72 Prozent sinken. Nur US-Präsident Donald Trump hat sich für den anderen Weg entschieden und will, trotz guter Wirtschaftslage, mit mehr Schulden (zur Finanzierung seiner Steuersenkungen) ein Feuerwerk veranstalten - was den USA bis 2023 einen Anstieg der Staatsschuldenquote auf 117 Prozent bescheren wird.

Und kann sich Deutschland nun auf den vergleichsweise guten Zahlen ausruhen? Schick warnt trotz der niedrigen deutschen Gesamtverschuldung vor zu viel Gemütlichkeit. „Deutschland ist auch jetzt als großes Gläubigerland in einer ähnlichen Situation wie 2007, falls es wieder zu einer Schuldenkrise anderswo kommt", sagt er. „Was viele gern vergessen: Es ist nicht zuletzt ein Problem für die Gläubiger, wenn die Verschuldung zu hoch ist.“

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