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Facetten einer Kanzlerin unter Druck: Angela Merkel bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Update

Haushaltsdebatte im Bundestag: Es brodelt im hohen Haus

Die AfD eröffnet die Aussprache mit harten Attacken auf Angela Merkel. Es geht um Chemnitz und die Folgen. Die Kanzlerin wird grundsätzlich.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Das Land ist aufgewühlt und gespalten nach Chemnitz und Köthen, der Bundestag ist es auch. Mit harten Vorwürfen sowohl gegen kriminelle Flüchtlinge als auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet die AfD am Mittwoch die Generalaussprache zum Bundeshaushalt – und empört mit ihren Schuldzuweisungen und ihrer Wortwahl die anderen Fraktionen. Die Folge: ein heftiger, emotionaler, aber auch unerbittlicher Schlagabtausch im hohen Haus und eine Kanzlerin, die auf die Herausforderung reagieren muss.

Um zu verstehen, was an diesem Mittwochvormittag im Bundestag geschieht, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie zerrissen und unsicher, ja verletzt das ganze Land nach den Vorfällen in Chemnitz und Köthen ist - und auch seine Volksvertreter - muss man zuerst einen kurzen Blick werfen auf Christian Lindner, den immer kühlen berechnenden und kontrollierten FDP-Chef. Jetzt steht er mit hochrotem Kopf am Rednerpult, er schreit wutverzerrte Sätze in den Saal und seine Hände scheinen das Gegenüber packen zu wollen. Die Wut eines Liberalen, der gerade zum Konsens der Demokraten gegen die Rechten aufrufen will und dabei von Anton Hofreiter, dem Grünen, unterbrochen wird.

Nun ja, dass im Parlament gestritten wird ist eigentlich ein Kennzeichen für eine lebendige Demokratie.

schreibt NutzerIn neubolle

Oder Martin Schulz, von dem man seit Monaten nichts gehört hat. Plötzlich erhebt sich der Sozialdemokrat aus den hinteren Reihen und lässt atemlos das Gespenst vom Faschismus im Reichstag aufleben. „Das hatten wir schon mal“, brüllt er in Richtung AfD und alle anderen im Saal applaudieren frenetisch, viele springen von den Stühlen auf.

Oder Alexander Gauland. Demagogisch, wie man ihn selten gehört hat. Er wirft dem „politisch medialen Establishment“ mit sonorer düsterer Stimme vor, den „Mord an einem Menschen“ für ihre Ziele zu missbrauchen und der Kanzlerin gleich auch noch die „Sprache eines Unrechtsregimes“ zu benutzen.

Und schließlich Johannes Kahrs. Immer wieder spricht er von „Rechtsradikalen“ und weist mit dem Finger auf die Abgeordneten der AfD. Dann ruft er ihnen zu, sie sollten „einen Blick in den Spiegel“ werfen, damit sie sähen, das „Hass hässlich“ mache. Worauf der rechte Teil des Plenums geschlossen den Saal verlässt.

Eigentlich sollte Besonnenheit herrschen

Erregung, Emotionen: Es ist Haushaltswoche im Bundestag und so, wie es seit Ewigkeiten Tradition ist, stellt die „Elefantenrunde“, die Generalaussprache, den Höhepunkt dar. Die Regierungschefin spricht und dann die Fraktionsvorsitzenden. Schließlich Debatten um jeden einzelnen Plan. Der Sommer ist vorbei, die Abgeordneten kommen, aufgeladen von der Stimmung zu Hause in den Wahlkreisen, nach Berlin zurück. An diesem Mittwoch brodelt es heftig im Parlament. So heftig, dass man den Abgeordneten zurufen möchte: Ruhig, bleibt sachlich. Es reicht doch, wenn die Leute da draußen von Hass und Angst gleichermaßen geschüttelt werden. Wenigstens hier, wo regiert wird, sollte Besonnenheit herrschen.

Aber vielleicht ist das ja auch zu viel verlangt. Seit einem dreiviertel Jahr sitzen die Rechtspopulisten der AfD nun im Bundestag. Was das Hohe Haus zuerst erschrak, nämlich dass dieser Einzug überhaupt möglich war, führte schnell zum gemeinsamen Willen, die Dazugekommenen zu bekämpfen. Mal ignorieren, dann wieder ihr Unvermögen entlarven, schließlich offen ihre Verbindungen nach ganz weit rechts thematisieren. Nichts scheint wirklich geholfen zu haben, bisher. Die AfD gewinnt an Zustimmung, vor allem im Osten. Und spätestens seit den Vorfällen in Chemnitz schwant den Volksvertretern, von der Union bis hinüber zu den Linken, dass sich der Erfolg von Gauland und Co. bis tief hinein in das bürgerliche Lager frisst.

Als die Kanzlerin ans Pult tritt, sind die Erwartungen hoch. Angela Merkel, ihre Flüchtlingspolitik, steht im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen. Ihr Innenminister, Horst Seehofer, hat die Migrationsfrage zur „Mutter aller Probleme“ erklärt. „Merkel muss weg“ stand auf den Schildern der Menschen, die in Chemnitz demonstrierten.

Merkel erinnert an Artikel Eins

Die Kanzlerin, sie versucht es mit einer Doppelstrategie: Länger, eindringlicher als bisher geht sie auf Gefühle wie Empörung oder Wut ein, die Straftaten von Asylbewerbern auslösen. Doch hart zieht sie die Grenze zwischen Frustration auf der einen, Hetze und Gewalt auf der anderen Seite. Die Mehrheit der Deutschen lebe und arbeite für ein „gutes Miteinander", doch trotzdem gebe es Sorgen, schwere Straftaten hätten alle aufgewühlt: „Sie machen mich betroffen, sie machen uns alle betroffen." Sie könne jeden verstehen, der empört sei, wenn sich nach Tötungsdelikten herausstelle, dass die mutmaßlichen Täter vorbestraft oder ausreisepflichtig seien. „Hier haben wir eine Aufgabe zu lösen", sagte Merkel, ihre Regierung arbeite daran.

Doch so sehr sie die Empörung teile. Es gebe „keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Naziparolen, Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, für Angriffe auf Polizisten". Sehr grundsätzlich wird die Regierungschefin, der Pathos gewöhnlich fremd ist, erinnert an Artikel Eins des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar" Wer dagegen verstoße, stelle sich gegen die Werte von Einigkeit und Recht und Freiheit. "Deshalb darf es bei der Achtung der Menschenwürde keine Rabatte geben für niemanden", sagt sie kategorisch: "Wir werden nicht zulassen, dass klammheimlich ganze Gruppen in unserer Gesellschaft ausgegrenzt werden." Muslime und Juden gehörten genauso zur Gesellschaft wie etwa Christen.

Den Streit um Worte will die Kanzlerin gern beenden – womöglich auch deshalb, weil ihr Sprecher Steffen Seibert sich in ihrem Namen angreifbar machte, als er nach Chemnitz von „Hetzjagden" sprach. Seither wird gestritten darüber, ob der Begriff zutreffend ist. „Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter", sagt die Regierungschefin. Erst dann schwenkt sie auf das eigentliche Thema der Debatte ein – den Haushalt 2019. Dieser Teil ihrer Rede – sie lobt die versprochenen Entlastungen für die Bürger, streift Herausforderungen wie Rente, Pflege, Infrastrukturausbau – klingt routiniert. Kein Wunder, es ist ihr viertes Kabinett, sie hat das Ritual im Bundestag vorher schon zwölf Mal absolviert. „Wir kommen Schritt für Schritt voran", bilanziert Merkel zuletzt: „Das ist unser Anspruch, und das werden wir auch einlösen." Erst Pathos, dann „Schritt für Schritt" – für Merkel ist das offenbar kein Widerspruch.

Gauland geht Merkel gleich an

Wie immer in der Generalaussprache, so hat auch an diesem Mittwoch aber vor der Regierungschefin die stärkste Oppositionsfraktion das Wort. Oft nutzen deren Vorsitzende dieses Forum, um – mal bissig, mal humorig – die Arbeit von Koalition und Regierung aufs Korn zu nehmen. Nun spricht Alexander Gauland, und der AfD-Chef wird sofort direkt. „Frau Merkel, Sie haben diesem Land nicht mehr anzubieten als Sturheit, Rechthaberei und Beschimpfungen“, schimpft er, während Merkel auf der Regierungsbank sitzt, den Angreifer nicht ansieht, sondern stattdessen den Blick auf den Tisch vor ihr zu richten scheint. Der Streit um die Taten und Folgen von Chemnitz und Köthen, er prägt auch den Auftakt der Debatte im Parlament.

Gauland wirft Merkel vor, sie habe "Fake News" verbreitet, als ihr Sprecher Steffen Seibert in Bezug auf die Vorkommnisse in Chemnitz von "Hetzjagden" sprach. Damit habe die Bundesregierung Öl ins Feuer gegossen. "Die Wahrheit ist, es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben", behauptet der Parteichef. So "widerlich" das Zeigen des Hitler-Grußes auch sei: "Das wirklich schlimme Ereignis" seien nicht die Demonstrationen gewesen, sondern "die Bluttat zweier Asylbewerber". Hunderte von Chemnitzern hätten nach der Gewalttat spontan von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch gemacht.

"Sie versuchen, die AfD zu kriminalisieren, indem Sie eine Art Volksfront gegen die AfD aufbauen", ruft der Fraktionschef. Die anderen Parteien im Bundestag versuchten den Eindruck zu erwecken, "als hätte man nur die Wahl zwischen Multikulturalismus und Faschismus", was nicht stimme. Die Attacke gipfelt im Vorwurf an die anderen Parteien: "Die Ausländer-Raus-Rufer und Hitlergruß-Zeiger sind doch die größte Hoffnung für Sie, meine Damen und Herren vom politischen Establishment." Der Vorwurf heißt, nur die AfD verstehe die berechtigte Empörung der Bürger nach Gewalttaten krimineller Asylbewerber, die anderen Parteien hätten den Draht zu ihnen verloren.

Doch zunächst meldet sich Ex-SPD-Parteichef und -Spitzenkandidat Martin Schulz zu einer Intervention. Sichtlich erregt, aber hoch konzentriert zieht der Rheinländer einen historischen Vergleich. Die Reduzierung aller Probleme eines Landes auf eine Minderheit sei ein "tradiertes Mittel des Faschismus", ruft er in Richtung AfD. Es sei Zeit, "dass die Demokratie sich gegen diese Leute wehrt". In Anlehnung an ein früheres Zitat von Gauland geht Schulz den AfD-Mann frontal an: "Die Menge an Vogelschiss ist ein Misthaufen, und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte!".

Die SPD-Fraktion, die Linke, die Grünen, sie toben vor Begeisterung, auch Union und FDP applaudieren. Die SPD-Parlamentarier stehen sogar auf, so sehr fühlen sie mit ihrem ehemaligen Parteichef, der schon immer zur Hochform auflief, wenn es um Grundwerte der Sozialdemokraten geht. Gauland, der erwidern darf, gibt sich unbeeindruckt: "Das ist nicht mein Niveau, auf dem ich mich mit Ihnen auseinandersetze", antwortet er Schulz salopp und versucht, dessen Attacke damit als stillos abtropfen zu lassen. Die Politik seiner Partei habe "mit Faschismus überhaupt nichts zu tun".

Forderung nach "echter Politik"

Nach der Rede der Kanzlerin folgen dann die Fraktionen, erst Koalitionspartner SPD, schließlich die Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne. Die sehen viele Widersprüche zwischen Anspruch und Haushaltsrealität der großen Koalition. Versagen im Umgang mit der AfD wirft FDP-Chef Christian Lindner ihr vor. An die Adresse von Finanzminister Olaf Scholz sagt der Liberale: "Die Menschen, Herr Scholz, lassen sich auch mit Sozialleistungen nicht kaufen. Die Menschen wollen von der Regierung nicht ein Taschengeld." Einen „Haushalt der fahrlässig verweigerten Gestaltung", nennt Lindner den Entwurf.

Noch direkter geht Linksfraktionschef Dietmar Bartsch die Koalition an: "Diese Bundesregierung verunsichert die Menschen in diesem Land. Es ist Ihre Verantwortung, dass die Lage in unserem Land so ist", hält er Merkel und ihren Ministern vor. Grünen-Fraktionschef Katrin Göring-Eckardt fordert den ganz großen Aufbruch. "In Deutschland regiert die Angst mit", konstatiert sie. Es reiche nicht mehr, alle paar Monate einen Rechenschaftsbericht abzulegen: "Wir brauchen endlich wieder echte Politik!", ruft sie. Stattdessen liefere die Regierung nur "Simulation von Politik" ab und gehe "viel zu viele kleine Schritte". Ob dieser Vorwurf die Kanzlerin wirklich schmerzt, die doch gerade  ihre eigene "Schritt für Schritt"-Politik gelobt hat, ist nicht zu erkennen.

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