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Die Außenminister Heiko Maas und Jacek Czaputowicz legten am Denkmal für die Opfer des deutschen Massakers im Warschauer Stadtteil Wola einen Kranz nieder.

© Xander Heinl/imago

Maas bittet in Polen um Vergebung: "Ich schäme mich für das, was Ihrem Land von Deutschen angetan wurde"

Zum 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands gedenkt Außenminister Heiko Maas der Opfer. Er spricht sich für ein Polen-Denkmal in Berlin aus.

Das Denkmal, das an eines der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg erinnert, steht auf dem Mittelstreifen einer viel befahrenen Straße in Warschau. Vor einer steinernen Mauer zeichnen sich die Silhouetten von Menschen ab, die gesamte Mauer ist wie von Einschüssen durchlöchert.

Im Warschauer Stadtteil Wola wurden im August 1944 innerhalb einer Woche 50.000 Menschen ermordet. Die Deutschen holten die Einwohner aus den Häusern und erschossen Männer, Frauen und Kinder. Damit übte die SS Vergeltung für den Warschauer Aufstand, der am 1. August 1944 begonnen hatte. 75 Jahre später legte der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) an dem Denkmal für die Opfer des Massakers einen Kranz nieder. „Deutschland trägt die Verantwortung für dieses Grauen“, sagt Maas später.

Am Vorabend des Jahrestages hat Maas an der zentralen Veranstaltung zum Gedenken an den Warschauer Aufstand teilgenommen und sich bei der Kranzniederlegung vor den Opfern verneigt. Auf dem Krasinski-Platz hatten sich mehrere hundert Menschen versammelt, um an die Aufständischen zu erinnern. Einige von ihnen waren selbst Kämpfer in der Polnischen Heimatarmee, sie trugen Armbinden in den Farben der polnischen Fahne. An ihrer Seite standen die Soldaten von heute ebenso wie junge Menschen in historischen Uniformen und Pfadfinder.

Die deutschen Gäste, unter ihnen auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, erhielten einen Eindruck davon, mit welcher Ergriffenheit große Teile des Publikums die mehr als zweistündige Gedenkveranstaltung verfolgen. Während des Gottesdienstes unter freiem Himmel knieten selbst alte Damen immer wieder auf dem harten Pflaster des Krasinski-Platzes nieder.

An diesem Abend in Warschau ließ sich zumindest erahnen, welche Bedeutung der Aufstand für das Selbstverständnis des heutigen Polens hat. Staatspräsident Andrzej Duda betonte in seiner Rede, dass Polen nur dank des Mutes, des Heldentums und der Entschlossenheit der Aufständischen existiere. Wegen des Warschauer Aufstands sei das Land keine weitere Sowjetrepublik geworden.

Warschau wurde von den Deutschen systematisch zerstört

Am 1. August 1944 hatte die Polnische Heimatarmee, eine militärische Untergrundorganisation im von den Deutschen besetzten Polen, einen Aufstand gegen die Besatzer begonnen. Zu diesem Zeitpunkt stand die Rote Armee bereits kurz vor Warschau. Die Polen wollten jedoch ihre Hauptstadt selbst befreien und sich damit ihre Eigenständigkeit sichern.

Der SS-Führer Heinrich Himmler erteilte den Befehl, alle Einwohner Warschaus zu töten und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Nach 63 Tagen war der Aufstand niedergeschlagen. Die Deutschen hatten mehr als 180.000 Menschen ermordet und die Stadt Warschau systematisch zerstört. Keiner der Deutschen, die am Massaker von Wola beteiligt waren, wurde nach dem Krieg für diese Taten je vor Gericht gestellt.

Dass nun ein deutscher Außenminister in der Reihe der Ehrengäste sitzt, ist alles andere als selbstverständlich. Seit 2004 war kein Mitglied der Bundesregierung bei den Gedenkveranstaltungen dabei. Damals hatte Gerhard Schröder als erster Bundeskanzler teilgenommen – und war von einigen Zuschauern mit Buhrufen empfangen worden. Zehn Jahre zuvor hatte Bundespräsident Roman Herzog um Vergebung gebeten für das, was den Polen von den Deutschen angetan worden war.

"Mit Demut und Dankbarkeit"

Maas betont, es erfülle ihn „mit Demut und Dankbarkeit“, als deutscher Außenminister am 75. Jahrestag des Aufstands teilnehmen zu können. „Ich bin hierhergekommen, weil ich die Toten ehren und die Familien der Toten und Verletzten, weil ich auch das polnische Volk um Vergebung bitten möchte“, sagt der Minister in einer Rede im Museum des Warschauer Aufstands. „Ich schäme mich für das, was Ihrem Land von Deutschen und in deutschem Namen angetan wurde.“ Er schäme sich auch dafür, dass diese Schuld nach dem Krieg viel zu lange verschwiegen worden sei.

Die Einladung durch den polnischen Außenminister Jacek Czaputowicz ist für Maas ein „besonderes Zeichen des Vertrauens“. Er sei dankbar, weil Deutschland und Polen heute „als Nachbarn und Freunde dieses starke Vertrauen ineinander haben“, sagte Maas. „Wir teilen die gleichen Werte.“ Für diese Werte hätten viele Menschen in der Heimatarmee gekämpft und ihr Leben gelassen: Freiheit und Selbstbestimmung in Europa.

Für Maas ist es bereits der fünfte Besuch in Polen in anderthalb Jahren. Trotz aller Differenzen, die es im deutsch-polnischen Verhältnis seit Jahren gibt – von der Migrationspolitik über die Gaspipeline Nord Stream 2 bis zu Polens Justizreform – will er die Zusammenarbeit mit Warschau stärken. So forderte er kürzlich, Deutschland und Polen sollten gemeinsam Motor der europäischen Entwicklung sein. Dieses Bild ist sonst dem deutsch-französischen Verhältnis vorbehalten. Dabei zeigt schon die Debatte über eine US-geführte Mission zum Schutz von Schiffen im Persischen Golf, dass die beiden Staaten in wichtigen außenpolitischen Fragen weit auseinander sind: Während Maas in Warschau eine deutsche Beteiligung kategorisch ausschließt, steht Polen einer solchen Mission aus Solidarität mit den USA grundsätzlich positiv gegenüber.

Gemeinsame Zukunft durch gemeinsames Erinnern

Doch zumindest bei diesem Besuch in Warschau, der dem gemeinsamen Gedenken gewidmet ist, treten die Differenzen in den Hintergrund. Czaputowicz erklärte zwar in seiner Rede, warum für die Polen die Frage nach Reparationen für im Krieg zugefügte Schäden nicht abgeschlossen ist. Doch in den politischen Begegnungen spielte dieses Thema keine Rolle.

„Erst das gemeinsame Erinnern bahnt den Weg für eine gemeinsame Zukunft“, sagte Maas in seiner Rede. Doch in Deutschland wird der Warschauer Aufstand bis heute oft mit dem Aufstand im jüdischen Ghetto 1943 verwechselt, viele Deutsche wissen kaum etwas über dieses historische Ereignis.

Deswegen unterstützte der Außenminister ausdrücklich die Initiative für einen Gedenkort in Berlin, der an die Opfer von Krieg und Besatzung in Polen erinnern soll. Das sei „lange überfällig“, betonte er. „Eine solche Gedenkstätte wäre nicht nur eine Versöhnungsgeste an Polen. Sie wäre bedeutend für uns Deutsche selbst.“

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