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Der britische Premier Boris Johnson setzt die vorgeschriebenen Zollkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland nicht um.

© via REUTERS

Handelsdeal mit Großbritannien: Harter Brexit endgültig vom Tisch

Theoretisch hätte es einen harten Brexit geben können, wenn das EU-Parlament die Zustimmung zum Handelsdeal verzögert hätte. Doch die Parlamentarier lenken ein.

Boris Johnson das Europaparlament in eine vertrackte Lage gebracht. Seit Wochen verstößt der britische Premier gegen den Brexit-Vertrag mit der EU, weil er Exporte von Lebensmitteln und Agarprodukten von Großbritannien nach Nordirland ohne die vorgeschriebenen Zollkontrollen fließen lässt. Sollen die Abgeordneten in Brüssel dem Handelsabkommen mit London also zustimmen, obwohl Johnson in Sachen Brexit aus Sicht der EU vertragsbrüchig geworden ist? So lautete die Frage, mit der sich die Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament am Donnerstag beschäftigten.

Abstimmung am kommenden Dienstag

Die Fraktionschefs entschieden trotz aller Bedenken einmütig, am kommenden Dienstag über das Handelsabkommen abstimmen zu lassen. Damit verhindert das EU-Parlament eine weitere Zuspitzung der Lage, die in der ehemaligen Bürgerkriegsregion in Nordirland nach dem Abschluss des Wirtschaftsabkommens Anfang des Monats eskalierte. Gleichzeitig gibt das Parlament dem Drängen der Brüsseler Kommission und der EU-Mitgliedstaaten nach, die auf eine baldige Ratifizierung pochen.

An Heiligabend hatten sich London und die EU-Staaten nach monatelangem Ringen auf das Post-Brexit-Abkommen geeinigt, mit dem Zollabgaben verhindert wurden. Doch dies war noch nicht der Schlusspunkt der Endlos-Saga um den Brexit. Zwar war ein „harter Brexit“ vom Tisch, weil für den Handelsdeal eine so genannte vorläufige Anwendung beschlossen wurde. Dennoch kann es theoretisch noch zum „harten Brexit“ kommen – nämlich dann, wenn die Frist für die vorläufige Anwendung Ende April ausläuft und das EU-Parlament nicht vorher den Deal ratifiziert.

Selbst die Grünen wollen zustimmen

Doch diese Gefahr ist nun gebannt. Es wäre eine gewaltige Überraschung, wenn das EU-Parlament bei der bevorstehenden Abstimmung die Zustimmung zum Post-Brexit-Deal verweigern würde. Selbst die Grünen, die ansonsten EU-Handelsabkommen skeptisch betrachten, wollen ihr Plazet geben. Es wäre ihr zwar lieber gewesen, den Druck auf Johnson aufrecht zu erhalten, sagte die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini am Donnerstag mit Blick auf die fehlenden Zollkontrollen in Nordirland. Aber unterm Strich sei entscheidend, „dass wir nicht in ein No-Deal-Szenario schliddern“.

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Bernd Lange (SPD), der Chef des Handelsausschusses, twitterte, das EU-Parlament habe es sich „nicht leicht gemacht“. Die absehbare Zustimmung zum Handelsdeal mit London begründete er damit, dass die Kontrolle der Wirtschaftsvereinbarung durch das EU-Parlament sichergestellt sei.

Scharfmacher in Nordirland

In diesem Monat kam es in Belfast, Londonderry und anderen Städten Nordirlands zu Protesten, wie sie die zum Vereinigten Königreich gehörende Provinz seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Für die Unruhen sind in erster Linie Scharfmacher in zwei Lagern verantwortlich. Auf der einen Seite stehen pro-britische Loyalisten, die um den Bestand des Vereinigten Königreichs fürchten. Auf der anderen Seite befinden sich irische Nationalisten. Sie spekulieren auf eine Vereinigung mit dem EU-Mitglied Irland.

Johnson will Nordirland-Protokoll „abschmirgeln“

Die jüngsten Unruhen gehen auf denselben Konflikt zurück, bei dem bis Ende der 1990er Jahre mehr als 3600 Menschen starben. Angesichts der Bürgerkriegs-Erfahrungen waren sich Großbritannien und die EU bei den Brexit-Verhandlungen einig, dass eine harte Grenze auf der irischen Insel vermieden werden müsse.

Am Ende blieb die Unruheprovinz im Norden der Insel im EU-Binnenmarkt – mit dem Ergebnis, dass zwischen Großbritannien und Nordirland Zollkontrollen durchgeführt werden müssen. Doch inzwischen will Johnson vom Nordirland-Protokoll, in dem die Kontrollen festgeschrieben sind, nicht mehr viel wissen. Er wolle das Protokoll „abschmirgeln“, drohte er jüngst.

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