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Besonders schwierig ist die Lage für minderjährige Flüchtlinge.

© dpa

Mangelhafte Betreuung: Die Lage minderjähriger Flüchtlinge ist prekär

Zehntausende junge Flüchtlinge leben in Deutschland. Bei ihrer Betreuung gibt es haarsträubende Mängel und Versäumnisse. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Wenn Sie nicht wissen, was „umF“ ist, wundern Sie sich nicht. Aber es wäre wichtig, bei den drei Buchstaben hellhörig zu werden. Hinter diesem Behördenkürzel stecken die Biographien von tausenden jungen Menschen: „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“.

Kinder und Teenager, oft von der Familie auf den Weg geschickt, kommen nach den Strapazen einer Odyssee auf fremden Straßen in Ländern mit für sie fremden Sprachen an und landen in einem System, das mangelhaft bis gar nicht auf ihre Aufnahme vorbereitet ist. 2015 kamen hier dreimal mehr dieser Kinder und Jugendlichen an als im Jahr davor. Von Januar bis Ende Mai 2016 erhielten die Ämter laut einem aktuellen Unicef-Report Anträge auf Asyl von mehr als 90000 Minderjährigen, die mit der Familie kamen, dazu kommen Anträge von 9000 unbegleiteten Kindern. Die Mehrzahl, 48000, kommt aus Syrien, aus Afghanistan 17000 und aus dem Irak 16000.

Über die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit sind laut einem aktuellen Bericht des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen Kinder, 51 Prozent – das sind mehr als 30 Millionen Menschen in der wichtigsten, prägenden Phase ihrer Entwicklung. Jede Stunde, jedes Wort, jede Erfahrung zählt in dieser Zeit.

Die Tage und Nächte, Alpträume und Ängste, die Hoffnung und Verzweiflung dieser großen Gruppe sind für niemanden vor- und darstellbar. Nein, soviel emotionalen und empathischen Raum hat kein Mensch. Aber eine Ahnung davon, was es bedeutet, kann das Bewusstsein erreichen. Und damit auch das Wissen von der Verantwortung, die überall dort existiert, wo diese Kinder und Jugendlichen ankommen.

Lehrer und Sozialarbeiter sind nicht ausreichend geschult

Ende Februar 2016 lebten in Deutschland insgesamt über 60000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, offiziell befinden sie sich „in Obhut der Jugendämter“. Obhut hört sich gut an, nach Sorge, Umsicht und Behütetsein. Die Wahrheit ist eine erschütternd andere. Meist leben die Kinder mit anderen in den Massenunterkünften, einige gelangen in Gruppen für betreutes Wohnen, einige wenige in Pflegefamilien.

So gut wie jeder, der mit dem System der Betreuung Berührung hat, erfährt von haarsträubenden Mängeln und Versäumnissen. Weder gibt es bundesweite Standards, die das Kindeswohl dieser Gruppe sichern, noch sind die Zuständigkeiten der Ämter und Behörden sinnvoll geklärt.

Lehrer, Sozialarbeiter und das Personal von Jugendämtern und Jugendhilfeträgern sind nicht ausreichend für den Umgang mit den meist traumatisierten Kindern geschult. Deren sogenannte „Verhaltensauffälligkeiten“ – Aggression, Zurückgezogenheit, Schlafstörungen, Distanzarmut wie Berührungsängste – überfordern und „nerven“ die Erwachsenen, die mit ihnen umgehen. Berichtet wurde in den vergangenen Wochen häufig über die horrende Zahl sexueller Übergriffe auf Kinder in Massenunterkünften. Gerade die Unbegleiteten dürften primär zu den Opfern dieser Taten zählen. De facto leben abertausende Kinder vor aller Augen ohne den Schutz, der ihnen zusteht. Dieses Kinderhaus brennt.

Dem Berliner Senat ist der dysfunktionale Zustand auch hier in der Stadt bekannt, eine Feuerwehr soll her. So hat die „Dienststelle Abt. III, Jugend und Familie, Landesjugendamt“ der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft gerade eine Stelle ausgeschrieben für die „Leitung des Referats Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF)“.

Die sozialen Folgekosten trägt die Gesellschaft

Zur Aufgabe des oder der für „umF“ Zuständigen gehört laut Ausschreibung die „Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben der vorläufigen Inobhutnahme nach § 42 a-f SGB VIII einschließlich der administrativen Umsetzung des Verteilverfahrens“, sowie „Durchführung und Vollzug des Erstaufnahmeverfahrens“ und nicht zuletzt die „Beantwortung von parlamentarischen Anfragen“ – es könnten weitere kritische Fragen kommen. Die Bewerbungsfrist endet am 29. Juli. Nein, das typisch unmenschlich klingende Amtsdeutsch allein ist noch kein Indiz dafür, dass hier nicht doch das Richtige geplant und dann getan wird, im „allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienst“. Dass es wirklich um Menschen gehen wird, kleine, wachsende, nicht-erwachsene Menschen und deren Zukunft.

Dafür aber, welche Zukunft sie haben können, spielt entscheidend das gesellschaftliche Verständnis für die Vergangenheit dieser Kinder eine Rolle. Ohne umfassende Fortbildung zur Problematik der Traumatisierten, wie sie etwa am Berliner Zentrum für die Behandlung von Folteropfern (bzfo) angeboten wird, werden die beteiligten Erwachsenen nur wenig ausrichten. Die seelischen Folgen tragen die Kinder, die sozialen Folgekosten einmal die ganze Gesellschaft.

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