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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© Thilo Rückeis

Kurz vor Entscheidung im Bundestag: Spahn hält Abstimmung über Organspende für völlig offen

Am Donnerstag stimmt das Parlament über die Organspende ab. In seiner Widerspruchsregelung sieht Minister Spahn ein ermutigendes Signal für alle Patienten.

Für die Bundestagsabstimmung über die von ihm initiierte Widerspruchsregelung für Organspenden rechnet Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit einem äußerst knappen Ergebnis. Der Ausgang sei offen, sagte Spahn dem Tagesspiegel fünf Tage vor dem mit Spannung erwarteten Abgeordneten-Votum. „Wir haben ähnlich viele Unterstützer wie diejenigen, die sich für die Entscheidungslösung einsetzen.“

Spahn gibt zu, dass Widerspruchsregelung Eingriff in Freiheit ist

Gleichzeitig appellierte der Minister an die Parlamentarier, sich für eine solche Radikalreform zu entscheiden, die jeden bei fehlendem Widerspruch zum potenziellen Organspender machen würde. „Das wäre ein Paradigmenwechsel zu heute. Und es wäre ein ermutigendes Signal für alle Patienten, die auf ein Spenderorgan warten.“

Er sei überzeugt, dass eine Widerspruchsregelung in Deutschland „einen kulturellen Wandel bewirken“ werde, betonte Spahn. In einem Umfeld, wo nur noch diejenigen aktiv werden müssten, die ihre Organe nicht spenden wollten, könnten auch die neuen Regelungen für Entnahmekrankenhäuser, die man bereits auf den Weg gebracht habe, „viel besser wirken“.

Spahn räumte ein, dass die Widerspruchsregelung einen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen bedeute. In der Abwägung mit dem Recht auf Leben müsse das aber zurückstehen. „Wir haben Kinder, die mit ihren Eltern über Monate im Krankenhaus leben müssen, weil sie auf ein Spenderherz warten und außerhalb des Klinikums nicht überleben könnten. Aus meiner Sicht wiegt das so schwer, dass man den Bürgern die geringe Freiheitseinschränkung zumuten kann, sich mit dem Thema wenigstens beschäftigen zu müssen.“ Man wolle ja „keine Organabgabepflicht“, betonte Spahn. Auch bei der von ihm gewollten Neuregelung könne jeder widersprechen, „ohne irgendeinen Nachteil befürchten zu müssen“.

Mit Blick auf die Situation in den Krankenhäusern in Deutschland gab Spahn zu, dass es wegen des Pflegekräftemangels „phasenweise und regional ernsthafte Probleme gibt“. Daran gebe es „nichts zu beschönigen“, sagte Spahn. Gleichzeitig verteidigte der Minister aber seine Vorgaben zur Mindestbesetzung mit Pflegepersonal, aufgrund derer viele Krankenhäuser inzwischen Intensivbetten sperren und Erkrankte abweisen müssen.

Spahn will Gespräche mit allen Beteiligten über Kliniken

„Damit schützen wir Patienten“, sagte Spahn. Studien zufolge nehme die Sterblichkeit ab einer bestimmten Unterbesetzung etwa in der Kardiologie massiv zu. „Die Sicherheit der Patienten wäre also vor allem gefährdet, wenn in unterbesetzten Stationen einfach weiter behandelt würde.“

Spahn kündigte an, noch in diesem Jahr mit allen Beteiligten über nötige Strukturreformen für die Kliniken reden zu wollen. „Wir müssen herauskommen aus gegenseitiger Blockade und Schuldzuweisung“, sagte er. Länder und Krankenhausträger hätten „das Sparen zu Lasten der Pflege über Jahre zugelassen. Dass das jetzt mal spürbar wird, teils auch sehr schmerzhaft, war zu erwarten. Vielleicht ist das aber nötig, um hier endlich etwas in Bewegung zu bringen.“ Man müsse „effizienter mit dem vorhandenen Personal umgehen“, brauche bessere Strukturen. „Es geht nicht nur um gute Erreichbarkeit, es geht auch um gute Qualität.“

Steuerzuschüsse zur Pflegeversicherungen seien denkbar, sagt Spahn

Zur Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung hält der Minister Steuerzuschüsse für denkbar. Allerdings vermisse er beim Koalitionspartner dazu bisher eine einheitliche Linie, sagte Spahn. „Der SPD-Vorstand findet die Idee von Steuerzuschüssen gut. Beim Finanzminister aus derselben Partei ist die Begeisterung dafür jedoch nicht übermäßig ausgeprägt.“

Er selbst habe „nicht prinzipiell etwas gegen Steuerzuschüsse für die Pflege“, betonte der Gesundheitsminister. Die Pflegeversicherung komme „ja auch für einiges auf, das man durchaus als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definieren kann“. Außerdem hätten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Beiträge zu den Sozialversicherungen unter 40 Prozent zu halten.“

Spahn lehnt Vollversicherung in der Pflege ab

Aber über Steuerzuschüsse müsste es Einigkeit in der Koalition geben“, sagte Spahn. „Eine Koalition sollte mit solchen Forderungen erst kommen, wenn sie dazu auch ernsthaft willens ist.“ Die gesetzlichen Versicherer fordern seit längerem auch Steuerzuschüsse für die Pflege, weil der Eigenanteil für Pflegebedürftige immer weiter steigt.  Zur Begründung verweisen sie auf versicherungsfremde Leistungen, die von den Beitragszahlern erbracht werden. Diese summierten sich pro Jahr auf 2,7 Milliarden Euro. Größter Posten dabei ist die Kostenübernahme für Rentenanwartschaften von pflegenden Privatpersonen.

Die Forderung von Pflegeexperten und Gewerkschaften nach einer Vollversicherung, bei der die Versicherer alle Pflegekosten  übernehmen, lehnte Spahn ab. „Sich bei der Pflege finanziell vollständig raushalten zu können, entspricht nicht meinem Verständnis von familiärer Verantwortung“, sagte er. Außerdem handle es sich hier um eine Gerechtigkeitsfrage. „Ich fände es nicht in Ordnung, wenn die kleine Angestellte, die sich ihr Leben lang alles selbst erarbeiten muss, mit ihren Pflegebeiträgen das Vermögen derer schützen muss, die Hunderttausende auf der hohen Kante haben.“

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