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Die meisten Schüler sind Autodidakten, was Computer angeht. Sie lernen trotz der Schule.

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Update

ICILS-Studie zur Computer-Kompetenz von Achtklässlern: Elf Schüler teilen sich einen Computer

Mit ihren Computer-Kenntnissen liegen deutsche Achtklässler international im Mittelfeld, Nachbarländer schneiden deutlich besser ab. Bildungsforscher bemängeln vor allem die schlechte IT-Ausstattung deutscher Schulen.

Deutsche Schüler liegen mit ihren Computerkenntnissen weltweit nur im Mittelfeld – deutlich hinter Jugendlichen in Tschechien, Australien, Dänemark und Polen. Was die Achtklässler in Deutschland können, verdanken sie nicht der Schule, sondern ihrem privaten Umgang mit digitalen Geräten, ihrem Elternhaus und Freunden. Diese Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudie ICILS präsentierten Bildungsforscher am Donnerstag in Berlin. Für besorgniserregend halten sie die schlechte Ausstattung und den geringen Einsatz von Computern an deutschen Schulen. „Die Technik ist zu veraltet, das Internet oft zu langsam, um digitale Medien sinnvoll im Unterricht zu nutzen“, sagte die Paderborner Schulforscherin Birgit Eickelmann, die die Studie in Deutschland gemeinsam mit Wilfried Bos (Dortmund) leitete (hier geht es zur Studie).

Untersucht wurden in weltweit 21 Ländern und Bildungssystemen Schülerinnen und Schüler der achten Klassen. In Deutschland nahmen gut 2000 Jugendliche an 142 Schulen teil. Getestet wurde, wie gut die Achtklässler digitalen Medien Informationen entnehmen, diese bewerten und verarbeiten können. Die weitverbreitete Annahme, Kinder und Jugendliche würden durch das Aufwachsen in einer von neuen Technologien geprägten Welt automatisch zu kompetenten Nutzerinnen und Nutzern digitaler Medien, treffe nicht zu, heißt es in der Studie.

Deutschland ist das Land mit dem seltensten Computereinsatz

Bei der IT-Ausstattung „stagniere“ Deutschland, sagte Eickelmann. Im Schnitt teilen sich 11,5 Schüler einen Computer. Das sei derselbe Wert wie 2006, als das Bundesbildungsministerium die IT-Ausstattung erheben ließ. In Norwegen kommen dagegen 2,4 Schüler auf einen Computer. Nur 6,5 Prozent der deutschen Schulen können Tablets stellen (EU-Schnitt: 15,9 Prozent, in Australien sind es zwei Drittel der Schulen). Lehrer setzen nirgendwo so selten Computer im Unterricht ein wie hierzulande.

Für den 2013 durchgeführten ICILS-Test mussten die Achtklässler unter anderem Sachthemen im Internet recherchieren und ihre Erkenntnisse für eine Präsentation aufbereiten. Mit 523 Punkten liegt der Mittelwert der Jugendlichen in Deutschland über dem internationalen Mittelwert von 500 Punkten, aber deutlich hinter der Spitzengruppe, die von der Tschechischen Republik (553 Punkte) angeführt wird. Auch wenn aus ICILS nicht explizit hervorgeht, welcher Lernvorsprung der Punkteabstand bedeutet, sei von ähnlichen Korrelationen wie bei der Pisa-Studie auszugehen, sagte Bos. Bei Pisa entsprechen 20 Punkte einem halben Schuljahr.

Knapp ein Drittel der Schüler hat nur rudimentäre Kenntnisse

Die höchste der fünf Kompetenzstufen erreichten in Deutschland nur 1,5 Prozent der Schüler – international gibt es mehr Spitzenkönner. Bos sagte, es zeige sich wie bei anderen Schulstudien, dass Deutschland ein Problem mit den Leistungsstärksten habe. Stufe vier erreichen 24 Prozent. Das sind Jugendliche, die mit digitalen Medien eigenständig Informationen verarbeiten und aufbereiten können – „also das, was wir von unseren Jugendlichen eigentlich erwarten, wenn wir sie ständig mit ihren Mobiltelefonen hantieren sehen“, wie Bos sagte. Knapp ein Drittel erfüllt dagegen lediglich die Anforderungen für die beiden untersten Kompetenzstufen. Diese Schüler könnten „gerade mal einen Computer anschalten und einen Link anklicken“ (Stufe 1) beziehungsweise Informationen kopieren und an anderer Stelle einfügen (Stufe 2), sagte Bos. In der mittleren Stufe 3 können Schüler unter Anleitung Informationen einordnen und etwa zu Tabellen verarbeiten; dazu sind 45 Prozent in der Lage.

Die soziale Herkunft spielt eine große Rolle

Erneut bestätigt sich, dass in Deutschland der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischen Ergebnissen groß ist. Schüler aus bildungsnahen Familien erzielen im Schnitt 45 Punkte mehr als die aus bildungsfernen, deutlich mehr als im Schnitt der teilnehmenden EU- und auch der OECD-Länder. Als Risikogruppe haben die Bildungsforscher „insbesondere Jungen aus Familien mit wenigen kulturellen und ökonomischen Ressourcen“ ausgemacht.

Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen groß. In allen Ländern haben Mädchen einen Vorsprung, in Deutschland sind es 16 Punkte, was dem internationalen Wert entspricht. Die Schulforscherin Birgit Eickelmann sagte, das Ergebnis dürfte manche „überraschen“, gelten Mädchen doch oft als weniger technikaffin. Das Bewerten von Informationen habe aber viel mit den Lesekompetenzen zu tun – hier lagen die Mädchen schon bei Pisa in allen Ländern vorn.

Was die IT-Ausstattung deutscher Schulen angeht, konstatierten die Forscher ein „Missverhältnis“ zwischen den Chancen digitaler Medien und der Realität im Unterricht. Ob Computer, Tablets oder Whiteboards, also elektronische Tafeln: Diese Geräte sind in Deutschland vergleichsweise wenig vorhanden. Nur ein Drittel der Lehrer nutzt sie mindestens einmal pro Woche. Nicht einmal jeder zehnte bedient sich täglich der digitalen Medien (international macht das ein Drittel der Lehrer).

Die meisten Schüler sind Autodidakten

Greifen sie doch einmal darauf zurück, scheinen sie pädagogisch nur unzureichend darauf vorbereitet. Darauf weist ein fast absurd anmutender Befund hin: In Deutschland fördert der IT-Einsatz an Schulen die Computerkompetenzen von Schülern nicht, sondern beeinflusst sie sogar negativ. Im Umkehrschluss bedeute das: Die meisten Schüler sind IT-Autodidakten. „Sie erwerben ihre Kompetenzen trotz der Schule“, sagte Bos.

Könnte der IT-Notstand in deutschen Klassenzimmern auch daran liegen, dass Lehrer in Deutschland besonders skeptisch neuen Techniken gegenüber eingestellt sind? Nein, sagte Eickelmann. Ganz im Gegenteil sind 90 Prozent der Lehrer für den Computereinsatz prinzipiell aufgeschlossen. Daraus ziehen die Forscher große Hoffnungen: Mit einer besseren Ausstattung und der richtigen Weiterbildung könnte in Deutschland viel bewegt werden.

Bildungsexperten fordern ein staatliches Infrastruktur-Programm

Eine „Verweigerungshaltung“ hinsichtlich der IT-Ausstattung von Schulen warf der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Bund und Ländern vor. Es gehöre „ganz oben auf die digitale Agenda des Staates“, alle Schulen mit zeitgemäßen Geräten zu versorgen, erklärte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann. Der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Özcan Mutlu, äußerte sich enttäuscht, dass seit 2006 keine Erfolge erkennbar seien. Mutlu forderte, das Kooperationsverbot von Bund und Ländern auch für die Bildung zu lockern, damit die IT-Infrastrukturen ausgebaut werden können.

Das Bundesbildungsministerium hofft auf einen Innovationsschub

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Sylvia Löhrmann (Grüne), stellte in Aussicht, die Länder wollten „vorhandene Möglichkeiten besser nutzen und neue Schwerpunkte setzen“. 2012 habe die KMK die Medienbildung „zur Pflichtaufgabe des schulischen Bildungsauftrags erklärt“. Das Bundesbildungsministerium verwies auf die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, von der man sich „einen Innovationsschub auch beim Einsatz digitaler Medien“ erwarte.

ICILS steht für „International Computer and Information Literacy Study“. Die Studie gehört in die „Familie“ der großen Schulleistungsvergleiche wie Pisa oder die Grundschul-Lese-Studie Iglu. Verantwortlich für ICILS ist die Vereinigung IEA (International Association for the Evaluation of Educational Achievement).

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