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Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linke

© dpa/Wolfgang Kumm

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch: "Die Linke ist nicht unkritisch gegenüber Russland"

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch spricht im Interview über Attacken von Heiko Maas gegen Moskau, Drohungen von Donald Trump - und innerparteiliche Konflikte.

Von
  • Matthias Meisner
  • Hans Monath

Herr Bartsch, Sie waren diese Woche zu Besuch in Kuba. Wie lange wird der Sozialismus dort noch durchhalten?

Entgegen allen Prognosen ist die Situation in Kuba stabil. Ich finde es bemerkenswert, dass die sozialistische Ordnung weiter existiert, auch wenn man aus mitteleuropäischer Sicht viele kritische Bemerkungen machen kann. Tatsache ist aber leider auch: US-Präsident Donald Trump hat alle Lockerungen aus der Zeit Barack Obamas rückgängig gemacht und wieder eine totale Blockade gegen das Land verhängt, das schafft neue Probleme.

Warum sind Sie nun gerade nach Kuba gefahren – aus Nostalgie oder Ostalgie?

Weder noch. Ganz einfach: Die Kubaner hatten mich in ihr wunderbares Land eingeladen, ich war zehn Jahre lang nicht dort. Und Die Linke betreibt mit der Initiative „Cuba Si“ ein Solidaritätsprojekt, das uns und den Kubanern sehr wichtig ist.

Donald Trump sorgt nicht nur im Hinblick auf Kuba für neue Probleme…

Allerdings. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten war eine Zeitenwende und hat die Welt nicht zum Besseren verändert. Sollte hinter seinen unberechenbaren außenpolitischen Aktionen eine Strategie stecken, dann ist sie hoch gefährlich. Er provoziert es förmlich, dass neue Kriege ausbrechen – etwa nun durch die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran.

Kann die EU das Atomabkommen mit dem Iran ohne die USA retten?

Die Bundesregierung und die EU sollten zumindest alles daransetzen, das zu versuchen – gemeinsam mit Russland und China, die auch Vertragspartner Teherans sind. Die Bundesregierung sollte vor den Sanktionsdrohungen Trumps nicht einknicken. Sie darf nicht zulassen, dass dessen Erpressertaktik Erfolg hat. Da muss Europa dagegenhalten – nicht nur mit Worten, sondern durch ganz konkrete Schritte. Die Bundesregierung könnte einen EU-Fonds auf den Weg bringen, der solchen europäischen Unternehmen hilft, die Geschäfte mit dem Iran betreiben und von den US-Sanktionen geschädigt werden.

Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, fordert deutsche Unternehmen direkt auf, ihre Geschäfte mit dem Iran abzuwickeln...

Dieser Befehlston erinnert mich an die Zeiten, als die Ansagen aus Moskau kamen und die DDR ihnen prompt folgen musste. Die Bundesregierung muss deutlich machen, dass sie selbst, die EU und ihre Mitgliedsländer eine eigenständige Politik betreiben. Außenminister Heiko Maas sollte im Ringen um das Atomabkommen mit dem Iran an die Politik seiner sozialdemokratischen Vorgänger Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier anknüpfen. Bisher ist Maas vor allem dadurch aufgefallen, dass er mit der Außenpolitik seiner Vorgänger bricht. Ich denke an seine neue Linie gegenüber Russland.

Was stört Sie an der Russlandpolitik von Maas?

Bei aller berechtigter Kritik an Russland ist es nicht zielführend, als erste Amtshandlung die Verkündigung eines Kurswechsels in der Russlandpolitik vorzunehmen. Vor dem ersten Treffen mit dem russischen Außenminister Lawrow erhebt er schwere Vorwürfe gegen Moskau. Das wird die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik beschneiden. Die Linke ist nicht unkritisch gegenüber Russland. Aber wir sind der Meinung, dass Völkerrechts- oder Menschenrechtsverletzungen überall und nach gleichen Maßstäben verurteilt werden sollen.

Außenminister Heiko Maas am vergangenen Donnerstag bei seiner Ankunft zu einem Kurzbesuch in Moskau.
Außenminister Heiko Maas am vergangenen Donnerstag bei seiner Ankunft zu einem Kurzbesuch in Moskau.

© imago/photothek

Bricht Maas mit der Tradition der Ostpolitik in der SPD?

Ich hoffe nicht. Ich setze darauf, dass seine eigene Partei ihn wieder einfangen kann. Das pragmatische Verhältnis von Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel zu Russland hat einen wichtigen Beitrag zur Stabilität geleistet. Ohne Russland lassen sich Probleme wie zum Beispiel der Syrien-Konflikt nicht lösen.

Russland hat dem ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt die Einreise zur Fußball-Weltmeisterschaft verweigert. Wie bewerten Sie den Umgang Moskaus mit kritischen Journalisten?

Einreiseverbote für Journalisten verstoßen gegen die Pressefreiheit. Russland sollte das überdenken und korrigieren.

Sie erheben Forderungen an die Außenpolitik der Bundesregierung. Müssen Sie nicht auch dafür sorgen, dass Ihre eigene Partei einheitliche außenpolitische Positionen vertritt – etwa in der EU-Politik, gegenüber Russland oder der Türkei?

Die Herausforderungen in der Außenpolitik sind so groß, dass es keine Partei gibt, in der nicht auch unterschiedliche Positionen vertreten werden. Deshalb finde ich es angemessen, dass auch bei uns kontrovers diskutiert wird. In wichtigen Fragen haben wir uns klar positioniert. Beispielsweise haben wir zum 70. Jahrestag der Gründung Israels im Bundestag deutlich gemacht, dass wir zum Staat Israel stehen, selbst wenn wir viel zu kritisieren haben an der derzeitigen Politik.

Als Argument gegen eine rot-rot-grüne Bundesregierung wird immer wieder angeführt, es gebe zu große Differenzen der Partner in der Außenpolitik. Teilen Sie das?

Das ist alles vorgeschobenes Zeugs. Im Moment sind die Differenzen innerhalb der SPD-Führung in außenpolitischen Fragen größer als bei uns, wie Sie an der Debatte über den Umgang mit Russland sehen. Übrigens: Es wäre schlimm, wenn es in der Politik keine Unterschiede zwischen SPD und Linkspartei mehr gäbe. Dann bräuchte man keine Koalition mehr, dann könnte man gleich fusionieren.

Warum geht es eigentlich in Ihrer Partei so unfriedlich zu?

Ich sehe nicht, dass es in meiner Partei unfriedlich zugeht. Weniger gut finde ich, dass wir manchmal Sachfragen als persönliche Auseinandersetzungen debattieren. Dann geht es nur noch darum, wer und was angeblich dahintersteckt oder wer durch einen Beschluss angeblich taktische Vorteile erlangt. Das bringt uns nicht weiter.

Aber harmonisch geht anders, oder?

Wissen Sie: Friedhofsruhe wäre für mich Ausdruck einer gescheiterten Linken - ich will eine aktive Partei, die ernsthaft und lebendig in der Sache diskutiert. Abgesehen davon: Die Bundestagsfraktion macht einen hervorragenden Job. Was wir im Bundestag in der neuen Legislaturperiode erreicht haben, kann sich sehen lassen, zum Beispiel, dass die inakzeptable Kinderarmut und die schwierige Situation Alleinerziehender nicht mehr von der Bundesregierung ignoriert werden.

Linken-Spitzenfunktionäre Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht und Katja Kipping im Juni 2015.
Linken-Spitzenfunktionäre Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht und Katja Kipping im Juni 2015.

© Jörg Carstensen/dpa

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn mehr als ein Drittel der Linken-Bundestagsabgeordneten in einem öffentlich gemachten Brief gegen ihre Ko-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht rebellieren und ihr einen „nicht integrativen“ Führungsstil vorwerfen?

Dann geht mir zunächst durch den Kopf, dass das kein konstruktiver Weg ist, Kritik vorzutragen. Ein Brief, der noch nicht bei der Adressatin, aber schon bei den Medien ist, dient nicht der Sache. Ansonsten darf über alles gestritten werden. Dafür ist die Fraktion da. Es gibt aber bei einigen wenigen die Neigung zu glauben, Politik wird über die Presse entschieden. Das ist falsch.

Dann war es auch falsch, dass Wagenknecht im Oktober vergangenen Jahres vor der Klausur der Bundestagsfraktion in Potsdam die Parteiführung offen und scharf kritisiert hat?

Im Vorfeld der Klausur gab es den Versuch, die Fraktionsspitze abzulösen. Dieser ist gescheitert. Am Ende haben wir, richtiger Weise, eine plurale Fraktionsspitze gewählt. So viel Pluralität wünsche ich mir auch für die zukünftige Parteispitze.

Halten Sie trotz inhaltlicher Differenzen weiter zu Sahra Wagenknecht?

Sahra Wagenknecht und ich hatten und haben neben vielen gemeinsamen durchaus unterschiedliche inhaltliche Positionen, das ist kein Geheimnis. Gemessen daran, funktioniert es zwischen uns gut. Wir arbeiten vertrauensvoll und offen zusammen - und erfolgreich, darauf kommt es am Ende an.

Heftig wird in der Linkspartei auch über Zielgruppen und Wählermilieus diskutiert: Der Parteiführung wird vorgeworfen, sich zu sehr auf die urbanen Milieus zu konzentrieren, Arbeiter und Arbeitslose zu vernachlässigen. Können Sie diesen Streit nachvollziehen?

Entweder-oder ist hier Quatsch. Ich kann verstehen, dass Landesverbände wie Berlin, Hamburg oder Bremen etwas anders an diese Frage herangehen als beispielsweise Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen. Wir müssen uns aber immer daran erinnern, dass wir aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommen. Deswegen müssen natürlich Arbeiter, Arbeitslose und Beschäftigte in unserem Fokus stehen. Von ihnen dürfen wir uns nicht entfernen, nicht in der Sprache, nicht im Habitus. Und wenn wir ehrlich sind: Wir haben uns eigentlich schon entfernt. Das trifft im Übrigen auch für Gewerkschafter, Journalisten und Verantwortliche in Kirchen zu. Deswegen müssen wir darüber reden, wie wir diese Distanz wieder kleiner machen. Denn eine andere Partei hat sich genau diese Distanz zu Nutze machen können.

Sie spielen auf die AfD an. Ein halbes Jahr sitzen nun deren Abgeordnete im Bundestag. Was ist im Umgang mit der AfD gut gelaufen, was nicht?

Maßstab ist, wie weit es gelingt, den Einfluss der AfD zurückzudrängen, sie am Ende wieder aus den Parlamenten und aus den Köpfen raus zu bekommen. Die AfD hat, was ihre inhaltliche Substanz betrifft, extrem wenig anzubieten. Sie läuft dann zur großen Form auf, wenn es um emotional aufgeladene Fragen geht oder Menschen ausgegrenzt werden sollen. Es ist wichtig, die AfD nicht zum zentralen Bezugspunkt der Politik zu machen. Ignorieren kann die höchste Form der politischen Auseinandersetzung sein. Entscheidend ist, Veränderungen im Denken und in den Erfahrungen der Wähler und Anhänger der AfD zu erreichen.

Das heißt, die AfD sollte nicht wie alle anderen Bundestagsparteien behandelt werden?

Zumindest in Teilen ist diese Partei klar rassistisch, das ist auch im Bundestag zu beobachten. Da muss es dann eine grundsätzliche Auseinandersetzung geben. Deshalb ist es übrigens unverantwortlich, wenn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion uns mit der AfD auf eine Stufe setzt, indem sie mit beiden Fraktionen keine gemeinsamen inhaltlichen Initiativen zulässt. Das ist ein Rückfall in den Kalten Krieg.

Dietmar Bartsch (60) ist seit Oktober 2015 Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Er führt die Fraktion gemeinsam mit Sahra Wagenknecht. Das Gespräch führten Matthias Meisner und Hans Monath.

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